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    [Briefkopf Wien] Semmering, Villa Schüler

    9. 7. 25
    Lieber Freund
    Gestern sagte Anna in ihrem telepathischen Feingefühl, es wäre Zeit, daß wir Nachricht von A. bekommen. Es fehlte uns die Bestätigung, daß Sie bei Ihrer letzten Anstrengung alles Schädliche ausgehustet haben.
    Nun bin ich froh, sie zu besitzen. Ihr Kranksein hat gerade der 21 Jahre wegen für unsere Sache doch mehr zu bedeuten als meines. Die ruhigen Ferien müßten Ihnen aber wohltun, auch ich spüre ihre gute Wirkung. Wenn ich nicht eine launenhaft empfindliche Stelle hätte – Pichler versichert ernsthaft, sie sei nur hyperästhetisch, nicht geweblich krank –, könnte ich mich sehr wohl fühlen und angefangene Schreibereien würden rasch vor- wärts schreiten. Vor seiner Abreise hat der Wackere diese böse Stelle mit einer

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    galvanokaustischen »Roßkur«, wie er sie nannte, angegriffen und so habe ich jetzt die Beschwerden der Brandwunde anstatt der spontanen. Was aber merkwürdigerweise doch ein Gewinn ist.
    Zu Ihrem Amusement erzähle ich Ihnen, daß heute eine Nummer des »Matin« eingelaufen ist, die einen leader über die Psychoanalyse bringt. Das scheint ja nichts besonderes, aber dieser »Matin« erscheint in Port-au-Prince auf Haiti, und mit dort korrespondiert man nicht alle Tage.
    Auf dem Semmering sind wir vorläufig in der Erdbeersaison, bei den Himbeeren werde ich Ihrer Mithilfe gewiß gedenken. Nehmen Sie meine wärmsten, aufrichtigsten – weil im Grunde recht egoistischen – Wünsche für rasche und volle Herstellung entgegen, und grüßen Sie mir Ihre gewiß überfrohe Frau und Kinder.
    Herzlich Ihr Freud