S.
Vi
UBER TRIEBUMSETZUNGEN
INSBESONDERE DER ANALEROTIK. *)Vor einer Reihe von Jahren habe ich aus der psycho-
analytischen Beobachtung die Vermutung geschöpft, daß das
konstante Zusammentreffen der drei Charaktereigenschaften:
ordentlich, sparsam und eigensinnig auf eine Ver-
stärkung der analerotischen Komponente in der Sexual-
konstitution solcher Personen hindeute, bei denen es aber im
Laufe der Entwicklung durch Aufzehrung ihrer Analerotik
zur Ausbildung solcher bevorzugter Reaktionsweisen des Ichs
gekommen ist.**)Es lag mir damals daran, eine als tatsächlich erkannte
Beziehung bekanntzugeben; um ihre theoretische Würdigung
bekümmerte ich mich wenig. Seither hat sich wohl allge-
mein die Auffassung durchgesetzt, daß jede einzelne der drei
Eigenschaften: Geiz, Pedanterie und Eigensinn aus den
Triebquellen der Analerotik hervorgeht oder — vorsichtiger
und vollständiger ausgedrückt — mächtige Zuschüsse aus
diesen Quellen bezieht. Die Fälle, denen die Vereinigung der
erwähnten drei Charakterfehler ein besonderes Geprige auf-
drückte (Analcharakter), waren eben nur die Extreme, an*) Intern. Zeitschr, fiir årztl. Psychoanalyse, IV, 1916/17.
**) Charakter und Analerotik, 1908, wiederabgedruckt in der zweiten
Folge der Sammlung kleiner Schriften zur Neurosenlehre, 1909.S.
140 SCHRIFTEN ZUR NEUROSENLEHRE. IV.
denen sich der uns interessierende Zusammenhang auch einer
stumpfen Beobachtung verraten mußte.Einige Jahre später habe ich aus einer Fülle von Ein-
drücken, geleitet durch eine besonders zwingende analyiische
Erfahrung, den Schluß gezogen, daß in der Entwicklung der
menschlichen Libido vor der Phase des Genitalprimats cine
»prågenitale Organisation" anzunehmen ist, in welcher der
Sadismus und die Analerotik die leitenden Rollen spielen.*)Die Frage nach dem weiteren Verbleib der analerotischen
Triebregungen war von da an unabweisbar. Welches wurde
ihr Schicksal, nachdem sie durch die Herstellung der end-
gültigen Genitalorganisation ihre Bedeutung für das Sexual-
leben eingebüDt hatten? Blieben sie als solche, aber nun im
Zustande der Verdrängung, fortbestehen, unterlagen sie der
Sublimierung oder der Aufzehrung unter Umsetzung in Bigen-
schaften des Charakters, oder fanden sie Aufnahme in die
neue, vom Primat der Genitalien bestimmte Gestaltung der
Sexualitàt? Oder besser, da wahrscheinlich keines dieser
Schicksale der Analerotik das ausschließliche sein dürfte,
in welchem Ausmaß und in welcher Weise teilen sich diese
verschiedenen Möglichkeiten in die Entscheidung über die
Schicksale der Analerotik, deren organische Quellen ja durch
das Auftreten der Genitalorganisation nicht verschüttet wer-
den konnten?Man sollte meinen, es kónnte an Material für die Be-
antwortung dieser Fragen nicht fehlen, da die betreffenden
Vorgänge von Entwicklung und Umsetzung sich bei allen
Personen vollzogen haben müssen, die Gegenstand der psycho-
analytischen Untersuchung werden. Allein dies Material istち り Die Disposition zur Zwangsneurose. (Intern. Zeitschr. für årztl.
Psychoanalyse, I, 1913.) 2S.
V. UBER TRIEBUMSETZUNGEN INSBESONDERE DER ANALEROTIK. 141
so undurchsichtig, die Fülle von immer wiederkehrenden Ein-
drücken wirkt so verwirrend, daß ich auch heute keine voll-
ständige Lösung des Problems, bloß Beiträge zur Lösung zu
geben vermag. Ich brauche dabei der Gelegenheit nicht aus
dem Wege zu gehen, wenn der Zusammenhang es gestattet,
einige andere Triebumsetzungen zu erwähnen, welche nicht
die Analerotik betreffen, Es bedarf endlich kaum der Her-
vorhebung, daß die beschriebenen Entwicklungsvorgånge -—
hier wie anderwårts in der Psychoanalyse — aus den Re-
gressionen erschlossen worden sind, zu welchen sie durch
die neurotischen Prozesse genötigt wurden.Ausgangspunkt dieser Erôrterungen kann der Anschein
werden, daß in den Produktionen des Unbewußten — Ein-
fållen, Phantasien und Symptomen — die Begriffe Kot (Geld,
Geschenk), Kind und Penis schlecht auseinander gehalten
und leicht miteinander vertauscht werden. Wenn wir uns
so ausdrücken, wissen wir natürlich, daß wir Bezeichnungen,
die fiir andere Gebiete des Seclenlebens gebräuchlich sind,
mit Unrecht auf das Unbewufte übertragen und uns durch
den Vorteil, welchen ein Vergleich mit sich bringt, verleiten
lassen. Wiederholen wir also in einwandfreierer Form, daB
diese Elemente im UnbewuBten häufig behandelt werden, als
wären sie einander åquivalent und dürften einander unbc-
denklich ersetzen.Fir die Beziehungen von „Kind“ und „Penis“ ist dies
am leichtesten zu sehen, Es kann nicht gleichgiiltig sein,
daß beide in der Symbolsprache des Traumes wie in der des
tåglichen Lebens durch ein gemeinsames Symbol ersetzt wer-
den können. Das Kind heißt wie der Penis das „Kleine“.
