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    [Briefkopf Wien] [25.] Juni 1931a

    Lieber Max

    Man hat mir verraten, an welchem Tag Sie Ihr erstes Halbjahrhundert vollenden.1 Die Zahl kann mir natürlich nicht imponieren, aber die Gelegenheit will ich [nicht] ungenützt lassen, um Ihnen ein paar herzliche Worte zu sagen. Sind wir doch alle so gebaut, daß Kritik und Vorwurf gebieterisch nach Ausdruck drängen, während Zufriedenheit und Zärtlichkeit meinen, sie müssen sich schamhaft verbergen. Auch ich sage es ja nicht oft, aber ich vergesse nie daran, was Sie in diesen Jahren, auch nach der Gründung des mustergiltigen Berliner Instituts, für unsere Sache, die ja uneingeschränkt die Ihre ist, in Ihrer stillen und dabei unwiderstehlichen Art geleistet haben. Niemand außer mir weiß es, und niemand vielleicht dankt Ihnen dafür. Es gab doch keine noch so schwierige und undankbare Aufgabe, die Sie in der Zeit Ihrer Präsidentschaft nicht auf sich genommen und – glücklich erledigt hätten. Am liebsten sähe ich Sie als Präsident auf Lebenszeit, um die Zukunft meinerb Schmerzenskinder, der Internationalen Vereinigung und des Verlags, zu sichern. Einigermaßen, bilde ich mir ein, haben Sie das alles auch meinetwegen getan, was man grade darum, weil es keinen vernünftigen Grund hat, am meisten zu schätzen versucht ist. Unser herzliches Einvernehmen – nicht wahr? – war auch niemals ernsthaft getrübt.

    Wünsche haben wir uns alle abgewöhnt, befreit von jedem Rest von Glauben an die Allmacht der Gedanken und in moslemischer Ergebenheit der Anankec2 unterwürfig. Aber Sie wissen ———

    Lassen Sie mich die Feierlichkeit abstreifen und diesen Brief wie einen anderen mit kleinen und banalen Dingen beenden.

    Anna wünscht sich aus dem Fond für ihre Stipendienzwecke3 einen Betrag von etwa 1500 Schilling. Ich hoffe, Sie sehen keine Schwierigkeit, ihn zu bewilligen. – Seit dem von der Prinzessin mitgeteilten Gutachten der Pariser Autorität R[egaud] gestattet man mir allgemein ein mäßiges Rauchen.4 Ich werde Ihnen also mitteilen, wenn mein Vorrat zu Ende geht.

    Pötzleinsdorf ist noch immer wunderschön, nur daß ich nicht zu ernsthafter Arbeit komme.

    Herzlich wie immer und besonders herzlich heute

    Ihr Freud

     

    a Im MS fehlt das Tagesdatum, es wurde von Eitingon (vermutlich später; um 1940?) mit Bleistift ergänzt. Der zugehörige Briefumschlag trägt lediglich die Aufschrift: Herrn Dr. Max Eitingon, Berlin; außerdem den Zusatz (mit grünem Farbstift; von fremder Hand?): M. 50. Geb[urtstag].

    b Korrigiert aus: meines.

    c Im MS in griechischen Buchstaben.