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    [Briefkopf Wien] 17. 4. 1933a

    Lieber Max

    Hier der Bericht über einen Besuch von Boehm.1 Er erzählte von der Verordnung, die festsetzt, daß kein Jude Vorstand eines Vereins sein darf;2 er sei bei der Ärztekammer gewesen, um sich zu erkundigen, ob das auch für unsere psychoanalytische Vereinigung gelte, habe Ihnen noch vorb Ihrer Abreise die bejahende Auskunft mitgeteilt, Sie aber hätten erklärt, daß Sie nicht freiwillig zurücktreten, sondern nur einem Muß weichen wollen. Nun verlangte er meine Ansicht zu hören, wahrscheinlich wollte er aber, daß ich Sie zum sofortigen Rücktritt bewege, denn er meinte, wenn man sich ungefügig gezeigt habe, riskiere man Maßregeln, die der Sache mehr schaden als ein doch nur formeller, für die Behörde bestimmter Personenwechsel. Ich war es ganz zufrieden, daß Federn bei dem Gespräch zugegen war als Zeuge gegen mögliche Entstellungen. Ich antwortete, es sei das eine Frage der lokalen Taktik, die einer aus der Ferne nicht beurteilen kann. Ich glaubte nicht recht an die Gefahr bei verzögertem Gehorsam; wenn sie die Analyse und das Institut unterdrücken wollen, werden sie sich durch den Zeitpunkt des Rücktritts kaum beeinflussen lassen. Ich riet ihm dann, bei der behördlichen Stelle zu sagen, der Vorsitzende sei eben jetzt abwesend und man warte seine Rückkehr ab, um die Sache in einer Generalversammlung zu entscheiden. Boehm hält es für gesichert, daß die Majorität dieser Versammlung Sie zum Rücktritt auffordern wird.3 Das wäre dann die von Ihnen geforderte Gewalt, der Sie nachgeben können.

    B. war sehr entschieden in der Versicherung, daß dieser Ihr Schritt im Innenleben des Vereins nichts ändern wird, auch daß er und Müller-Br[aunschweig] jede wesentliche Konzession im Betrieb der Analyse ablehnen. Ich machte es ihm klar, daß wir in solchem Falle den Ausschluß des Berliner Vereins aus der I.P.V. [be]antragen und durchsetzen würden. Er meinte, dazu werde es nicht kommen, eher würden sie – der neue Vorstand – den Verein auflösen. Es klang alles sehr loyal, aber es war doch klar, daß es den Herren eilt, inc den Vorstand zu kommen, und ich habe starkes Mißtrauen in der beiden Zuverlässigkeit.

    In zwei anderen Punkten waren wir leicht einig. Er versicherte, daß Sch[ultz]-Hencked nie in den Vorstand aufgenommen würde, und sagte zu, Reich, der jetzt noch in Wien stänkert,4 ausschließen zu lassen.5 Ich wünsche es aus wissenschaftlichen Gründen, habe nichts dagegen, wenn es aus politischen geschieht, gönne ihm jede Märtyrerrolle.

    Ich schließe, damit der Brief Sie erreicht, die Adresse ist mir ohnehin verdächtig.6 Hoffentlich erholen Sie sich beide ordentlich.

    Herzlich Ihr Freud

     

    a Der zugehörige Briefumschlag adressiert nach: Garavan Wyders, Grand Hotel, Menton, Frankreich.

    b Wie nachträglich am Anfang der Zeile eingefügt.

    c Gestrichen: ih.

    d MS: -Henke.