Es ist bekannt, daB die Symbolsprache sich oft iiber den
Geschlechtsunterschied hinaussetzt. Das „Kleine“, das ur-S.
142 SCHRIFTEN ZUR NEUROSENLEHRE. IV.
spriinglich das männliche Glied meinte, mag also sekundär
zur Bezeichnung des weiblichen Genitales gelangt sein.
Forscht man tief genug in der Neurose einer Frau, so
stößt man nicht selten auf den verdrångten Wunsch, einen
Penis wie der Mann zu besitzen. Akzidentelles MiBgeschick
im Frauenleben, oft genug selbst Folge einer stark männ-
lichen Anlage, hat diesen Kinderwunsch, den wir als ,,Penis-
neid“ dem Kastrationskomplex einordnen, wieder aktiviert
und ihn durch die Riickstromung der Libido zum Haupt-
träger der neurotischen Symptome werden lassen. Bei an-
deren Frauen läßt sich von diesem Wunsch nach dem Penis
nichts nachweisen; seine Stelle nimmt der Wunsch nach
dem Kind ein, dessen Versagung im Leben dann die Neurose
auslösen kann. Es ist s0, als ob diese Frauen begriffen
hätten — was als Motiv doch unmöglich gewesen sein kann
—, daß die Natur dem Weibe das Kind zum Ersatz fir das
andere gegeben hat, was sie ihm versagen mußte. Bei noch
anderen Frauen erfährt man, daß beide Wünsche in ‘der
Kindheit vorhanden waren und einander abgelöst haben.
Zuerst wollten sie einen Penis haben wie der Mann, und in
einer späteren, immer noch infantilen Epoche trat der
Wunsch nach einem Kind an die Stelle. Man kann den Ein-
druck nicht abweisen, daß akzidentelle Momente des Kinder-
lebens, die Anwesenheit oder das Fehlen von Brüdern, das
Erleben der Geburt eines neuen Kindes zu günstiger Lebens-
zeit, die Schuld an dieser Mannigfaltigkeit tragen, so daß
der Wunsch nach dem Penis doch im Grunde identisch wäremit dem nach dem Kinde.
Wir können angeben, welches Schicksal der infantile
Wunsch nach dem Penis erfährt, wenn die Bedingungen der
Neurose im späteren Leben ausbleiben. Er verwandelt sichS.
V. UBER TRIEBUMSETZUNGEN INSBESONDERE DER ANALEROTIK. 143
dann in den Wunsch nach dem Mann, er läßt sich also
den Mann als Anhångsel an den Penis gefallen. Durch diese
Wandlung wird eine gegen die weibliche Sexualfunktion ge-
richtete Regung zu einer ihr giinstigen. Diesen Frauen wird
hiemit ein Liebesleben nach dem männlichen Typus der
Objektliebe ermöglicht, welches sich neben dem eigentlich
weiblichen, vom NarziBmus abgeleiteten, behaupten kann.
Wir haben schon gehört, daß es in anderen Fällen erst das
Kind ist, welches den Ubergang von der narziBtischen Selbst-
liebe zur Objektliebe herbeiführt. Es kann also auch in
diesem Punkte das Kind durch den Penis vertreten werden,
Ich hatte einigemal Gelegenheit, Tråume von Frauen
nach den ersten Kohabitationen zu erfahren. Diese deckten
unverkennbar den Wunsch auf, den Penis, den sie verspürt
hatten, bei sich zu behalten, entsprachen also, von der libidi-
nôsen Begründung abgesehen, einer flüchtigen Regression
vom Manne auf den Penis als Wunschobjekt. Man wird ge-
wib geneigt sein, den Wunsch nach dem Manne in rein ratio-
nalistischer Weise auf den Wunsch nach dem Kinde zurück-
führen, da ja irgend einmal verstanden wird, daß man ohne
Dazutun des Mannes ein Kind nicht bekommen kann. Es
dürfte aber cher so zugehen, daß der Wunsch nach dem
Manne unabhängig vom Kindwunsch entsteht und daß, wenn
er aus begreiflichen Motiven, die durchaus der Ichpsycho-
logie angehören, auftaucht, der alte Wunsch nach dem Penis
sich ihm als unbewuBte libidinôse Verstärkung beigesellt.
