S.
und einem Symptom 1}
an diesem Verhalten auch nichts, wenn man ihnen vorhält,
was sie ohnedies alle wissen, daß der Gruß durch Hut—
abnehmen eine Erniedrigung vor dem Begrüßten bedeutet,
daß z. B. ein Grande von Spanien das Varrecht genoß, in
Gegenwart des Königs hedeckten Haupte- zu bleiben, und
daß ihre Grußernpfindlichkeit also den Sinn hat, sich nicht
geringer darzustellen, als der andere sich dünkt. Die
Resistenz ihrer Empfindlichkeit gegen solche Aufklärung läßt
die Vermutung zu, daß man die Wirkung eines dem Bewußt-
sein weniger gut bekannten Motiv: vor sich hat, und die
Quelle dieser Verstärkung könnte leicht in der Beziehung
zum Kastrationskomplex gefunden werden.MITTEILUNG EINES DER
PSYCHOANALYTISCHEN THEORIE
\VIDERSPRECHENDEN FALLESVON PARANOIA
(wir)Vor Jahren ersuchte mich ein bekannter Rechtsanwalt um
Begutachtung eines Falles, dessen Auffassung ihm zweifelhaf:
erschien. Eine junge Dame hatte sich an ihn gewendet, um
Schutz gegen die Verfolgungeu eines Mannes zu finden, der
sie zu einem Liebesverhältnis hewogcn hatte. Sie behauptete,
daß dieser Mann ihre Gefügigkeit mißbraucht hatte, um von
ungesehenen Zuschauern photographische Aufnahmen ihres
zärtlichen Beisammenseins herstellen zu lim; nun läge es
in seiner Hand, sie durch das Zeigen dieser Bilder zu be-
schiimen und zum Aufgeben ihrer Stellung zu zwingen. Der
Rechtsfreund war erfahren genug, das krankhafte Gepräge
dieser Anklage zu erkennen, meinte aber, es komme so vielS.
14 Ein der p;yrboannlykirchm Theorie
im Leben vor, was man für unglaubwiirdig halten möchte,
daß ihm das Urteil eines Psychiater: über die Suche wertvoll
wäre. Er versprach, mich ein nächstes Mal in Gesellschaft
der Klägerin zu besuchen.Ehe ich meinen Bericht fortsetze, will ich bekennen, daß
ich das Milieu der zu untersuchenden Begebenheit zur
Unkenntlichkeit verändert habe, aber auch nichts anderes
als dies. Ich halte es sonst für einen Mißbrauch, aus irgend
welchen, wenn auch aus den besten Motiven Züge einer
Krankengeschichte in der Mitteilung zu entstellen, da man
unmöglich wissen kann, welche Seite des Falls ein selb<
ständig urteilender Leser herausgreifen wird, und somit
Gefahr läuft, diesen letzteren in die Irre zu führen.Die Patientin, die ich nun bald darauf kennen lernte, war
ein dreißigy'ähriges Mädchen von ungewöhnlicher Anmut
und Schönheit; sie schien viel jünger zu sein, als sie angab,
und machte einen echt weiblichen Eindruck. Gegen den Arzt
benahm sie sich voll ablehnend und gab sich keine Mühe,
ihr Mißtrauen zu verbergen. Offenbar nur unter dem Drucke
des mitanwesenden Rechtsfreundes erzählte sie die folgende
Geschichte, die mit ein später zu erwähnendes Problem
aufgab. Ihre Mienen und Afiektäußerungen verrieten dabei
nichts von einer scharnhaften Befangenheit, wie sie der Ein-
stellung zu dem fm„dm Zuhörer enßprochen hätte. Sie
stand ausschließlich unter dem Bann: der Besorgnis, die sich
aus ihrem Erlebnis ergeben hatte.Sie war jahrelang Angestellte in einem großen Institut
gewesen, in dem sie einen verantwortlichen Posten zur
eigenen Befriedigung und zur Zufriedenheit der Vorgesetzten
innehatte. Liebesbeziehungen zu Männern hätte sie nie
gesucht; sie lebte ruhig neben einer alten Mutter, deren
einzige Stütze sie war. Geschwister fehlten, der Vater war
vor vielen Jahren gestorben. In der letzten Zeit hatte sichS.
