Gedankenassozation eines vierjährigen Kindes 1920-003/1926
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    GEDANKENASSOZIATION EINES VIER-
    JÄHRIGEN KINDES

    Zuerst erschienen in der „Internatio-
    nalen Zeitschrift für Psychoanalyse“,
    VI, 1920.

    Aus dem Brief einer amerikanischen Mutter: „Ich muß
    Dir erzählen, was die Kleine gestern gesagt hat. Ich kann
    mich noch gar nicht fassen darüber. Cousine Emily sprach
    davon, daß sie sich eine Wohnung nehmen wird. Da sagte
    das Kind: Wenn Emily heiratet, wird sie ein Baby be-
    kommen. Ich war sehr überrascht und fragte sie: Ja, woher
    weißt du denn das? Und sie darauf: Ja, wenn jemand
    heiratet, dann kommt immer ein Baby. Ich wiederholte:
    Aber wie kannst du das wissen? Und die Kleine: Oh, ich
    weiß noch sehr viel, ich weiß auch, daß die Bäume in der
    Erde wachsen (in the ground). Denke Dir die sonderbare
    Gedankenverbindung! Das ist ja gerade das, was ich ihr
    eines Tages zur Aufklärung sagen will. Und dann setzt sie
    noch fort: Ich weiß auch, daß der liebe Gott die Welt
    schafft (makes the world). Wenn sie solche Reden führt,
    kann ich mir’s kaum glauben, daß sie noch nicht einmal
    vier Jahre alt ist.“

    Es scheint, daß die Mutter den Übergang von der ersten
    Äußerung des Kindes zur zweiten selbst verstanden hat. Das

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    Kind will sagen: Ich weiß, daß die Kinder in der Mutter
    wachsen, und drückt dies Wissen nicht direkt, sondern
    symbolisch aus, indem es die Mutter durch die Mutter Erde
    ersetzt. Wir haben bereits aus vielen unzweifelhaften Beob-
    achtungen erfahren, wie frühzeitig sich die Kinder der
    Symbole zu bedienen wissen. Aber auch die dritte Äußerung
    der Kleinen verläßt den Zusammenhang nicht. Wir können
    nur annehmen, daß das Kind als ein weiteres Stück seines
    Wissens über die Herkunft der Kinder mitteilen wollte: Ich
    weiß auch, das ist, alles das Werk des Vaters. Aber diesmal
    ersetzt sie den direkten Gedanken durch die dazugehörige
    Sublimierung, daß der liebe Gott die Welt schafft.