S.
Zwei Kinderliigen 21
kleinern zu müssen. Als sie später das Eis beim Mittagessen
mit ,,Glace" übersetzen lernte, war der Weg gebahnt, auf wel-
chem dann der Vorwurf wegen dieser Reminiszenz in eine
Angst vor Glasscherben und Splittern einmiinden konnte.Der Vater war ein vorziiglicher Zeichner und hatte durch
die Proben seines Talents oft genug das Entziicken und die
Bewunderung der Kinder hervorgerufen. In der Identifizierung
mit dem Vater zeichnete sie in der Schule jenen Kreis, der
ihr nur durch betriigerische Mittel gelingen konnte. Es war,
als ob sie sich riihmen wollte: Schau her, was mein Vater
kann! Das Schuldbewuftsein, das der überstarken Neigung
zum Vater anhaftete, fand in dem versuchten Betrug seinen
Ausdruck; ein Gestindnis war aus demselben Grunde un-
möglich wie in der vorstehenden Beobachtung, es hätte das
Geständnis der verborgenen inzestudsen Liebe sein müssen.Man måge nicht gering denken von solchen Episoden des
Kinderlebens. Es wire eine arge Verfehlung, wenn man aus
solchen kindlichen Vergehen die Prognose auf Entwicklung
eines unmoralischen Charakters stellen würde. Wohl aber
hingen sie mit den stårksten Motiven der kindlichen Seele
zusammen und kiinden die Dispositionen zu spåteren Schick-
salen oder kiinftigen Neurosen an.EINE BEZIEHUNG
ZWISCHEN EINEM SYMBOL
UND EINEM SYMPTOM(1916)
Der Hut als Symbol des Genitales, vorwiegend des månn-
lichen, ist durch die Erfahrung der Traumanalysen hin-
reichend sichergestellt. Man kann aber nicht behaupten, daßS.
22 Eine Beziehung zwischen einem Symbol
dieses Symbol zu den begreiflichen gehört. In Phantasien
wie in mannigfachen Symptomen erscheint auch der Kopf
als Symbol des männlichen Genitales, oder wenn man will,
als Vertretung desselben. Mancher Analytiker wird bemerkt
haben, daß seine zwangsleidenden Patienten ein Maß von
Abscheu und Entrüstung gegen die Strafe des Kôpfens äußern
wie weitaus gegen keine andere Todesart, und wird sich
veranlafit gesehen haben, ihnen zu erklären, daß sie das
GekSpfrwerden wie einen Ersatz des Kastriertwerdens be-
handeln. Wiederholt sind Triume jugendlicher Personen oder
aus jungen Jahren analysiert und auch mitgeteilt worden, die
das Thema der Kastration betrafen, und in denen von einer
Kugel die Rede war, welche man als den Kopf des Vaters
deuten mußte. Ich habe kürzlich ein Zeremoniell vor dem
Einschlafen auflösen können, in dem es vorgeschrieben war,
daß das kleine Kopfpolster rautenfSrmig auf den anderen
Polstern liegen und der Kopf der Schlafenden genau im
langen Durchmesser der Raute ruhen sollte. Die Raute hatte
die bekannte, aus Mauerzeichnungen vertraute Bedeutung, der
Kopf sollte ein männliches Glied darstellen.Es könnte nun sein, daß die Symbolbedeutung des Hutes
sich aus der des Kopfes ableitet, insofern der Hut als ein
fortgesetzter, aber abnehmbarer Kopf betrachtet werden kann.
In diesem Zusammenhange erinnerte ich mich eines
Symptoms der Zwangsneurotiker, aus dem sich diese Kranken
eine hartnäckige Quälerei zu bereiten wissen. Sie lauern auf
der Straße unausgesetzt darauf, ob sie ein Bekannter zuerst
durch Hutabnehmen gegrüßt hat, oder ob er auf ihren
Gruß zu warten scheint, und verzichten auf eine Anzahl von
Beziehungen, indem sie die Entdeckung machen, daß der Be-
treffende sie nicht mehr grüßt oder ihren Gruß nicht ordent-
lich erwidert. Sie finden solcher Grufschwierigkeiten, die sie
nach Stimmung und Belieben aufgreifen, kein Ende. Es ändertS.
und einem Symptom 23
an diesem Verhalten auch nichts, wenn man ihnen vorhålt,
was sie ohnedies alle wissen, daß der Gruß durch Hut-
abnehmen eine Erniedrigung vor dem Begrüfiten bedeutet,
daß z. B. ein Grande von Spanien das Vorrecht genof, in
Gegenwart des Königs bedeckten Hauptes zu bleiben, und
daß ihre Gruđempfindlichkeit also den Sinn hat, sich nicht
geringer darzustellen, als der andere sich dünkt. Die
Resistenz ihrer Empfindlichkeit gegen solche Aufklärung läßt
die Vermutung zu, daß man die Wirkung eines dem Bewußt-
sein weniger gut bekannten Motivs vor sich hat, und die
Quelle dieser Verstärkung könnte leicht in der Beziehung
zum Kastrationskomplex gefunden werden.MITTEILUNG EINES DER
PSYCHOANALYTISCHEN THEORIE
WIDERSPRECHENDEN FALLESVON PARANOIA
(1915)Vor Jahren ersuchte mich ein bekannter Rechtsanwalt um
Begutachtung eines Falles, dessen Auffassung ihm zweifelhaft
erschien. Eine junge Dame hatte sich an ihn gewendet, um
Schutz gegen die Verfolgungen eines Mannes zu finden, der
sie zu einem Liebesverhältnis bewogen hatte. Sie behauptete,
daß dieser Mann ihre Gefügigkeit mißbraucht hatte, um von
ungesehenen Zuschauern photographische Aufnahmen ihres
zärtlichen Beisammenseins herstellen zu lassen; nun läge es
in seiner Hand, sie durch das Zeigen dieser Bilder zu be-
schimen und zum Aufgeben ihrer Stellung zu zwingen. Der
Rechtsfreund war erfahren genug, das krankhafte Gepräge
dieser Anklage zu erkennen, meinte aber, es komme so viel
freud-1931-neurosenlehre
21
–23