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    [Briefkopf Wien] 20. X. 1932

    Lieber Max

    Ich bin sehr froh, daß Sie mir so gute Nachrichten über Ihren Vater geben konnten. Aus Angst vor schlechten habe ich Ihnen Wochen lange nicht geschrieben, Sie mir aber auch nicht. Ich hörte nur durch Anna gelegentlich zweifelhafte Berichte. Da alles auf dieser Welt wandelbar ist, gibt es nicht viel andere Ziele und Erfolge, als Zeit zu gewinnen.

    Auch Ihre Frage nach Ferenczi mahnt mich an die Pause. Sollten Sie noch nicht wissen, daß Lévy eine perniziöse Anämie bei ihm festgestellt hat? Er erwartet sich Gutes von der Lebertherapie. Der Brief war vom 5. d. M. Seither habe ich wieder bei ihm angefragt, noch ohne Antwort. Ferenczis letzten Brief1 lege ich Ihnen bei. Die Person, über deren Anwesenheit er sich beklagt, ist Brill. Wenige Tage vorher hatte er ihm gesagt, von mir sei so wenig Verständnis zu erwarten wie von einem kleinen Buben.

    Stefan Zweig hat ein neues vortreffliches Buch über Marie Antoinette veröffentlicht, in dem sich so recht zeitgemäß die Aufklärung einer Verführungsanklage gegen die eigene Mutter findet. Zweig hat es ganz richtig verstanden.2

    Meine Brandwunden heilen langsam wie immer. Pichler erklärt sich für sehr befriedigt. Vielleicht habe ich dann wirklich für einige Monate Ruhe.

    Weizsäcker3 hat mir eine interessante Analyse einera mit organischer Erkrankung versetzten Neurose geschickt, über die wir noch korrespondieren.4

    Mit herzlichen Grüßen Ihr

    Freud

     

    a Korrigiert aus: eines.