win’mpyecbendey Fall vor; Pumrmin :;
ein männlicher Beamter desselben Bureaus ihr genähert, ein
sehr gebildeter, einnehmender Mann, dem auch sie ihre
Sympathie nicht versagen konnte Eine Heirat zwischen
ihnen war durch äußere Verhältnisse ausgeschlossen, aber
der Mann Wollte nichts davon wissen, dieser Unmöglichkeit
wegen den Verkehr aufzugeben. Er hielt ihr vor, wie
unsinnig es sei, wegen sozialer Konventionen auf alles zu
verzichten, was sie sich beide wünschten, worauf sie ein
unzweifelhaftes Anrecht hätten, und was wie nichts anderes
zur Erhöhung des Lebens beiträge. Da er versprochen hatte,
sie nicht in Gefahr zu bringen, willigte sie endlich ein, ihn
in seiner ]unggesellenwohnung bei Tage zu besuchen. Dort
kam es nun zu Küssen und Umarmlingen, sie lagerteu sich
nebeneinander, er bewunderte ihre zum Teil enthüllt:
Schönheit. Mitten in dieser Schäferstunde wurde sie durch
ein einmaliges Geräusch wie ein Pochen oder Tieken er-
schreckt. Es kam von der Gegend des Schreibtische: her.
welcher schräg vor dem Fenster stand; der Zwi‚schenraum
zwischen Tisch und Fenster war zum Teil von einem
schweren Vorhang eingenommen. Sie erzählte, daß sie den
Freund sofort nach der Bedeutung des Geräuscbes gefragt
und von ihm die Auskunft bekommen hatte, es führe wahr-
scheinlich von der kleinen, auf dem Schreibtisch befindlichen
Stehuhr her; ich werde mir aber die Freiheit nehmen, zu
diesem Teil ihres Berichts später eine Bemerkung zu
machen.Als sie das Haus verließ, traf sie noch auf der Treppe
mit zwei Männern zusammen, die bei ihremAubliek einan®r
etwas zuflüsterten. Einer der beiden Unbelvnnten trug einen
verhüllten Gegenstand wie ein Kästchen. Die Begegnung
beschäftigte ihre Gedanken; noch auf dem Heimwege bildete
sie die Kombination, dies Kästchen könnte leicht ein phone-
graphischer Apparat gewesen „in, der Mann, der es trug,S.
16 Ein der psycbaanalyzirclzen Theorie
ein Photograph, der während ihrer Anwesenheit im Zimmer
hinter dem Vorhang versteckt geblieben war, und das
Ticken, das sie gehört, das Geräusch des Abdrückens, nach-
dem der Mann die besonders verfängliche Situation heraus-
gefunden, die er im Bilde festhalten wollte. Ihr Argwohn
gegen den Geliebten war von da an nicht mehr zum
Schweigen zu bringen; sie verfolgte ihn mündlich und
schriftlich mit der Anforderung, ihr Aufklärung und Be-
ruhigung zu geben, und mit Vorwürfen, erwies sich aber
unzugänglich gegen die Versicherungen, die er ihr machte,
mit denen er die Aufrichtigkeit seiner Gefühle und die
Grundlosiglseit ihrer Verdächtigung vertrat. Endlich wandte
sie sich an den Advokaten‚ erzählte ihm ihr Erlebnis und
übergab ihm die Briefe, die sie in diese: Angelegenheit von
dem Verdächtigten erhalten hatte. Ich konnte später in
einige dieser Briefe Einsicht nehmen; sie machten mir den
besten Eindruck; ihr Hauptinhalt war das Bedauem‚ daß
ein so schönes, zärtliches Einvernehmen durch diese „un—
glückselige, krankhafte Idee“ zerstört worden sei.Es bedarf wohl keiner Rechtfertigung, daß ich das Urteil
des Beschuldigten auch zu dem meinigen machte. Aber der
Fall hatte für mich ein anderes als bloß diagnostisches
Interesse. Es war in der psychoanalytischen Literatur be—
hauptet werden, daß der Paranoiker gegen eine Verstärkung
seiner homosexuellen Strebungen ankämpft, was im Grunde
auf eine narzißtische Objektwahl zurückweist. Es war ferner
gedeutet worden, daß der Verfolger im Grunde der Geliebte
oder der ehemals Geliebte sei. Aus der Zusammensetzung
beider Aufstellungen ergibt sich die Forderung, der Ver-
folger müsse von demselben Geschlechte sein, wie der Ver-
folgte. Den Satz von der Bedingtheit der Paranoia durch die
Homosexualität hatten wir allerdings nicht als allgemein
ig hingestellt, aber nur darum nicht,und ausnahmslos g‘
S.
