Sigmund Freud an Dr. Alfons Paquet: Brief vom 30.8.1930 1930-075/1934
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    GOETHE-PREIS 1930
    BRIEF AN DR. ALFONS PAQUET

    Der Goethe-Preis der Stadt Frankfurt a. M. wurde dem
    Verfasser im Jahre 1930 verliehen. Der Sekretär des Kurato-
    riums des Goethe-Preises, Dr. Alfons Paquet, hat den
    Verfasser in einem vom 26. Juli 1930 datierten Schreiben
    von der Verleihung in Kenntnis gesetzt; nachfolgend die
    Antwort des Verfassers vom 3. August 1930 und die **An-
    sprache im Frankfurter Goethe-Haus**, die am 28. August 1930
    von Anna Freud verlesen wurde. Beide Dokumente sind
    zuerst in „Die psychoanalytische Bewegung“, Bd. II, 1930,
    veröffentlicht.

    Ich bin durch öffentliche Ehrungen nicht verwöhnt worden und habe
    mich darum so eingerichtet, daß ich solche entbehren konnte. Ich mag
    aber nicht bestreiten, daß mich die Verleihung des Goethe-Preises der Stadt


    1) In diesem Schreiben heißt es unter anderm:
    »... Nach der Ordnung für die Verleihung des Goethe-Preises soll der Preis
    einer mit ihrem Schaffen bereits zur Geltung gelangten Persönlichkeit zuerkannt
    werden, deren schöpferisches Wirken einer dem Andenken Goethes gewidmeten
    Ehrung würdig ist . . .
    Indem das Kuratorium Ihnen, sehr verehrter Herr Professor, den Preis zuer-
    kennt, wünscht es die hohe Wertung zum Ausdruck zu bringen, die es den um-
    wälzenden Wirkungen der von Ihnen geschaffenen neuen Forschungsformen auf die
    gestaltenden Kräfte unserer Zeit beimißt. In streng naturwissenschaftlicher Methode,
    zugleich in kühner Deutung der von Dichtern geprägten Gleichnisse, hat Ihre For-
    schung einen Zugang zu den Triebkräften der Seele gebahnt und dadurch die Mög-
    lichkeit geschaffen, Entstehen und Aufbau vieler Kulturformen in ihrer Wurzel zu
    verstehen und Krankheiten zu heilen, zu denen die ärztliche Kunst bisher den Schlüssel
    nicht besaß. Ihre Psychologie hat aber nicht nur die ärztliche Wissenschaft, sondern
    auch die Vorstellungswelt der Künstler und Seelsorger, der Geschichtsschreiber und

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    Vermischte Schriften                        407

    Frankfurt sehr erfreut hat. Es ist etwas an ihm, was die Phantasie besonders
    erwärmt und einer seiner Bestimmungen räumt die Demütigung weg, die
    sonst durch solche Auszeichnungen mitbedingt wird.
    Für Ihren Brief habe ich Ihnen besonderen Dank zu sagen, er hat mich
    ergriffen und verwundert. Von der liebenswürdigen Vertiefung in den
    Charakter meiner Arbeit abzusehen, habe ich doch nie zuvor die geheimen
    persönlichen Absichten derselben mit solcher Klarheit erkannt gefunden
    wie von Ihnen und hätte Sie gern gefragt, woher Sie es wissen.
    Leider erfahre ich aus Ihrem Brief an meine Tochter, daß ich Sie in
    nächster Zeit nicht sehen soll, und Aufschub ist in meinen Lebenszeiten
    immerhin bedenklich. Natürlich bin ich gern bereit, den von Ihnen an-
    gekündigten Herrn (**Dr. Michel**) zu empfangen.
    Zur Feier nach Frankfurt kann ich leider nicht kommen, ich bin zu
    gebrechlich für diese Unternehmung. Die Festgesellschaft wird nichts dadurch
    verlieren, meine Tochter Anna ist gewiß angenehmer anzusehen und an-
    zuhören als ich. Sie soll einige Sätze vorlesen, die Goethes Beziehungen
    zur Psychoanalyse behandeln und die Analytiker selbst gegen den Vorwurf
    in Schutz nehmen, daß sie durch analytische Versuche an ihm die dem
    großen Schuldigefühl Ehrfurcht verletzt haben. Ich hoffe, daß es angeht,
    das
    mir gestellte Thema: „Die inneren Beziehungen des Menschen und Forschers
    zu **Goethe**“ in solcher Weise umzubeugen, oder Sie würden noch so liebens-
    würdig sein, mir davon abzuraten.


    erzieher aufgewühlt und bereichert. Über die Gefahren monomanischer Selbstzergliede-
    rung und über alle Unterschiede geistiger Richtungen hinweg lieferte ihr Werk die
    Grundlage eines erneuerten, besseren Verständnisses der Völker. Wie nach Ihrer
    eigenen Mitteilung die frühesten Anfänge Ihrer wissenschaftlichen Studien auf einen
    Vorwag von Goethes Aufsatz „**Die Natur**“ zurückgehen, so ist im letzten nach der
    durch ihre Forschungsweise geförderte, gleichsam mephistophelische Zug zum scho-
    nungslose Zerreißen aller Schleier der unzertrennliche Begleiter der Faustischen
    Unersättlichkeit und Ehrfurcht vor den im Unbewußten schlummernden bildnerisch-
    schöpferischen Gewalten. Die Ihnen zugedachte Ehrung gilt im gleichen Maße dem
    Gelehrten wie auch dem Schriftsteller und dem Kämpfer, der in unserer, von bren-
    nenden Fragen bewegten Zeit dasteht als ein Hinweis auf eine der lebendigsten
    Seiten des Goethischen Wesens.
    Der Punkt 4 der vom Magistrat der Stadt Frankfurt errichteten Ordnung lautet: Die
    festliche Verleihung des Goethe-Preises geschieht jeweils am **28. August** im Goethe-
    haus, und zwar im Beisein der mit dem Preis ausgezeichneten Persönlichkeit . . .“