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Zur psychoanalytischen Bewegung.
| + James J. Putnam. l
Unter den ersten Nachrichten, die mit dem Nachlaß der Absperrung
wus den angelsächsischen Ländern zu uns gedrungen sind, befindet sich
die schmerzliche Kunde vom Ableben Putnams, des Priisidenten der
großen panamerikanischen psychoanalytischen Gruppe. Er wurde über
72 Jahre alt, blieb geistesfrisch bis zum Ende und fand einen sanften Tod
durch Herzlihmung während des Schlafes im November 1918. Putnam,
bis vor wenigen Jahren Professor der Neuropathologie an der Harvard-
Universitit in Boston, war die große Stütze der Psychoanalyse in
Amerika. Seine zahlreichen theoretischen Arbeiten (von denen einige
zuerst in der Internationalen Zeitschrift erschienen sind) haben durch
ihre Klarheit, ihren Gedankenreichtum und durch die Entschiedenheit
ihrer Parteinahme ungemein viel dazu getan, um der Analyse die Würdi-
gung im psychiatrischen Unterricht und im öffentlichen Urteil zu schaffen,
die sie jetzt in Amerika genießt. Vielleicht eben so viel wirkte sein
Beispiel. Er war als tadelloser Charakter allgemein geehrt und man
wußte, daß nur die höchsten ethischen Riicksichten für ihn maßgebend
waren, Wer ihn persönlich näher kannte, mußte urteilen, daß er zu
jenen glücklich kompensierten Personen vom zwangsneurotischen Typus
gehöre, denen das Edle zur zweiten Natur und das Paktieren mit der
Gemeinheit zur Unmöglichkeit geworden ist,J. Putnams persönliche Erscheinung ist den europäischen Ana-
lytikern durch seine Teilnahme am Weimarer Kongreß 1912 bekannt
geworden, Die Redaktion der Zeitschrift hofft, in der nächsten Nummer
ein Porträt unseres verehrten Freundes und eine ausführliche Würdigung
seiner wissenschaftlichen Leistungen bringen zu können,Der Herausgeber.
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Internationaler psychoanalytischer Verlag und Preiszuteilungen
fiir psychoanalytische Arbeiten.Im Herbst 1918 machte mir ein Mitglied der Budapester psychoanaly-
tischen Vereinigung die Mitteilung, daß aus dem Erträgnis industrieller Unter-
nehmungen während der Kriegszeit ein Fonds für kulturelle Zwecke beiseite
gelegt worden sei, über dessen Verwendung ihm im Einvernehmen mit dem
Oberbürgermeister der Stadt Budapest, Dr. Stephan Bárczy, die Entscheidung
zustehe. Beide hätten sich entschlossen, den ansehnlichen Geldbetrag fir die
Zwecke der psychoanalytischen Bewegung zu widmen und mir die Verwaltung
desselben zu iibertragen. Ich nahm diesen Auftrag an und erfiille hiemit die
Pflicht, dem Oberbiirgermeister, welcher bald darauf dem psychoanalytischen
Kongreß einen so ehrenhaften Empfang in Budapest bereitete, wie dem unge-
nannten Mitglied, das sich ein so hohes Verdienst um die Sache der Psycho-
° analyse erworben, öffentlich zu danken,Der auf meinen Namen getaufte und mir zur Verfügung gestellte Fonds
wurde von mir zur Gründung eines „Internationalen psychoanalytischen Ver-
lages" bestimmt. Ich hielt dies für das wichtigste Erfordernis unserer gegen-
wärtigen Lage,Unsere beiden periodischen Publikationen, die „Internationale Zeitschrift
für ärztliche Psychoanalyse“ und die „Imago“, sind in der Kriegszeit nicht wie
viele andere wissenschaftliche Unternehmungen untergegangen. Es gelang uns,
sie aufrecht zu erhalten, aber infolge der Erschwerungen, Absperrungen und
Verteuerungen der Kriegszeit mußten sie sich eine ausgiebige Verkleinerung
ihres Umfanges und unerwünscht große Intervalle zwischen den einzelnen
Nummern gefallen lassen, Von den vier Redakteuren der beiden Zeitschriften
(Ferenczi, Jones, Rank und Sachs) war einer als Angehöriger eines
feindlichen Staates von uns abgeschnitten, zwei andere eingertickt und durch
Kriegsdienstpflichten in Anspruch genommen, und nur Dr. Sachs war bei
der Arbeit verblieben, deren ganze Last er opferwiilig auf sich nahm, Einige
der psychoanalytischen Ortsgruppen sahen sich überhaupt genötigt, ihre Ver-
sammlungen einzustellen ; die Anzahl der Beitragenden schrumpfte zusammen
wie die der Abnehmer; es ließ sich voraussehen, daß der begreifliche MiBmut
des Verlegers bald den weiteren Bestand der für uns so wertvollen Zeitschriften
in Frage stellen würde, Und doch wiesen die mannigfaltigsten Anzeichen, die
sogar aus den Schützengräben der Front zu uns kamen, darauf hin, daß das
Interesse für die Psychoanalyse sich bei der Mitwelt nicht verringert habe.
