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S.
[Briefkopf Wien] 1. XI. 1931
Lieber Max
Ich freue mich sehr über Ihr energisches Vorgehen gegen Storfer. Ich glaube, Martin hat recht; nicht nur die Situation, auch seine Person ist für den Verlag gefährlich. Wenn er losbrechen will, gut; ich meine, auf den Ersatz gestützt, sind wir nicht mehr wehrlos wie bisher.
Mein Zimmer ist mir gegenwärtig unheimlich, es beherbergt außer mir drei Köpfe auf hohen Säulen, die mir ähnlich sein wollen, unter denen ich zu wählen habe, drei Büsten des Bildhauers Nemon in Brüssel, alle eigentlich interessant, Geschenk der Wiener Vereinigung zum Geburtstag.1 Der Künstler hat in Pötzleinsdorf an mir gearbeitet. Für eine Weile habe ich jetzt genug an „Ehrungen“.
Ferenczi habe ich in den drei Tagen seines Aufenthalts viel gesehen. Am ersten war er zurückhaltend, verstopft, hatte auch die dem entsprechende Darmstörung, am zweiten fühlte er sich entspannt („relaxiert“)2 und hörte mich ruhig an, während ich ihm so ziemlich alles sagte, was ich ihm zu sagen hatte, am dritten antwortete er mit seiner gewohnten Bonhomie und Aufrichtigkeit. Da er aber auf einen gewissen Punkt, seine persönliche Entfremdung von mir, nicht einging, bin ich über die Lokalisation der Störung ziemlich orientiert. Ich sehe in seinem Verhalten und dessen theoretischem Aufputz keinen Fortschritt, sondern ein Stück Involution mit Rückkehr zu alten Libidopositionen. Ein Stück des Sachverhalts ist, daß er bei den Kollegen nicht die Liebe gefunden hat, die er aus infantilem Bedürfnis fordert, und es darum darauf anlegt, von den Patienten geliebt zu werden, also Übertragung und Gegenübertragung dazu ausnützt. Das hat er bestätigt, und zwar soll es nicht erst beim Aufschub der Wahl zum Präsidenten, sondern schon beim Versuch, die Nachfolge Abrahams anzutreten[,] in Berlin begonnen haben.3 In diesem Punkt war er auch am nachgiebigsten. Er hat zugegeben, daß seine Art, sich von den Patienten küssen zu lassen, ein bedenkliches Stück der Technik ist, und versprochen, eine Arbeit über die Gefahren der Neokatharsis zu schreiben. Man stelle sich diese Technik bei jugendlichen Anfängern vor! Was er mit seinem Spiel zärtlicher Rollen erreicht, scheint mir therapeutisch nicht bedeutsam. Es sieht so aus, als ob er eine Art von Hypnose produzierte, in der die Patienten lebhafta agieren, was bei unserer Technik oft erraten und konstruiert werden muß. Das ist für den Analytiker gewiß sehr interessant, aber er gibt zu, daß es eine außerordentliche Plage ist, und aus der alten hypnotischen Erfahrung weiß man, daß solche auch höchst plastische Reproduktionen ganz unwirksam bleiben, da sie vom Widerstand abgespalten gegen den Einfluß aller überlagernden Schichten nichts leisten können. Er ist auch in seinen Behauptungen über den therapeutischen Erfolg recht zurückhaltend. Was er denn an neuen Anschauungen über den Mechanismus der Traumen dabei gewonnen haben will, das kann man nach kurzen Andeutungen nicht beurteilen. Ich bin mißtrauisch gegen diese Neuheiten und kann den Eindruck nicht loswerden, daß diese Theorie nur Rationalisierung zur Rechtfertigung seiner affektiv geforderten Tätigkeit ist.
Er hat auch wieder gefragt, ob er nicht lieber seinen Anspruch auf die Präsidentschaft Ihnen oder Jones abtreten soll, da er doch nicht versprechen kann, den eingeschlagenen Weg so bald zu verlassen, das war aber nicht ernst gemeint, und wir haben ihm versichert, daß seine Sonderbestrebungen den Boden der Analyse doch nicht verlassen und daß Jones z. B. sich in manchen Stücken doch viel weiter von der sog. Orthodoxie entfernt.
Von den Gefahren seiner Technik abgesehen, tut es mir leid, ihn auf einem Weg zu wissen, der wissenschaftlich wenig fruchtbar sein dürfte. Das wesentliche scheint mir aber doch seine neurotisch bestimmte Regression zu sein. Es ist aber mit den Menschen nicht anders. Was kann man da machen?
Herzliche Grüße von Ihrem
Freud
a Gestrichen: p.
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