Mythologische Parallele zu einer plastischen Zwangsvorstellung 1916-002/1918
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    MYTHOLOGISCHE PARALLELE ZU EINER
    PLASTISCHEN ZWANGSVORSTELLUNG. *)

    Bei einem etwa 2ljåhrigen Kranken werden die Produkte
    der unbewuften Geistesarbeit nicht nur als Zwangsgedanken,
    sondern auch als Zwangsbilder bewuBt. Die beiden kónnen
    einander begleiten oder unabhängig voneinander auftreten.
    Zu einer gewissen Zeit traten bei ihm innig verknüpft ein
    Zwangswort und ein Zwangsbild auf, wenn er seinen Vater
    ins Zimmer kommen sah. Das Wort lautete: , Vaterarsch",
    das begleitende Bild stellte den Vater als einen nackten, mit
    Armen und Beinen versehenen Unterkérper dar, dem Kopf
    und Oberkórper fehlten. Die Genitalien waren nicht ange-
    zeigt, die Gesichtszüge auf dem Bauch aufgemalt.

    Zur Erläuterung dieser mehr als gewöhnlich tollen
    Symptombildung ist zu bemerken, daß der intellektuell voll-
    entwickelte und ethisch hochstrebende Mann bis über sein
    zehntes Jahr eine sehr lebhafte Analerotik in den verschie-
    densten Formen betätigt hatte. Nachdem sie überwunden
    war, wurde sein Sexualleben durch den späteren Kampf gegen
    die Genitalerotik auf die anale Vorstufe zurickgedrångt.
    Seinen Vater liebte und respektierte er sehr, fürchtete ihn
    auch nicht wenig; vom Standpunkte seiner hohen Ansprüche

    *) Intern. Zeitschr. für ärztl. Psychoanalyse, IV, 1916.
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    196 SCHRIFTEN ZUR NEUROSENLEHRE. IV,

    an Triebunterdriickung und Askese erschien ihm der Vater
    aber als der Vertreter der ,,Völlerei“, der aufs Materielle ge-
    richteten GenuBsucht.

    ⑧ »Vaterarsch“ erklärte sich bald als mutwillige Ver-
    deutschung des Ehrentitels , Patriarch“. Das Zwangsbild ist
    eine offenkundige Karikatur. Es erinnert an andere Dar-
    stellungen, die in herabsetzender Absicht die ganze Person
    durch ein einziges Organ, z. B. ihr Genitale ersetzen, an un-
    bewußte Phantasien, welche zur Identifizierung des Genitales
    mit dem ganzen Menschen führen, und an scherzhafte Redens-
    arten, wie: „Ich bin ganz Ohr,“ ⑧

    Dic Anbringung der Gesichtsziige auf dem Bauche der
    Spottfigur erschien mir zunächst sehr sonderbar. Ich er-
    innerte mich aber bald, ähnliches an französischen Karikaturen
    gesehen zu haben. (Vgl.: Das unanståndige Albion, Karikatur
    von Jean Veber aus dem Jahre 1901 auf England in E.
    Fuchs. Das Erotische Element in der Karikatur 1904.) Der
    Zufall hat mich dann mit einer antiken Darstellung bekannt
    gemacht, die volle Ubereinstimmung mit dem Zwangsbild
    meines Patienten zeigt,

    Nach der griechischen Sage war Demeter auf der Suche
    nach ihrer geraubten Tochter nach Eleusis gekommen, fand
    Aufnahme bei Dysaules und seiner Frau Baubo, verweigerte
    aber in ihrer tiefen Trauer, Speise und Trank zu berühren.
    Da brachte sie die Wirtin Baubo zum Lachen, indem sie
    plötzlich ihr Kleid aufhob und ihren Leib enthüllte. Die
    Diskussion dieser Anekdote, die wahrscheinlich. ein nicht
    mehr verstandenes magisches Zeremoniell erkliren soll, findet
    sich im vierten Bande des Werkes „Cultes Mythes et Reli-
    gions“, 1912, von Salomon Reinach. Ebendort wird auch
    erwähnt, daß sich bei den Ausgrabungen des kleinasiatischen

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    XI. MYTHOL. PARALLELE ZU EINER PLAST. ZWANGSVORSTELLUNG. 197

    rrakotten gefunden haben, welche diese Baubo dar-
    zeigen einen Frauenleib ohne Kopf und Brust,

    auch ein Gesicht gebildet ist; der aufgehobene

    t dieses Gesicht wie eine Haarkrone, (S. Rei-

    y 1o p 11%) i : ⑥