Ich meine, die Absicht war gerechtfertigt, diesen Schwierigkeiten und Gefahren
durch die Gründung eines Internationalen psyehoanalytisehen Verlages ein
Ende zu setzen. Der Verlag besteht heute bereits als С. m, b, H. und wird
von Dr. Otto Rank geleitet, dem langjührigen Sekretür der Wiener Vereinigung
und Mitredakteur beider psychoanalytischen Zeitschriften, der nach mehrjühriger
Abwesenheit im Kriegsdienst zur früheren Tätigkeit im Dienste der Psyeho-
analyse wiedergekehrt ist,Der neue, auf die Mittel der Budapester Stiftung gestützte Verlag stellt
sich die Aufgabe, das regelmäßige Erscheinen und eine verliBliche Austeilung
der beiden Zeitschriften zu sichern, Sobald die Schwierigkeiten der äußeren
Verhültnisse es gestatten, sollen sie auch ihren früheren Umfang wiederbekom-
men oder ihn im Falle des Bedarfs, ohne Steigerung der Kosten für die
Abnehmer, übersehreiten kónnen. Der Verlag wird aber auBerdem, ohne eine
solche Besserung abzuwarten, in das Gebiet der ärztlichen und der angewandtenS.
138 Zur psychoanalytischen Bewegung,
Psychoanalyse einschlägige Bücher und Broschüren zum Druck befördern, und
da er kein auf Gewinn zielendes Unternehmen darstellt, kann er die Interessen
der Autoren besser in Acht nehmen, als dies von Seite der Buchhändler-Ver-
leger zu geschehen pflegtGleichzeitig mit der Einrichtung des psychoanalytischen Verlages wurde
der Beschluß gefaßt, alljährlich aus den Zinsen der Budapester Stiftung zwei
hervorragend gute Arbeiten, je eine aus dem Gebiet der ärztlichen und der
angewandten Psychoanalyse, mit Preisen auszuzeichnen, Diese Preise — in der
Höhe von eintausend österr, Kronen — sollten nicht den Autoren, sondern den
einzelnen Arbeiten zugesprochen werden, so daß es möglich bleiben mußte,
daß der nimliche Autor wiederholt mit einem Preis bedacht werde, Die
Entscheidung darüber, welche unter den in einem gewissen Zeitraum ver-
öffentlichten Arbeiten durch die Preiszuteilung hervorgehoben werden sollen,
wurde .nicht einem Kollegium übertragen, sondern einer einzelnen Person, der
des jeweiligen Fondsverwalters, vorbehalten. Im anderen Falle, wenn das
Richterkollegium aus den erfahrensten und urteilsfihigsten Analytikern gebildet
wäre, hätten deren Arbeiten ans der Bewertung ausscheiden müssen, und die
Institution könnte ihre Absicht, auf mustergültige Leistungen der psychoanaly-
tischen Literatur hinzuweisen, leicht verfehlen. Wenn der Preisrichter in die
Lage käme, zwischen zwei annähernd gleich wertvollen Arbeiten zu schwanken,
sollte ihm ermöglicht sein, den Preis zwischen beiden zu teilen, ohne daß die
Zuteilung eines halben Preises cine geringere Einschitzung der betreffenden
Arbeit bedeutete,Es besteht die Absicht, diese Preiszuteilungen im allgemeinen alljährlich
zu wiederholen, wobei die gesamte in diesem Zeitraum veröffentlichte, für die
Psychoanalyse bedeutsame Literatur das Material für die Auswahl abgibt und
es nicht in Betracht kommt, ob der Autor der betreffenden Arbeit der Inter-
nationalen psychoanalytischen Vereinigung als Mitglied angehört,Die erste Preiszuteilung ist bereits erfolgt und hat sich auf die in der
Kriegszeit, 1914 —1918, erfolgten Publikationen bezogen. Der Preis für ürzt-
liche Psychoanalyse wurde zwischen der Arbeit von K, Abraham „Unter-
suchungen über die früheste prigenitale Entwicklungsstufe der Libido“ (Int.
Zeit, IV, 2, 1916) und der Broschüre von Ernst Simmel „Kriegsneurosen
und Psychisches Trauma“, 1918 geteilt, der für angewandte Psychoanalyse
fiel der Arbeit von Th. Reik „Die Pubertätsriten der Wilden“ (Imago IV,3/4, 1915) zu. Freud
Lehrkurse iiber Psychoanalyse.