widersprecbemiev m von Paranoia 17
weil unsere Beobachtungen nicht genug zahlreich waren. Er
gehörte sonst zu jenen, die infolge gewisser Zusammenhänge
nur dann hedeutungsvoll sind. wenn sie Allgemeinheit bean—
spruchcn können. In der psychiatrischen Literatur fehlte es
gewiß nicht an Fällen, in denen sich der Kranke von An-
gehörigen des anderen Geschlechts verfolgt glaubte, aber
es blieb ein anderer Eindruck, von solchen Fällen zu lesen,
als einen derselben selbst vor sich zu sehen. Was ich und
meine Freunde hatten beobachten und analysieren können.
hatte bisher die Beziehung der Paranoia zur Homosexualität
ohne Schwierigkeit bestätigt. Der hier vorgdühne Fall
sprach mit aller Entschiedenheit dagegen. Das Mädchen
schien die Liebe zu einem Mann abzuwehren, indem sie den
Geliebten unmittelbar in den Verfolger verwandelte; vom
Einfluß des Weibes, von einem Sträuhen gegen eine horn0«
sexuelle Bindung war nichts zu finden.Bei dieser Sachlage war es wohl das Einfachxte, die Partei-
nahme für eine allgemein giiln'ge Abhängigkeit des Ver
folgungswahnes von der Homosexualität und alles, was sich
weiter daran knüpfte, wieder aufzugeben. Man mußte wohl
auf diese Erkenntnis verzichten, wenn man sich nicht etwa
durch diese Abweichung von der Erwartung bestimmen ließ,
sich auf die Seite des Rechtsfreundes zu schlagen und wie
er ein richtig gedeutetes Erlebnis anstatt einer paranoischen
Kombination anzuerkennen. Ich sah aber einen anderen Aus-
weg, welcher die Entscheidung zunächst hinausschnb. Ich
erinnerte mich daran, wie oft man in die Lage gekommen
war, psychisch Kranke falsch zu beurteilen, weil man sich
nicht eindringlich genug mit ihnen beschäftigt und so zu
wenig von ihnen erfahren hatte. Ich erklärte also, es sei mir
unmöglich, heute ein Urteil zu äußern, und bitte sie viel-
mehr, mich ein zweites Mal zu besuchen, um mir die Ge-
schichte ausführlicher und mit allen, diesmal vielleichtS.
18 Ein der piyrbvanulytiscben Theorie
übergangenen Nebenumständen zu erzählen. Durch die Ver»
mittlung des Advokaten erreichte ich dies Zugestänclnis von
der sonst unwilligen Patientin; er kam mir auch durch die
Erklärung zu Hilfe, daß bei dieser zweiten Unterredung
seine Anwesenheit überflüssig sei.Die zweite Erzählung der Patientin hob die frühere nicht
auf, brachte aber solche Ergänzungen, daß alle Zweifel und
Schwierigkeiten wegfielen. Vor allem, sie hatte den jungen
Mann nicht einmal, sondern zweimal in seiner Wohnung
besucht. Beim zweiten Zusammensein ereignete sich die
Störung durch das Geräusch, an welches sie ihren Verdacht
angeknüpft hatte; den ersten Besuch hatte sie bei der ersten
Mitteilung unterschlagen, ausgelassen, weil er ihr nicht mehr
bedeutsam vorkam. Bei diesem ersten Besuch hatte sich
nichts Auffälliges zugetragen, wohl aber am Tage nachher.
