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S.
[Briefkopf Wien] 8. 8. 1931
Lieber Max
Meinen Dank für Ihre brieflich und telegraphisch ausgedrückte Teilnahme kann ich doch nicht anders zeigen als durch raschen Bericht über den weiteren Verlauf der Sache.
Ruth war in täglicher Gesprächsverbindung mit dem Mann Kazanjian während des Kongresses in Berlin1. Am Donnerstag ließ er sie wissen, daß er nicht zu kommen gedenke. Er habe mit Pichler gesprochen und ihm die Vollendung der Prothese übertragen. Einige Tage vorher war die Prinzessin zur Fortsetzung ihrer Analyse hier eingetroffen. Am selben Tag überraschte sie mich in ihrer Stunde mit dem fait accompli, daß sie bereits die Fahrkarte gelöst habe, um selbst nach Paris zu gehen und den Mann herzubringen. Das hatten die beiden Frauenzimmer untereinander ausgemacht. Donnerstag mittags ist sie wirklich abgereist. Gestern abends haben wir vom Erfolg erfahren, der durch eine telegraphische Einmengung von Judge Mack2 gewiß beeinflußt wurde. Er ist einer der Overseer von Harvard, wo Kaz. Professor ist. Er kommt, d. h. die Prinzessin bringt ihn mit Frau und Tochter, sozusagen an der Leine, nach Wien, wo sie Sonntag abends zu erwarten sind. Das Haupthindernis scheint die dumme und neurotische Frau gewesen zu sein, die nicht ohne ihn bleiben will. Gleichzeitig sind die Bedingungen zu seinen Gunsten geändert worden. Er bleibt nur zwei Wochen, macht nur die Obturatoren3 zu den alten Goldplatten Schröders (die nicht schlecht sind) und bekommt denselben Betrag, $ 6000, den er früher für vier Wochen und die ganze Arbeit verlangt hatte, zahlt aber für seine Auslagen selbst. Dr. Weinmann, der auch auf dem Kongreß war, kommt gleichzeitig mit.
Das Benehmen des Künstlers ist weit entfernt von Korrektheit, wie Sie selbst urteilen werden. Etwas armenisch! Man sagt mir, daß Charakter und Geschicklichkeit bei Zahnkünstlern eher umgekehrt proportional sind.
Mir imponiert die Energie von Ruth und Marie. Ich ergebe mich drein; sicher ist der Geldverlust, unsicher, wieviel ich herausbekomme. Hoffentlich doch etwas, wahrscheinlich nicht viel.4
Die schwere Hitze der letzten Woche hat mein Allgemeinbefinden nicht günstig beeinflußt.
Mit herzlichen Grüßen
Ihr Freud
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