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S.
[Briefkopf Wien] 4. XII. 1932
Lieber Max
Ich glaube Ihnen, daß Sie wieder hergestellt sind. Jeder Satz Ihrer letzten Briefe spricht von neu erwachter Energie. Von mir kann ich nichts ähnliches sagen. Seit vier Wochen beherrscht mich jetzt dieser unerbittliche Nasen-Ohren-Rachen-Trachealkatarrh und zeigt keine Neigung zur Besserung. Man drängt mich zu einer Luftveränderung, aber der Ortswechsel ist mir zu unbequem, und ich habe Bedenken, nicht nur meine, sondern auch Annas Arbeit zu unterbrechen.
Übermorgen werden die neuen ‚Vorlesungen‘ ausgegeben. Ein erstes Exemplar habe ich schon in der Hand gehabt. Es sah gut aus. Wenn Ihnen am Inhalt manches gefällt, ist es mir natürlich recht. An wen ich bei der Polemik mit den Anarchisten vorwiegend gedacht, könnte ich gar nicht sagen. Ich weiß nur, daß diese Gedankenrichtung existiert. Vaihinger gewiß nicht, kaum der von Ihnen so verehrte Schestow, der ist mir zu wenig greifbar.
Es ist vielleicht an der Zeit, Sie zu fragen, wann Sie wieder einmal zu uns nach Wien kommen können.
Herzlich für Sie und Mirra
Ihr Freud
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S.
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