Die Abteilung des großen Unternehmens, bei welcher sie
tätig war, stand unter der Leitung einer alten Dame, die
sie mit den Worten beschrieb: Sie hat weiße Haare wie
meine Mutter. Sie war es gewöhnt, von dieser alten Vur<
gesetzten sehr zärtlich behandelt, auch wohl manchmal
geneckt zu werden, und hielt sich für ihren besonderen
Liebling. Am Tage nach ihrem ersten Besuch bei dem jungen
Beamten erschien dieser in den Geschäftsräumen, um der
alten Dame etwas dienstlich mitzuteilen, und während er
leise mit dieser sprache entstand in ihr plötzlich die Gewiß-
heit, er mache ihr Mitteilung von dem gestrigen Abenteuer,
ja, er unterhalte längst ein Verhältnis mit ihr, von dem sie
selbst nur bisher nichts gemerkt habe. Die weißhaarige,
mütterliche Alte wisse nun alles. Im weiteren Verlaufe des
Tages konnte sie aus dem Benehmen und den Äußerungen
der Alm diesen ihren Verdacht bekräftigen. Sie ergriff die
nächste Gelegenheit, den Geliebten wegen seines Verrates zur
Rede zu stellen. Der striiul>te sich natürlich energisch gegenS.
widersprecbemier an „in. Punmoia 19
das, Was er eine unsinnige Zumutung hieß, und es gelang
ihm in der Tat, sie für diesmal von ihrem Wahn abzuhringen,
so daß sie einige Zeit -- ich glaube einige Wochen — später
vertrauensvoll genug war, den Besuch in seiner Wohnung
zu wiederholen. Das Weitere ist uns aus der ersten Erzählung
der Patientin bekannt.Weis wir neu erfahren haben, macht zunächst dem Zweifel
an der krankhaften Natur der Verdächtigung ein Ende.
Unschwer erkennt man, daß die weißhaarige Verstehe—rin
ein Mutterersatz ist, daß der geliebte Mann rrotz seiner
Jugend an die Stelle des Vaters gerückt wird, und daß es
die Macht des Mutterl—romplexes ist, Welche die Kranke
zwingt, ein Liebesverh'a'ltnis zwischen den beiden ungleichen
Partnern, aller Unwahrscheinlichkeit zum Trotze, anzunehmen.
Damit verfliichtigt sich aber auch der mscheinmde Wider-
spruch gegen die von der psychoanzlytischen Lehre genä'hrte
Erwartung, eine überstarke homosexuelle Bindung werde
sich als die Bedingung zur Entwicklung eines Verfolgungs-
wahnes herausstelleu. Der ursprüngliche Verfolger, die In-
stanz, deren Einfluß man sich entziehen will, ist auch in
diesem Falle nicht der Mann, sondern das Weib. Die Vor-
steherin weiß von den Liebesbeziehnngen des Mädchens,
mißbilligt sie und gib: ihr diese Verurteilung durch ge-
heimnisvolle Andeutungen zu erkennen. Die Bindung an das
gleiche Geschlecht widersetzt sich den Bemühungen, ein
Mitglied des anderen Geschlechts zum Liebesobjekt zu ge-
winnen. Die Liebe zur Mutter wird zur Worrfiihrerin all
der Strebungen, welche in der Rolle eines „Gewissens“ das
Mädchen bei dem ersten Schritt auf dem neuen, in vielen
Hinsichten gefährlichen Weg zur normzlen Sexualhefriedi-
gung zurückhalten wollen, und sie erreicht es auch, die
Beziehung zum Manne zu stören.Wenn die Mutter die Sexualbetäzigung der Tochter
S.
30 Ein der p;ycboarmlylixcberl Theorie
hemmt oder aufhält, so erfüllt sie eine normale Funktion.
welche durch Kindheitsbeziehungen vorgezeichnet ist, starke
unbewußte Motivierungen besitzt und die Sanktion der
Gesellschaft gefunden hat. Sache der Tochter ist es, sich
von diesem Einfluß abzulösen und sich auf Grund breiter,
ratianeller Motivierung fiir ein Maß von Gestattung oder
Versagung des Sexualgenusses zu entscheiden. Verfällt sie
bei dem Versuch dieser Befreiung in neurotischeE1-krznkung,
so liegt ein in der Regel überstarker, sicherlich aber unbe—
herrsehter Mutterkomplex vor, dessen Konflikt mit der
neuen libidinösen Strömung je nach der verwendbaren
Disposition in der Form dieser Oder im:: Neurose erledigt
wird. In allen Fällen werden die Erscheinungen der neu-
rotischen Reaktion nicht durch die gegenwärtige Beziehung
zur 1ktuellen Mutter, sondern durch die iniantilen Be—
ziehungen zum urzeitlichen Muttexl>ild bestimmt werden.
