• S.

    [Briefkopf Wien]  Bad Gastein 3. 8. 20a

    Villa Wassing

    Lieber Max

    Hier sitze ich also, arbeitsfrei und ziemlich arbeitsunlustig, in einer nur durch die Gesellschaft meiner guten Schwägerin modifizierten Einsamkeit, in Erwartung einer großen Hebung aller meiner Kräfte, bis wir uns in Hamburg wiedersehen. Die letzten Wochen in Wien waren besonders hart. Ich war nicht glücklich, daß ich auch noch Königsberger sitzen mußte. Aber Sie haben recht, er ist ein lieber und geschickter Junge: Die Büste, die er im Groben mitbrachte, war erstaunlich gut, machte etwa den Eindruck eines antiken Brutuskopfes, sie wirkte eher übergewaltig. Er hat dann sehr viel nach dem Modell an ihr geändert, das Ergebnis hat allen Familienmitgliedern sehr gefallen, Ferenczi, der unvermutet für die letzte Woche hier ankam, sehr viel weniger. Ich bin neugierig, was Sie dazu sagen werden. Mein Urteil ist, daß ich keinen Kopf habe, mit dem ein Künstler etwas anfangen kann. Ich rede ihnen dann immer zu einer Art Karikatur zugunsten der Charakteristik zu, aber das wollen sie nicht.

    Ich bin froh, daß das ‚Jenseits‘ schon im Satz ist. Für das nächste, die ‚Massenpsychologie und Ichanalyse‘, sind die Chancen hier schlecht. Ich spüre das Alter doch recht deutlich, möchte aber die Verjüngung durch Schüler und Fortsetzer jeder anderen vorziehen.

    Seitdem ich Ihnen zuletzt geschrieben, ist auch die amerikanische Übersetzung der ‚Vorlesungen‘ angekommen. Jones macht eine sorgfältigere Ausgabe für England.1 Ich sehe mit Spannung Ihrem ersten Zusammentreffen mit den Komiteemitgliedern entgegen. Es gibt soviel Wichtiges zu entscheiden, daß wir trachten sollten, schon am 6. Sept. morgens im Haag zusammenzukommen.

    Von Ihnen weiß ich, daß die beiderseitige Familie Ihnen die verschiedenartigsten schweren Aufgaben gestellt hat. Hoffentlich ließ sich das meiste befriedigend erledigen. – Der Kongreßfond ist nach Bericht von Rank gleich nach meiner Abreise eingetroffen, ich hatte ihm eine Vollmacht zum Bezug hinterlassen.

    Gerne hörte ich, daß Ihre liebe Frau sich wieder getröstet hat. Ich hoffe, Sie lassen mich immer um Ihre Adresse wissen.

    In herzlicher Freundschaft

    Ihr Freud

     

    a Adressiert nach: Franzensbad, Hotel Imperial, Böhmen.