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    [Briefkopf III Berlin] 19. 4. 14 Lieber Herr Professor, Da ich Sie jetzt wieder in Wien vermute, will ich Ihren ausführlichen Brief vom 6. heute beantworten. Ich hoffe, die kurze Reise hat Ihnen die gewünschte Erholung gebracht. Wenn Sie meine Karte erhalten haben – aber gewiß auch ohne dies –, wissen Sie, wie gern ich gekommen wäre. Aber drei Tage reisen, um eineinhalb Tage dort zu sein, schien mir zu viel. Haben Sie für Telegramm und Karte nochmals vielen Dank! Der Keuchhusten Ihrer »Kleinen« ist hoffentlich so leicht verlaufen wie die Masern unsrer beiden »Kleinen«. Ich bleibe beim Reise-Thema. Sie machten mich auf den Ossiacher See aufmerksam. Dagegen habe ich nur zwei Bedenken. Erstens weiß ich nicht, ob die niedrige Lage den Kindern die gleiche Kräftigung gibt wie das eigentliche Hochgebirge; alle andern Bedingungen scheinen ja dort vortrefflich erfüllt zu sein. Zweitens hatten meine Frau und ich uns stark an die Dolomiten fixiert. Die sind freilich mit der Bahn von dort in ein paar Stunden zu erreichen. Eventuell könnte ich also, wenn wir eine Zeit lang dort sind, mit meiner Frau eine Dolomitentour unternehmen und die Kinder unter

     

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    der Obhut des Kinderfräuleins dort lassen. – Uns wird von verschiedenen Seiten ganz besonders Wolkenstein (Gröden) empfohlen. Wären Sie nicht für einen solchen hochgelegenen Ort zu haben, oder liegt ein gesundheitlicher Grund für die Wahl der geringen Höhe vor? Natürlich werden wir uns Ihren Vorschlägen soweit eben möglich fügen, nur das obige Bedenken wegen der Kinder ist störend. Das Jungsche Jahrbuch ist recht mäßig ausgefallen. Mir scheint, das neue wird ihm bedeutend überlegen sein. Daß es schon im Juni kommen soll, ist mir lieb. Ich höre von Hitschmann, daß Sie im Vorwort meine Bemerkung bezüglich Ausschluß der Kasuistik etwas eingeschränkt haben (womit ich durchaus einverstanden bin). Nun hat mir vor einiger Zeit Sadger einen größeren kasuistischen, aber auch Prinzipielles bringenden Aufsatz über Inversion fürs Jahrbuch angetragen. Ich habe damals vorläufig abgelehnt. Sollen wir ihn nun doch aufnehmen? Auch möchte ich Sie nochmals um Bescheid bitten, welche Tage Sie resp. die Mitglieder dort für den Kongreß vorschlagen. Jung schlug 4./5. September vor, mit Rücksicht auf den nachherigen Internationalen Neurologen- Kongreß in Bern. Die neue Zeitschrift für Sexualwissenschaft macht mir keinen

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    besonderen Eindruck. Eulenburg ist übrigens sehr senil; ich habe ihn deshalb in den letzten Diskussionen geschont. Im Mai werden wir nun die Sitzung unsrer Gruppe haben, in der über die Ödipus-Phänomene der Kindheit debattiert werden soll. Ich selbst muß mich jetzt wieder der Habilitationsarbeit zuwenden, die den ganzen Winter hat ruhen müssen. Viel lieber möchte ich jetzt ein paar Themata bearbeiten, die mir näher liegen. Vielleicht läßt sich beides vereinigen. Eine der letzten Simplicissimus-Nummern enthielt einen Witz, der Ihren Aufsatz über den Narzißmus glänzend illustriert, besonders was die Bedeutung der Hypochondrie betrifft; ich füge ihn darum bei. Und außerdem herzliche Grüße, auch von meiner Frau für Sie und die Ihrigen Ihr Karl Abraham