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[Briefkopf Wien] 29. XII. 24.a
Lieber Max!
Da Ihre Herkunft einen Aufschub erfahren hat, erwartete ich brieflich von Ihrer Reaktion auf Ranks Umkehr zu hören. Anstatt dessen erhielt ich Nachricht von Lampl und schreibe Ihnen darum ohne weiteres Abwarten.1
Ich verstehe sehr wohl, daß Sie ein Stück Argwohn reservieren. Es kommt daher, daß Sie, trotz der Bekenntnisse von Rank, nicht den ganzen Hergang kennen, der sich einer brieflichen Darstellung ja widersetzt. Ich darf sagen, daß ich alles weiß, alles übersehe und daß infolgedessen mein Vertrauen zu ihm ohne Abzug wiederhergestellt ist. Es war eine sehr traurige Geschichte, die leicht ein böses Ende hätte nehmen können. Er hat seine Neurose agiert, merkwürdigerweise ganz in Übereinstimmung mit der Forderung, die er selbst in seinem Buch mit Ferenczi aufgestellt hat.2 Wohl ist ihm dabei nicht worden, er ist jetzt noch von seinem Erlebnis tief erschüttert, aber ich meine, er darf erwarten, daß wir ihm dieses Erlebnis mitsamt der anschließenden Klärung als zureichenden Ersatz für die versäumte Analyse anrechnen. Ich bin ziemlich sicher, daß er dauernd geheilt ist, das heißt, daß er dergleichen nicht wiederholen wird.
Es ist sehr merkwürdig auch, daß seine Neurose geradezu die Ergänzung zum ‚Trauma der Geburt‘b bildet, all das enthält, was im Buch mehr oder minder deutlich unterschlagen ist.3 Er ist jetzt auch bereit, seine theoretischen Ansichten zu revidieren und in ziemlichem Ausmaß zurückzunehmen. Natürlich kann das nicht auf einmal geschehen, er muß sich zuerst klar darüber werden, bis zu welchem Maß seine Theorie durch seine Komplexe determiniert worden ist. Ich erwarte, daß er doch binnen kurzem nach Amerika zurückgehen wird. Er verspricht, dort alles gutzumachen, was er verdorben hat, täuscht sich aber nicht in der Schwierigkeit der Aufgabe dort wie hier. Eine einfache restitutio ad integrum4 ist ja überhaupt unmöglich. Er kann die abgelegten Funktionen nicht wieder aufnehmen und muß langsam wieder das Vertrauen seiner früheren Freunde und Arbeitsgefährten zurückgewinnen. Natürlich bin ich doch sehr froh, daß die peinliche Angelegenheit wenigstens diesen Ausgang gefunden hat.
Bedenklich bliebe vielleicht der eine Punkt, daß er einen verhältnismäßig großen Krankheitsgewinn von seinem Anfall gehabt hat. Er ist ja unabhängig und für seine Verhältnisse wohlhabend geworden. Aber er leidet jetzt schwer und bemüht sich, anständig Buße zu tun. Dem Verlag hat er ein Geschenk von 1000 Dollars gemacht. Seine Frau widerstrebt einer endgiltigen Übersiedlung nach Amerika.
Über den Zeitpunkt der Generalversammlung, die Sie nach Wien führen soll, weiß ich nichts. Dr. Rosenfeld ist schwer erkrankt,5 ich erwarte eben Nachricht, ob es zu einer Operation kommen wird. Ich muß Sie bitten, sich mit dringender Aufforderung an die Kanzlei zu wenden und die Erledigung der Sache von Berlin aus über Budapest zu betreiben. Zieht es sich zu lange hinaus, so machen Sie wohl Ihren Besuch von der Generalversammlung unabhängig.
Dieser Brief erreicht Sie hoffentlich zu Neujahr, für welchen Zeiteinschnitt Sie meinen wärmsten Dank für all Ihre freundschaftlichen Bemühungen und meine Wünsche für die Fortdauer des Wohlbefindens bei Ihnen und bei Mirra annehmen wollen. Ich fasse mich mit herzlichen Worten kurz, denn ich habe ja die Aussicht, Sie früher als andere wieder zu sehen.
Ihr Freud
a Masch.
b Im Original keine Anführungsstriche.
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