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[Briefkopf Wien] 16. 4. 1931
Lieber Max
Gestern abends war Storfer bei mir. Ein ganz verändertes Bild, d. h. wieder das frühere. Buttermilch, Rosenhonig, die Person A. J. St. ist ganz im Verlag aufgegangen, ist froh, sich ihm zum Opfer bringen zu können. Der Verlag hat übrigens glänzende Aussichten, wenn er nur das neue Wilsonbuch (das erst halb fertig ist) von mir erhält. Bis auf einen Posten können alle Schulden weiter getragen werden. Einzige Sorge, wie er sich meiner in alle Welt verstreuten Korrespondenz bemächtigen kann! (Nebenbei kein Motiv für mich, mein Ableben zu beschleunigen.) Womit er sich hat abkaufen lassen, nicht berührt; auch kein Wort zur Entschuldigung oder Erklärung seiner plötzlichen Auflehnung. Offenbar hat er sich längst alles verziehen.
Ich bin mit mir gegenwärtig nicht zufrieden. Angesichts einer neuen Unsicherheit und Drohung habe ich meine überlegene Indifferenz eingebüßt, werde sie aber bald wieder haben, gewiß sobald die Lage geklärt sein wird. Ich habe seit diesem Herbst, wie Sie wissen, zwei kleinere Operationen im Wundgebiet gehabt. Die erste, weil ein Teil der alten Narbe verdächtig schien; die histologische Untersuchung wies angeblich die volle Unschuld nach. Bald nachher zeigte sich am Rand der neuen Narbe eine polypartige Erhebung, auf deren sofortigera Entfernung Pichler (7. Febr.) bestand. Die Veränderungen durch den Heilungsprozeß nach diesem Eingriff sind bis heute nicht überwunden, aber ich habe seither keinen erträglichen Tag mehr gehabt. Nun hat sich wenige Tage nach dieser zweiten Operation die Schleimhaut zu einer mächtigen Falte aufgeworfen, die dem Chirurgen wiederum mißfällt. Seine Rede ist, das ist gewiß nicht bösartig, aber es kann so werden, und warum soll man nicht das noch harmlose Vorstadium entfernen. Meine beiden Leibärzte1 und ich selbst antworten, weil man keine Sicherheit hat, daß sich solche Faltenbildungen oder Wucherungen [nicht] auch nach der neuen Operation, vielleicht grade darum, bilden werden, während es sicher ist, daß ein monatelang anhaltendes Elend die Folge sein wird. Es ist aber schwer, gegen eine Autorität wie Pichler zu streiten. Wir sind auf die Auskunft verfallen, eine Radiumbehandlung als Alternative in Betracht zu ziehen, und da in Wien niemand ist, dem man darin genug Erfahrung zutraut, ist Dr. Schur2 auf die Idee gekommen, Prof. Rigaud (oder Rigault?)3 in Paris, der als der beste Kenner dieser Dinge gilt, zu einem Gutachten einzuladen. Die Verhandlungen mit ihm, der augenblicklich in Locarno ist, gehen über die Prinzessin, die ihm befreundet ist. Nun wird erwartet, daß er zusagen und bald hier eintreffen wird. Er soll entscheiden, ob diese papillären Erhebungen pathogene Bedeutung haben, ob und in welcher Weise sie mit Radium behandelt werden sollen und was man dabei an Gefahren riskiert. Vielleicht wird aus alledem nichts, und ich muß mich wieder dem Messer unterwerfen. Auf alle Fälle können Sie es verstehen, wenn ich [in] den nächsten Wochen weder in der Stimmung noch in der Verfassung sein werde, mich an Feierlichkeiten zu beteiligen.
Sie haben jetzt alles erfahren, was derzeit über mich zu sagen ist. Nun warten Sie ruhig die weiteren Nachrichten ab, die ich Ihnen ohne viel Verzug zukommen lassen werde.
Mit herzlichen Grüßen für Sie und Mirra unterdes
Ihr Freud
a MS: sofortigen.
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