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S.
[Briefkopf Wien] 27. 3. 1929
Lieber Max
Montag abends1 habe ich Storfer bei mir gesehen und ihm die beiden bei mir eingelaufenen Beträge übergeben. (Der Scheck auf $ 1500 fand seine Aufklärung durch einen vorgefundenen, sehr freundlichen Brief von Brill. Danach sind $ 1000 von einer Patientin, die nicht genannt sein will, und 500 sein eigener Beitrag.) Ferner habe ich St. recht feierlich verwarnt und ihn darauf vorbereitet, daß Sie eine Bilanz durch einen fremden Sachverständigen bestellen werden. Es schien ihm ganz recht zu sein. Anders benahm er sich, als ich mit der Aufforderung herausrückte, Radó einen, wenn auch reduzierten, Gehalt zu zahlen. Kurz gesagt, ich habe nichts ausgerichtet, nur Einblick in einen garstigen Zustand bekommen. Es handelt sich um einen ganz überflüssigen Konflikt zwischen zwei ungezogenen und unbeherrschten Leuten, von denen der eine überdies ein pathologischer Narr ist. St. hat R. geschrieben, er schäme sich, Mitglied einer Redaktion zu sein, die so schlechte Arbeit leistet, R. ihn darauf aufgefordert, seine Briefe auf weiches Papier zu schreiben zur hygienischen Verwendung. St.s Hauptvorwurf scheint zu sein, daß die Redaktion die Manuskripte erst in den Fahnen korrigiert, was die Druckkosten erheblich steigert, und daß R. die Redaktion der ‚Imago‘ nicht aufgibt, obwohl er nach St.s Behauptung nicht einmal Zeit für die Geschäfte der ‚Zeitschrift‘ hat. St. selbst streicht seine Uneigennützigkeit und volle Hingebung an die Arbeit heraus. Meine Bemerkungen, daß er nicht Richter in eigener Sache sein kann, unmöglich R. durch Gehaltentzug bestrafen darf und im Fall der Unverträglichkeit eben die Entscheidung eines übergeordneten Dritten anrufen soll, fanden keinen Anklang. St. berief sich darauf, daß R. freiwillig und noch vor dem Austausch der groben Beschimpfungen auf den Gehalt verzichtet hat. Es scheint mir klar, daß R. zwei taktische Fehler begangen hat, erstens den Streit ebenso wie St. als Privatsache zwischen den beiden zu behandeln, und zweitens gegen St. auf den Gehalt zu verzichten, als ob er ihn von St. bekäme, anstatt gegen Sie oder mich. Ich behauptete sogar im Gespräch mit St., daß ich nichts von diesem Verzicht wüßte. Anna sagte mir später, damit hätte ich unrecht, Sie hätten es mir erzählt, ich also daran vergessen. Das ganze ist unerfreulich.
Lehrman schreibt aus Paris, er habe Jones gesprochen,2 und der seems quite bent to protect America. Das ist auch nicht hoffnungsvoll. Jones will mich im Juni besuchen. Ob man ihm nicht vorschlagen soll, wenn er das Thema vom Kongreß fernhält, in der Pause bis zum nächsten eine friedliche Spaltung der I.P.V.a herbeizuführen?b Zum Nachgeben in der Laienfrage habe ich keine Lust, und überbrücken wird sich der Zwiespalt nicht lassen.
Genug der Geseres3 für heute. Wir hatten eine sehr gute Reise.4
Ich grüße Sie herzlich
Ihr Freud
a MS: I.ps.V.
b MS: Punkt statt Fragezeichen.
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S.
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