Von unserer Patientin wissen wir, daß sie seit langen
Jahren vaterlos war; wir dürfen auch annehmen, daß sie
nicht bis zum Alter von dreißig Jahren frei vom Menue
geblieben wäre, wenn ihr nicht eine starke Gefühlsbindung
an die Mutter eine Stütze geboten hätte. Diese Stütze wird
ihr zur lästigen Fessel, da ihre Libido auf den Anruf einer
eindringlichen Werbung zum Marine zu streben beginnt.
Sie sucht sie abzustreifen, sich ihrer homosexuellen Bindung
zu entledigen. Ihre Disposition —— von der hier nicht die
Rede zu sein braucht — gestattet, daß dies in der Form
der paranoischen Walinbildung vor sich gehe. Die Mutter
wird also zur feindseligen, mißgiinstigen Beobachterin und
Verfolgerin. Sie könnte zls solche überwunden werden, wenn
nicht der Mutterkomplex die Macht behielte, die in seiner
Absicht liegende Fernhaltung vom Mm: durchzusetzen.
Am Ende diaer ersten Phase des Konflikts hat sie sich also
der Mutter entfremdet und dem Mann: nicht angeschlossen.S.
widersprechender Fall „in; Paranoia ‚;
Beide kompirieren ja gegen sie. Da gelingt es der kräftigen
Bemühung des Mannes, sie entscheidend an sich zu ziehen.
Sie überwindet den Einspruch der Mutter und ist bereit,
dem Geliebten eine neue Zusammenkunft zu gewährm. Die
Mutter kommt in den weiteren Geschehnissen nicht mehr
vor; wir dürfen aber daran festhalten, daß in dieser Phase
der geliebte Mann nicht direkt zum Verfolger geworden
war, sondern auf dem Wege über die Mutter und kraft
seiner Beziehung zur Mutter, welcher in der ersten Wahn—
bildung die Hauptrolle zugefallen war.Man sollte nun glauben, der Widerstand sei endgültig
überwunden und das bisher an die Mutter gebundene
Mädchen habe es erreicht, einen Mann zu lieben Aber nach
dem zweiten Beisammensein erfolgt eine neue Wahnbildung.
welche es durch geschickte Benützung einiger Zufälligkeiteu
durchsetzt, diese Liebe zu verderben, und somit die Absicht
des Mutterkomplexes erfolgreich fortfiihrt. Es erscheint uns
noch immer befremdlicb, daß das Weib sich der Liebe zum
ane mit Hilfe eines pumoischen Wahnes erwehren sollte.
Ehe wir aber dieses Verhältnis näher beleuchten, wollen wir
den Zufälligkeitcn einen Blick schenken, auf welche sich die
zweite Wahnbildung, die allein gegen den Mann gerichtete,
stützt.Halb entkleidet auf dem Diwm neben dem Geliebten
liegend, hört sie ein Geräusch wie ein Ticken, Klopien,
Pochen, dessen Ursache sie nicht kennt, du iie aber später
deutet, nachdem sie auf der Treppe des Hauses zwei
Männern begegnet ist, von denen einer etwas wie ein ver—
decktes Kästchen trägt. Sie gewinnt die Überzeugung, dlß sie
im Auftrage des Geliebten während des intimen Beisammen-
seins belanscht und photographierv; wurde. Es liegt uns natür-
lich fern, zu denken‘ wenn dies unglückselige Geräusch sich
nicht ereig;net hätte, wäre auch die Wahnbildung nicht zu-S.
‚; Ein der pxycboanalytircben Theorie
stand: gekommen, Wir erkennen vielmehr hinter dieser Zn«
fälligkeit etwas Notwendiges, was sich ebenso zwanghaft
durchsetzen mußte wie die Annahme eines Liebesverhältnisses
zwischen dem geliebten Manne und der alten, zum Mutter-
ersatz erkorenen Vorsteherin. Die Beobachtung des Liebes—
verkehres der Eltern ist ein selten vermißtes Stück aus dem
Schatze unhewußter Phantasien, die man bei allen Neu-
ron'kern, wahrscheinlich bei allen Menschenkindern, durch
die Analyse auffinden kann. Ich heiße diese Phantasie-
hildungen, die der Beobachtung des elterlichen Geschlecht?
