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S.
[Briefkopf Wien] 12. 5. 1935
XIX Strasserg[asse] 47
Lieber Max
Eine meiner ersten Beantwortungen sucht dankend den Weg zu Ihnen und Mirra. Zögernd entfaltet sich heuer ein schöner Frühling vor unseren Augen, und ich hätte nicht zuviel zu klagen, wenn nicht das Angebinde des Schicksals zum 6. Mai die Nötigung gewesen wäre, die Prothese neu machen zu lassen, was natürlich ein ungewöhnliches Maß von Quälerei bedeutet. Auch eine Einschränkung der analytischen Stundenarbeit ist damit verbunden.
Auf Ihre Frage antworte ich, daß der ‚Moses‘ für mich eine „Fixierung“ geworden ist. Ich komme nicht von ihm weg und mit ihm nicht weiter. Wenn nicht neue Funde in Tell el-Amarnaa1 mir zu Hilfe kommen, werde ich ihn wohl für immer sekretieren.
Sonst bin ich immer mehr und mehr auf Annas Pflege angewiesen. Ich denke oft an die Bemerkung Mephistos:2
„Am Ende hängen wir doch ab
von Kreaturen, die wir machten.“
Mit herzlichen Grüßen
Ihr Freud
a MS (wie im folgenden Brief): Tel-el Amarna.
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S.
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Wien 1190
Österreich
C24F2