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[Rubrik: Zur psychoanalytischen Bewegung.]
Dr. Anton v. Freund †.
Am 20. Jänner 1920, wenige Tage nach vollendetem 40. Lebens-
jahr, starb in einem Wiener Sanatorium Dr. Anton v. Freund,
seit dem Budapester Kongreß im September 1918 Generalsekretär
der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung. Er war der
stärkste Förderer und eine der schönsten Hoffnungen unserer Wissen-
schaft! In Budapest 1880 geboren, erwarb er das Doktorat der
Philosophie und bestimmte sich selbst zum Lehramt, ließ sich aber
dann bewegen, in die industriellen Unternehmungen seines Vaters
einzutreten. Die großen Erfolge, die er als Fahrikant und Orga-
nisator erzielte, konnten aber die beiden, aus der Tiefe seines Wesens
drängenden Bedürfnisse nach sozialer Hilfeleistung und nach wissen-
schaftlicher Betätigung nicht befriedigen. Für seine eigene Person
anspruchslos, mit allen Gaben ausgestattet, durch die man die
Menschen bezaubert und ihre Liebe gewinnt, verwendete er seine
materiellen Machtmittel dazu, um andere zu fördern, die Härten
ihres Schicksals zu mildern und überall den Sinn für soziale Ge-
rechtigkeit zu schärfen. Er erwarb sich so einen großen Kreis von
Freunden, die seinen Verlust schwer empfinden werden.Als er in den letzten Jahren seines Lebens die Psychoanalyse
kennen lernte, schien ihm die Erfüllung seiner beiden großen Wün-
sche in einem zu winken. Er stellte sich die Aufgabe, den Massen
durch die Psychoanalyse zu helfen, die Heilwirkung dieser ärztlichen
Technik, die bis dahin nur wenigen Reichen zu gute kommen konnte,
zur Linderung des neurotischen Elends der Armen zu nützen. Da
der Staat sich um die Neurosen der Bevölkerung nicht kümmerte,
die Kliniken zum größten Teil die psychoanalytische Therapie ver-
warfen, ohne einen Ersatz für dieselbe bieten zu können, und die
vereinzelten psychoanalytischen Ärzte, an die Notwendigkeit der
Selbsterhaltung gebunden, einer so riesigen Aufgabe nicht ge-
wachsen waren, wollte Anton v. Freund durch seine private Ini-
tiative den Weg zur Erfüllung einer so wichtigen sozialen PflichtS.
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für alle eröffnen. Während der Kriegsjahre hatte er eine damals
sehr beträchtliche Summe, mehr als 1½ Millionen Kronen, für
humanitäre Zwecke der Stadt Budapest gesammelt. Diesen Betrag
bestimmte er nun im Einvernehmen mit dem damaligen Bürger-
meister Dr. Stephan v. Bárezy für die Gründung eines psycho-
analytischen Instituts in Budapest, in dem die Analyse gepflegt,
gelehrt und dem Volke zugänglich gemacht werden sollte. Es be-
stand die Absicht, daselbst in größerer Zahl Ärzte zur psycho-
analytischen Praxis auszubilden, die dann von der Anstalt für die
Behandlung der armen Neurotiker aus dem Ambulatorium zu hono-
rieren wären. Außerdem wäre das Institut ein Mittelpunkt für
die wissenschaftliche Fortbildung in der Analyse geworden. Dr. Fe-
renczi war zum wissenschaftlichen Leiter der Anstalt bestimmt,
v. Freund selbst hätte seine Organisation und Erhaltung über-
nommen. Einen entsprechend kleineren Betrag übergab der Stifter
Prof. Freud zur Gründung eines Internationalen Psychoanalytischen
Verlags.Aber „Was sind Hoffnungen, was sind Entwürfe,
die der Mensch, der vergängliche, baut?“v. Freunds vorzeitiger Tod hat diesen menschenfreund-
lichen und für die Wissenschaft so hoffnungsvollen Plänen ein Ende
gesetzt. Obwohl der von ihm gesammelte Fonds noch vorhanden
ist, läßt doch die Haltung der gegenwärtigen Machthaber in der
ungarischen Hauptstadt die Verwirklichung seiner Absichten nicht
erwarten. Nur der psychoanalytische Verlag ist in Wien ins Leben
getreten.Das Beispiel, das der Verstorbene geben wollte, hat trotzdem
bereits seine Wirkung geübt. Wenige Wochen nach seinem Tode
ist in Berlin dank der Energie und Liberalität von Dr. Max Eitin-
gon die erste psychoanalytische Poliklinik eröffnet worden. So
findet Freunds Werk Fortsetzer, seine Person bleibt unersetzlich
und unvergeßlich.Redaktion und Herausgeber der
Internationalen Zeitschrift für Psychoanalyse.
InternationaleZeitschriftFuumlrPsychoanalyseVi1920Heft1
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