verkehres, die der Verführung, der Kastration und andere,
Ur phantasien und werde an anderer Stelle deren
Herkunft sowie ihr Verhältnis zum individuellen Erleben
eingehend untersuchen. Das zufällige Geräusch spielt also
nur die Rolle einer Provokation, welche die typische, im
Elternkomplex enthaltene Phantasie von der Belauschung
aktiviert. Ja, es ist fraglich, ob wir es als ein „zuiälliges"
bezeichnen sollen. Wie O. Rank mir bemerkt hat, ist es
vielmehr ein notwendiges Requisie der Belauschungsphantasie
nnd wiederholt entweder das Geräusch, durch welches sich
der Verkehr der Eltern verrät, oder auch das, wodurch sich
das lauschende Kind zu verraten fürchtet. Nun erkennen wir
aber mit einem Male, auf welchem Boden wir uns befinden.
Der Geliebte ist noch immer der Vater, an Stelle der Mutter
ist sie selbst getreten. Die Belauschung muß dann einer
fremden Person zugeteilt werden. Es wird uns ersichtlich,
auf welche Weise sie sich von der homosexuellen Abhängig-
keit von der Mutter freigemacht hat. Durch ein Stückchen
Regression; anstatt die Mutter zum Liebesobjekt zu nehmen,
hat sie sich mit ihr identifiziert, ist sie selbst zur Mutter
geworden. Die Möglichkeit dieser Regression weist auf den
narzißtischen Ursprung ihrer homosexuellen Objektwahl und
somit auf die bei ihr vorhandene Disposition zur paranoischenS.
widerrynchmdef Fall von Paranoia „
Erkrankung hin. Man könnte einen Gedankengang ent-
werfen, der zu demselben Ergebnis fiihrt wie diese Identifie
zierung: Wenn die Mutter das tut, darf ich es auch; ich habe
dasselbe Recht wie die Mutter.Man kann in der Aufhebung der Zufälligkeiten einen
Schritt weitergehen, ohne zu fordern, daß ihn der Leser rnit-
mache, denn das Unterbleibu einer tieferen analyu'schen
Untersuchung macht es in unserem Falle unmöglich, hier
über eine gewisse Wahrscheinlichkeit hinauszukornmen. Die
Kranke hatte in unserer ersten Besprechung angegeben, daß
sie sich sofort nach der Ursache der Geräusche: erkundigt
und die Auskunft erhalten habe, wahrscheinlich habe die
auf dem Schreibtisch befindliche kleine Standuhr getizkt. Ich
nehme mir die Freiheit, diese Mitteilung als eine Erinnerung:-
riiuschung aufzulösen. Es ist mir viel glaubhafter, daß sie
zunächst jede Reaktion auf das Geräusch unterlassen, und
daß ihr dies erst nach dem Zusammentreffen mit den beiden
Männern auf der Treppe hedeutungsvoll erschienen ist. Den
Erklärungsveßuch aus dem Tickcn der Uhr wird der Mann,
der das Geräusch vielleicht überhaupt nicht gehört hatte,
später einmal gewagt haben, als ihn der Argwohn des
Mädchens bestütmte. „Ich weiß nicht, was du da gehört
haben kannst; vielleicht hat; gerade die Standuhr getinkt,
wie sie es manchmal tue." Solche Nachträglichkeir. in der
Verwertung von Eindrücken und solche Verschieng in der
Erinnerung sind gerade bei der Paranoia häufig und für sie
charakteristisch. Da ich aber den Mann nie gesprochen habe
und die Analyse des Mädchens nicht fortsetzen konnte,
bleibt meine Annahme unbeweisbar.Ich könnte es wagen, in der Zersetzung der angeblich
realen „z„faui;k=ic* noch weiter zu gehen. Ich glaube iiber-
haupt nicht, daß die Standui'u' gefickt hat, oder daß ein
Geräusch zu hören war. Die Situation, in der sie sich befand,Schulter. mr Neurol=nlehre
S.
34 Ein der pxytbamaiytilcherl Theorie
rechtfertigte eine Empfindung von Pnehen oder Klopfeu an
der Klitoris. Dies war es dann, was sie nachträglich als
Wahrnehmung von einem äußeren Objekt hinausprojizierte.
