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S.
[Briefkopf Wien] 21. 1. 20.
Lieber Herr Doktor
Toni Freund ist gestern gestorben, friedlich von seinem unheilbaren Leiden erlöst. Für unsere Sache ein schwerer Verlust, für mich ein scharfer Schmerz, den ich aber im Laufe der letzten Monate assimilieren konnte. Er hat seine Hoffnungslosigkeit mit heldenhafter Klarheit ertragen, der Analyse keine Schande gemacht.
Als er Ihren Brief bekam, in dem Sie ihn als Mitglied des Komitees begrüßten, weinte er und sagte: Ich weiß, der wird mein Nachfolger. Dabei deutete er auf den Komiteering, den er von mir erhalten hatte.1 Er hatte mit gewohntem Scharfsinn richtig geraten, ich hatte Ihnen diesen Ring bestimmt, der einen besonders interessanten Stein hat, und bemühte mich darum um keinen anderen für Sie. Einige Zeit später legte er wirklich den Ring ab und gab den Auftrag, ihn mir nach seinem Tode zurückzustellen. Gestern bat mich aber die junge Witwe,2 ihr den Ring zu überlassen, da es der einzige ist, den er je getragen. Ich stimmte natürlich zu, bin aber jetzt zufrieden, daß Ernst mir Ihr Fingermaß geschickt hat, und suche einen Stein.
Ich danke Ihnen herzlich für Ihre Freundlichkeit mit meinen beiden Söhnen oder vielmehr, ich gewöhne mir das Danken bereits ab und freue mich bloß.
Daß Ihr Vater einen Gratulationsbrief von mir in würdigster und schmeichelhafter Weise beantwortet hat, wollte ich Ihnen nicht vorenthalten. Ich weiß aber jetzt in meinen Briefen nie, was ich bereits im vorigen geschrieben habe.
Auf Antwort von Abraham3 warte ich gespannt. Wir können uns an die langen Intervalle4 noch immer nicht gewöhnen.
Wenn Oli noch bei Ihnen ist, so grüßen Sie ihn herzlich von seiner Familie.
Den größeren Teil meines Kronenvorrates habe ich heute zu 5’25a5 in Mark umgesetzt. Bei dem täglich gesteigerten Wertverfall wird man doch ängstlich. Sie erinnern sich, daß ich aucha die Verwandlung der schwedischen in deutschösterreichische Kronen nicht mochte. Die Mark wird so wenig untergehen wie Deutschland selbst.6
Aus Ihrem Brief vom 28/XII beantworte ich noch die Frage nach Ranks geschäftlichen Erfolgen durchaus negativ.
Ich grüße [Sie] und Ihre liebe Frau herzlich
Ihr Freud
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S.
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