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S.
[Briefkopf Wien] 27. X. 1934
Lieber Max
Auch ich schreibe Ihnen über den ‚Moses‘.1 Er ist jetzt fertig geworden. Die Schwierigkeiten gegen seine Veröffentlichung scheinen mir unüberwindbar. Es sind äußerliche und innere. Betreffs der ersteren stimme ich Ihnen bei, daß keinerlei Vorsicht oder „Tarnung“ nützen würde. Er trägt ohnedies den Untertitel: ‚Ein historischer Roman’, aber das würde die Reaktion auf den Inhalt kaum aufhalten. Ein Teil fügt dem jüdischen, ein anderer dem christlichen Fühlen schwere Beleidigungen zu; beides in unserer Zeit kaum zu wagen. Daß P. Schmidt nichts Ärgeres darin finden würde als in der ‚Illusion‘, ist richtig, aber die Wiederholung ist auch etwas, und vor allem in diesem Zeitpunkt.
Übrigens ist auch etwas Neues dabei, nicht eine Idee, aber eine mir wertvoll erscheinende Formulierung. Der Bau zerfällt nämlich in drei Teile, 1) Der Mann Moses, 2) Das Volk Israel, 3) Der Wahrheitsgehalt der Religion. Dieser letzte Teil enthält einen Widerspruch oder, wenn Sie wollen, eine Ergänzung zur ‚Illusion‘. Hieß es dort, die Religion ist nur Illusion, so wird hier zugestanden, sie hat auch einen Wahrheitsgehalt, durch den sich erst ihre große Wirkung erklärt. Aber nicht einen Gehalt an materieller (oder ideeller) sondern an historischer Wahrheit.2 Ich meine natürlich die Wiederkehr des Vergessenen, das in der Totemtheoriea erratenb worden ist. Also kein neuer Gedanke, aber eine Formel, die mich als treffend und abschließend fasziniert. Ein Motiv mehr zur Unterdrückung der Arbeit; das führt nun zur inneren Schwierigkeit.
Die liegt darin, daß meine historische Konstruktion mir selbst keinen bestechenden Eindruck macht. Der Glaube an ihre Wahrscheinlichkeit verläßt mich immer von neuem, wenn ich ein Stück der Literatur durchgearbeitet habe. Die Fachleute würden es zu leicht haben, das Hirngespinst des outsider’s zu zerfetzen. Ich will aber meine schöne Formel nicht mit so schäbigem Geleit in die Welt schicken. Wäre meine Überzeugung sicherer, so würde mich wahrscheinlich keine Gefahr von der Veröffentlichung abschrecken. –
Als Kuriosum erwähne ich, daß hier im Handel ein Manuskript von mir aufgetaucht ist (‚Ein religiöses Erlebnis‘),3 das der Verlag für S 100 erworben hat. Nun verfolgt mich die wahrscheinlich unrichtige Idee, ich hätte Ihnen diese Blätter einmal auf Ihren Wunsch geschenkt. Wie wären siec Ihnen dann abhanden gekommen? Aber einmal habe ich Ihnen ein Manuskript gegeben; was war es nur?
Berggasse ist nicht ganz so schön wie Grinzing. Die fälschlich so genannte Gesundheit könnte erfreulicher sein.
Mit herzlichen Grüßen für Sie und Mirra
Ihr Freud
a MS: Totemthiere.
b Gestrichen: entwick.
c Korrigiert aus: Sie.
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S.
Berggasse 19
Wien 1090
Österreich
C24F2