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S.
[Briefkopf Wien] 23. XI. 1930
Lieber Max
Ich habe Ihnen auf mehreres zu antworten.
Die Verspätung des Institutsberichts möchte ich nicht schwer nehmen, obwohl ich ihren Grund nicht weiß. Zum Teil war sie die Folge des Wartens auf den Einband meines Exemplars. Radó hat sich darob entschuldigt, auch ohne nähere Aufklärung.
Näher geht mir, was Sie über Ihre persönliche[n] Beziehungen in Berlin als Antwort auf eine Bemerkung meines Briefes sagen. Ich habe nicht die Absicht, Ihnen in dieser Sache weitere Vorhaltungen zu machen. Nach den Mitteilungen, die mir geworden sind, stecken Weibergeschichten hinter diesen Empfindlichkeiten, und ich möchte Ihre Privata gewiß nicht weniger respektieren als die der anderen. Besorgen Sie also nicht, daß ich davon zu reden beginne.
Der eine der Brasilianer heißt wirklich Carrero (Dr. J. P.a Porto Carrero), wie ich aus No. 1 der ‚Revista Brasileira de Psychoanalyse‘, Junho de 1928, abschreibe. Ich habe seither keine neue Nummer bekommen, glaube, auch keinen Brief, und weiß nicht, was dort vorgeht. Yabe hat auch mir geschrieben, das Gruppenbild erst angekündigt, ich werde es also auch später als Sie erhalten.
Daß Sie meine kurze Korrespondenz mit Einstein einsehen wollen, ist mir im Grunde nicht sehr recht. Sie verlief so. Ich war grade an seinem 50. Geburtstag in Berlin (wirklich?), schrieb ihm eine Karte, in der ich ihn einen „Glücklichen“ nannte. Er antwortete sehr verständig, woher ich das wisse; ich hätte doch nicht in ihn hineingeschaut. Darauf schrieb ich einen langen Brief, in dem ich erklärte, warum ich ihn für glücklich hielt, nämlich weil er mathematische Physik treiben darf und nicht Psychologie, in die jeder hineinredet.1 Aber ich konnte doch meinen Neid nicht eingestehen, ohne für meine Wissenschaft eine Lanze zu brechen und ihr den Vorzug vor allen anderen zu geben. Da ich ihn ausdrücklich gebeten hatte, mir nicht zu antworten, war unsere Korrespondenz damit zu Ende. Aber mein Brief war doch ein Unsinn, erstens eine überflüssige Intimität zu einem Fremden und zweitens unangebracht, weil sich später seine völlige Verständnislosigkeit für die Psychoanalyse herausstellte. Ich habe nur ein Interesse daran, daß Sie den Brief in die Hand bekommen, wenn Sie auch die Vollmacht erhalten, ihn zu vernichten.
Es geht mir sonst ordentlich; ich erwarte Sie also am Ende der nächsten Woche.
Herzlich
Ihr Freud
a Gestrichen: Ca.
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S.
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