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    [Briefkopf Wien] Semmering

    23. 9. 27

    Lieber Max

    Anbei ein Brief von Brill, den ich Ihnen nicht vorenthalten darf. (Rücks[endung] erb[eten].) Er gibt Ihrem Urteil recht, daß eine Sezession der New Yorker nicht so bald zu befürchten ist. Der Brief zeigt die für Brill charakteristische Seichtigkeit. Daß er durch meine Urteile und Äußerungena beleidigt ist, bleibt die letzte Tatsache, hinter die er nicht geht. Ob ich irgendwie Anlaß zu solchen Äußerungen gehabt habe, ob er selbst nichts dazu getan haben kann, meine Unzufriedenheit zu motivieren, daß dies die eigentliche Aufgabe eines Briefes von seiner Seite sein sollte, das fällt ihm nicht ein. Immerhin darf der Brief als eine aufrichtige Äußerung betrachtet werden; insofern sticht Brill vorteilhaft von Jones ab. Ich habe ausführlich geantwortet, auf einem Hintergrund von freundschaftlichem Wohlwollen streng und aufrichtig, natürlich leugnen können, daß ich den Austritt der New Yorker herbeiführen wollte, aber scharf betont, daß, wenn sie das tun wollen, wir weder in wissenschaftlicher noch in kollegialer oder materieller Hinsicht etwas einbüßen. Ich will es mit dieser Änderung der Taktik, allerdings etwas spät, versuchen. Immer war ich der Tolerante, der beschwichtigen wollte; genützt hat es mir wenig, das Bedürfnis der anderen hat mir immer ein Maß von Intoleranz und Aggression zugeschrieben, das mir ferne lag. Jetzt will ich ihnen den Gefallen tun, von nun an will ich der Anspruchsvolle, Gestrenge und Unzufriedene sein. Ich habe mehr Recht dazu als sie.

    In demselben Sinn habe ich an Jones geschrieben und offen Rechenschaft von ihm verlangt wegen seines zweideutigen Benehmens in der amerikanischen Sache und seiner ganz unzweideutigen Feindseligkeit in der Campagne gegen Anna.1 Diese ärgert mich weit mehr, als ich Anna zeigen will. Gegen Jones habe ich kein Geheimnis gemacht und die Leichtfertigkeit, das Übelwollen, die unglaublichen theoretischen Torheiten, die dabei zum Vorschein kamen, scharf genug verurteilt. Unter anderem bin ich auch persönlich [ge]worden und habe ihm gesagt, daß Anna gewiß länger und gründlicher analysiert worden ist als er. Der Erfolg dieser Behandlung mit kaltem Wasserstrahl bleibt abzuwarten. Da Sie sich jetzt in Versöhnlichkeit spezialisieren, kann ich ganz gut die Aggression übernehmen. Zusammen entsprechen wir dann der gewünschten typischen Vaterfigur.

    Jelliffe war bei einem zweiten Besuch weit zärtlicher, rezeptiver und hörte die scharfe Kritik seiner Landsleute geduldig anb. –

    Es ist unfreundlicher Herbst geworden. Am 29. gehen wir nach Wien. Ich erwarte, da das Komitee durch den Vorstand ersetzt ist, dem ich nur hinter Anna angehöre,2 Ihre Vorschläge betreffs der Art der Korrespondenz.

    Mit herzlichen Grüßen für Sie und Mirra

    Ihr Freud

     

    a Erster Buchstabe korrigiert aus: [?].

    b Korrigert aus: ein.