Die Bedeutung des beschriebenen Vorganges liegt darin,
daß er ein Stück der narzibtischen Männlichkeit des jungen
Weibes in Weiblichkeit überführt und somit fir die weib-
liche Sexualfunktion unschädlich macht. Auf einem anderen
Wege wird nun auch ein Anteil der Erotik der prigenitalenS.
144 SCHRIFTEN ZUR NEUROSENLEHRE, IV,
Phase fiir die Verwendung in der Phase des Genitalprimats
tauglich. Das Kind wird doch als „Lumpf“ betrachtet (s. die
Analyse des kleinen Hans), als etwas, was sich durch den
Darm vom Körper löst; somit kann ein Betrag libidinôser
Besetzung, welcher dem Darminhalt gegolten hat, auf das
durch den Darm geborene Kind ausgedehnt werden. Ein
sprachliches Zeugnis dieser Identität von Kind und Kot ist
in der Redensart: ein Kind schenken erhalten. Der Kot
ist nämlich das erste Geschenk, ein Teil seines Körpers,
von dem sich der Säugling nur auf Zureden der geliebten
Person trennt, mit dem er ihr auch ‚unaufgefordert seine
Zärtlichkeit bezeigt, da er fremde Personen in der Regel
nicht beschmutzt. (Ähnliche, wenn auch nicht so intensive
Reaktionen mit dem Urin.) Bei der Defäkation ergibt sich
für das Kind eine erste Entscheidung zwischen narzißtischer
und objektliebender Einstellung. Es gibt entweder den Kot
gefügig ab, „opfert“ ihn der Liebe, oder hält ihn zur auto-
erotischen Befriedigung, später zur Behauptung seines eigenen
Willens, zurück. Mit letzterer Entscheidung ist der Trotz
(Eigensinn) konstituiert, der also einem narzißtischen Be-
harren bei der Analerotik entspringt.Es ist wahrscheinlich, daß nicht Gold — Geld, son-
dern Geschenk die nächste Bedeutung ist, zu welcher das
Kotinteresse fortschreitet. Das Kind kennt kein anderes
Geld, als was ihm geschenkt wird, kein erworbenes und auch
kein eigenes, ererbtes. Da Kot sein erstes Geschenk ist, über-
trägt es leicht sein Interesse von diesem Stoff auf jenen
neuen, der ihm als wichtigstes Geschenk im Leben entgegen-
tritt. Wer an dieser Herleitung des Geschenkes zweifelt,
möge seine Erfahrung in der psychoanalytischen Behandlung
zu Rate ziehen, die Geschenke studieren, die er als Arzt vomS.
V. UBER TRIEBUMSETZUNGEN INSBESONDERE DER ANALEROTIK. 145
Kranken erhält, und die Ubertragungsstiirme beachten,
welche er durch ein Geschenk an den Patienten hervor-
rufen kann. 5Das Kotinteresse wird also zum Teil als Geldinteresse
fortgesetzt, zum anderen Teil in den Wunsch nach dem Kinde
übergeführt. In diesem Kindwunsch treffen nun eine anal-
erotische und eine genitale (Penisneid) Regung zusammen.
Der Penis hat aber auch eine vom Kindinteresse unabhángige
analerotische Bedeutung. Das Verhältnis zwischen dem Penis
und dem von ihm ausgefüllten und erregten Schleimhaut-
rohr findet sich nàmlich schon in der prágenitalen, sadistisch-
analen Phase vorgebildet. Der Kotballen — oder die „Kot-
stange“ nach dem Ausdruck eines Patienten — ist sozusagen
der erste Penis, die von ihm gereizte Schleimhaut die des
Enddarmes. Es gibt Personen, deren Analerotik bis zur Zeit
der Vorpubertåt (10—12 Jahre) stark und unverändert ge.
blieben ist; von ihnen erfährt man, daß sie schon während
dieser prágenitalen Phase in Phantasien und perversen Spie-
lereien eine der genitalen analoge Organisation entwickelt
hatten, in welcher Penis und Vagina durch die Kotstange
und den Darm vertreten waren. Bei anderen — Zwangsneu-
rotikern — kann man das Ergebnis einer regressiven Ernied-
rigung der Genitalorganisation kennen lernen. Es àufert sich
darin, daß alle ursprünglich genital konzipierten Phantasien
ins Anale versetzt, der Penis durch die Kotstange, die Vagina
durch den Darm ersetzt werden.Wenn das Kotinteresse in normaler Weise zurückgeht,
so wirkt die hier dargelegte organische Analogie dahin, daß
es sich auf den Penis überträgt. Erfährt man später in der
Sexualforschung, daß das Kind aus dem Darm geboren wird,so wird dieses zum Haupterben der Analerotik, aber der Vor-
Freud, Neurosenlehre. IV. 10S.
