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    [Briefkopf Wien] 15. 2. 1930

    Lieber Max

    Ich danke Ihnen für die mit Alexander übersandten Zigarren, ich hatte sie schon sehnsüchtig erwartet. Der Abend bei mir1 verlief sehr angeregt, Alex[ander] benahm sich im Vortrag einigermaßen einfältig, Staub2 machte einen sehr klugen Eindruck.

    Dr. Graber,3 jetzt in Stuttgart, ersucht mich um eine Empfehlung zur Aufnahme in die Deutsche psychoanalytische Gesellschaft. Er ist nicht Arzt; ich glaube, seine Publikationen und seine Gesinnung geben ihm ein Anrecht.

    Ich erhielt durch Sie ein Heft ‚Hypnoanalyse‘ von Lifschitz in Moskau.4 Haben Sie es gelesen? Kennen Sie den Mann, und haben Sie ein Urteil darüber, wieweit er der Wahrhaftigkeit verdächtigt werden darf? Unzweifelhaft scheint mir, daß er ein Esel ist und seine Arbeit den Normen einer Kultur unterworfen hat, in der die Reflexologie5 offiziell anerkannt, die Psychologie aber verboten ist. Seine Kenntnis der Psychoanalyse ist nicht weit her, nach seinen Zitaten zu schließen, den einzigen, etwas abgelegenen Autor, den er erwähnt, heißt er Spengler, meint wohl Sperber6. Er bestätigt alle ps[ychologischen] Charaktere des Traumes, die ich beschrieben habe, doch ist für ihn der Traum sinnlos. Daß diese Charaktere nur unter der gegenteiligen Voraussetzung gefunden werden konnten, geniert ihn nicht. Glücklicher Schwachkopf! Und dabei geht ihm alles gut aus, offenbar auf das Kommando der Sowjets. Die Übersetzung ist fürchterlich und läßt ihn noch mehr Unsinn sagen, als sein Auftrag rechtfertigt. – Aber ich werde noch einmal meine Eingeweide aufreißen, um der Welt etwas zu beweisen wie, daß der Traum einen Sinn hat! Nebenbei bekommt er grad soviel Attentate bei seinen Hyst[erischen] heraus wie ich im hypnotischen Stadium der Analyse.7 Aber erlauben Sie, daß ich die Kritik abbreche und Sie herzlich grüße.

    Ihr Freud