Am 3. Februar 1919 wurden die durch den Krieg unterbrochenen
Lehrkurse über Psychoanalyse von der Wiener ps. a. Vereinigung wieder
aufgenommen, Mit der Abhaltung der Kurse ist, wie bisher, das Mitglied der
Wiener Ortsgruppe, Nervenarzt Dr. Victor Tausk, betraut. Er liest gegen-
wirtig einen Elementarkurs, an den, wenn eine gentigende Zahl von Hôrern
dazu gemeldet sein wird, ein Kurs fiir Vorgeschrittene angeschlossen werden
soll. Die Vorlesungen werden im kleinen Hörsaal der psychiatrischen Klinik
der Wiener Universität abgehalten, Der erste Kurs ist im März zum
Abschluß gelangt. Für die Sommerkurse, die Mitte Mai beginnen sollen,
werden Anmeldungen bis Ende April d. J. vom Sekretär der Wiener
Ortsgruppe oder vom Vortragenden (Wien, IX. AlserstraBe 32) entgegen-
genommen. Honorar für Ärzte 60 К, für Studierende 40 К.S.
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Neue Erscheinungen.
Der vierte Band der „Sammlung kleiner Schriften zur Neurosenlehre“
von Prof. Freud ist im Verlag von Hugo Heller in Wien erschienen. Derselbe
Verlag hat die zweite, unveründerte Auflage der „Vorlesungen zur Einführung
in die Psychoanalyse* ausgegeben.Der erste und zweite Teil dieser „Vorlesungen“: Die Fehlleistungen und
der Traum, sind zusammen als L Band der hollündischen Ausgabe, die
Neurosenlehre als 11. Band, eingeleitet und (übersetzt von Dr. A. W. van
Renterghem, erschienen (Amsterdam 1918, Maatschappij voor goede en
goedkoope Lectuur). ,Von den in Amerika gehaltenen fünf Vorlesungen „Über Psychoanalyse“
ist soeben die vierte Auflage bei F. Deuticke erschienen.Aus Anzeigen in englischen und amerikanischen Zeitungen ist zu ent-
nehmen, daß im Laufe der Kriegszeit folgende Werke von Prof. Freud ins
Englische übersetzt worden sind: Wit and its relation to the unconscious von
Dr. A. A. Brill, Leonardo da Vinci von demselben, und Reflections on war
and death von Brill und Kuttner. Verleger: Moffat, Yard & Co,
New York. »Derselbe Verlag brachte 1917 die Übersetzung des bekannten Lehr-
buches von Pfister unter dem Titel: The psychoanalytic method, translated
by Ch. R. Payne.Die ,Papers on Psycho-Analysis* von Ernest J ones sind 1918 in zweiter,
stark vermehrter Auflage erschienen (Bailliere, Tindall and Co., London).Im Ungarischen sind folgende Werke Professor Freuds erschienen :
„Totem und Tabu“, übersetzt von Dr. Z. Pártos (revidiert von Dr, $.
Ferenczi); ferner in 2. Auflage: „Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie*
und die kleine Studie ,Über den Traum^, beide übersetzt von Dr. S.
Ferenczi. Von Dr. S. Ferenczi selbst erschienen: „A hisztória* und
„А pszichoanalisis haladása". In 2. Auflage , Ideges Tünetek". (Sämtliche
ungarischen psychoanalytischen Werke bei M. Dick, Verlag, Budapest VII.)„Der Künstler“, Ansätze zu einer Sexualpsychologie von Dr. Otto
Rank, ist kürzlich in vermehrter 2. und 3. Auflage bei Hugo Heller & Cie.,
Leipzig und Wien, erschienen.Die Bibliographie, deren ausführliche Mitteilung in unserer Zeitschrift
durch den Krieg eine Unterbrechung erfahren hat, soll in der früheren Weise
wieder fortgeführt werden, und zwar wird der laufende Jahrgang nur die
den Psychoanalytiker interessierenden Neuerscheinungen des Jahres 1919
bringen, während die seit 1910 erschienene Literatur in den für Ende des
Jahres geplanten ,Jahresbericht^ aufgenommen werden soll.Die Redaktion,
Knapp vor RedaktionsschluB kommt uns die betrübliche Nachricht zu,
daß auch in Amerika der Weltkrieg zwei Opfer aus den Reihen unserer dor-
tigen Vereinsmitglieder gefordert hat. Prof, Reginald Allen in Philadelphia,
Mitglied der , American Psychoanalytic Association*, und Dr. Morris J. Karpas
in New York, Mitglied der New Yorker Ortsgruppe, sind beide im Jahre 1918
auf dem -europiischen Kriegsschauplatz verschieden.
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