Narzissmus
NE Aastrationsromplerミ
⑭⑥ SCHRIFTEN ZUR NEUROSENLEHRE, IV.
gånger des Kindes war der Penis gewesen, in diesem wie
in einem anderen Sinne.Ich bin überzeugt, daß die vielfältigen Beziehungen in
der Reihe Kot — Penis — Kind nun völlig unübersichtlich
geworden sind, und will darum versuchen, dem Mangel durch
eine graphische Darstellung abzuhelfen, in deren Diskussion
dasselbe Material nochmals, aber in anderer Folge, gewürdigt
werden kann, Leider ist dieses technische Mittel nicht
schmiegsam genug fiir unsere Absichten, oder wir haben
noch nicht gelernt, es in geeigneter Weise zu gebrauchen.
Ich bitte jedenfalls, an das beistehende Schema keine stren-
gen Anforderungen zu stellen.Objektstufe
Aus der Analerotik geht in narziütischer Verwendung
der Trotz hervor als eine bedeutsame Reaktion des Ichs
gegen Anforderungen der anderen; das dem Kot zugewendete
Interesse iibergcht in Interesse fiir das Geschenk und dannS.
V. UBER TRIEBUMSETZUNGEN INSBESONDERE DER ANALEROTIK. 147
fir das Geld. Mit dem Auftreten des Penis entsteht beim
Mådchen der Penisneid, der sich spåter in den Wunsch nach
dem Mann als Träger eines Penis umsetzt. Vorher noch
hat sich der Wunsch nach dem Penis in den Wunsch nach
dem Kind verwandelt, oder der Kindwunsch ist an die Stelle
des Peniswunsches getreten. Eine organische Analogie zwi-
schen Penis und Kind (punktierte Linie) drückt sich durch
den Besitz eines beiden gemeinsamen Symbols aus („das
Kleine"). Vom Kindwunsch führt dann ein rationeller Weg
(doppelte Linie) zum Wunsch nach dem Mann. Die Bedeu-
tung dieser Triebumsetzung haben wir bereits gewürdigt.Ein anderes Stiick des Zusammenhanges ist weit deut-
licher beim Manne zu erkennen. Es stellt sich her, wenn die
Sexualforschung des Kindes das Fehlen des Penis beim Weibe
in Erfahrung gebracht hat. Der Penis wird somit als etwas
vom Körper Ablósbares erkannt und tritt in Analogie zum
Kot, welcher das erste Stück Leiblichkeit war, auf das man
verzichten mußte, Der alte Analtrotz tritt so in die Kon-
stitution des Kastrationskomplexes ein. Die organische Ana-
logie, derzufolge der Darminhalt den Vorlåufer des Penis
wåhrend der prågenitalen Phase darstellte, kann als Motiv
nicht in Betracht kommen; sie findet aber durch die Sexual-
forschung cinen psychischen Ersatz.Wenn das Kind auftritt, wird es durch die Sexual-
forschung als „Lumpf” erkannt und mit måchtigem anal-
erotischen Interesse besetzt. Einen zweiten Zuzug aus glei-
cher Quelle erhålt der Kindwunsch, wenn die soziale Er-
fahrung lehrt, daB das Kind als Liebesbeweis, als Geschenk
afgefaBt werden kann. Alle drei, Kotsåule, Penis und Kind,
sind feste Körper, welche ein Schleimhautrohr (den Enddarm
und die ihm nach einem guten Worte von Lou Andreas-10%
S.
148 SCHRIFTEN ZUR NEUROSENLEHRE. IV.
Salomé gleichsam abgemietete Vagina)*) bei ihrem Ein-
dringen oder Herausdringen erregen. Der infantilen Sexual-
forschung kann von diesem Sachverhalt nur bekannt werden,
daß das Kind denselben Weg nimmt wie die Kotsäule; die
Funktion des Penis wird von der kindlichen Forschung in
der Regel nicht aufgedeckt. Doch ist es interessant zu sehen,
daB eine organische Ubereinstimmung nach so vielen Um-
wegen wieder im Psychischen als ein: unbewuBte Identität
zum Vorschein kommt.*) „Anal“ und „Sexual“ Imago, IV, 5. 1916.
sksn4
139
–148