Ganz Ähnliches ist im Traume möglich. Eine meiner
hysterischen Patientinnen berichtete einmal einen kurzen
Weckrraum, zu dem sich kein Material von Einfällen ergeben
wollte. Der Traum hieß: Es klopft‚ und sie wachte auf. Es
hatte niemand an die Tür geklopft‚ aber sie war in den
Nächten vorher durch die peinlichen Senszrionen von Pollu-
tionen geweckt werden und hatte nun ein Interesse daran,
zu erwachen, sobald sich die ersten Zeichen der Genital-
erregung einstellten. Es hatte an der Klitoris geklopfn Den
nämlichen Projektionsvorgang möchte ich bei unserer Para-
noika en die Stelle des zufälligen Geräusche; setzen. Ich
werde selbstverstäudlich nicht dafür einstellen, daß mir die
Kranke bei einer flüchtigen Bekanntschaft unter allen
Anzeichen eines ihr unliebsamen Zwanges einen aufrichtigen
Bericht über die Vorgänge bei den beiden zärtlichen Zu-
sammenkiinften gegeben, aber die vereinzelte Klitoris«
kontraku'on stimmt wohl zu ihrer Behauptung, 'daß eine
Vereinigung der Genitalien dabei nicht stnttgcfunden habe.
An der resultierenden Ablehnung des Mannes hat sicherlich
neben dem „Gewissen“ auch die Unbefriedigung ihren Anteil.Wir kehren nun zu der auffälligen Tatsache zurück, daß
sich die Kranke der Liebe zum Mann: mit Hilfe einer
pnranoischen Wahnbildung erwehtt. Den Schlüssel zum Ver-
ständnis gibt die Entwicklungsgeschichte dieses Wahnes.
Dieser richtete sich ursprünglich, wie wir erwarten durften,
gegen das Weib, aber nun wurde auf dem Boden
der Paranoia der Fortschritt vom Weihe
zum Mannc als Objekt vollzogen. Ein solcher
Fortschritt ist bei der Paranoia nicht gewöhnlich; wir finden
in der Regel, daß der Veriolgte an denselben Personen, alsoS.
wideyrpyechender Fall von Pammin ”
auch an demselben Geschlecht fixiert bleibt, dem seine Liebes-
wahl vor der paranoischen Umwandlung galt. Aber er wird
durch die neurotische Mektion nicht ausgeschlossen; unsere
Beobachtung dürfte für viele andere vorbildlich sein. Es gibt
außerhalb der Paranoia viele ihnlidie Vorgänge, welche bis-
her nicht unter diesem Gesichtspunkte zusammengefaßt werden
sind, darunter sehr allgemein bekannte. So wird z. B. der
sogenannte Neurutheniker durch seine unbequte Bindung
an inzestuöse Liebesebj:kte davon abgehalten, ein fremdes
Weib zum Objekt zu nehmen, und in seiner Sexualbctätiguug
auf die Phantasie eingeschränkt. Auf dem Boden der
Phantasie bringt er aber den ihm versagten Fortschritt zu-
stande und kann Mutter und Schwester durch fremde Objekte
ersetzen. Da bei diesen der Einspruch der Zensur entfällt,
wird ihm die Wahl dieser Ersatzpersonen in seinen Phantasien
bewußt.Die Phänomene des versuchten Fortschrittes‚ von dem
neuen meist regressiv erworbenen Boden her, stellen sich den
Bemühungen zur Seite, welche bei manchen Neurosen unter-
nommen werden, um eine bereits innegehabte, aber verlorene
Position der Libido wieder zu gewinnen. Die beiden Reihen
von Erseheinungen sind hegrifllieh kaum voneinander zu
trennen. Wir neigen allzusehr zu der Auffassung, daß der
Konflikt, welcher der Neurose zugrunde liegt, mit der
Symptombildung abgeschlossen sei. In Wirklichkeit geht der
Kampf vielfach auch nach der Sympmmbildung weiter. Auf
beiden Seiten tauchen neue Triebanteilc auf, welche ihn fort-
führen. Das Symptom selbst wird zum Objekt diese:
Kampfes; Strebungen, die es behaupten wollen, messen sich
mit anderen, die seine Aufhebung und die Herstellung des
früheren Zustandes durchzuseth bemifl1t sind. Häufig wer-
den Wege gesucht, um das Symptom zu entwerten, indem
man das Verlorene und durch das Symptom Versag(e von‚.
S.
35 Ein ist! mm Paranoia
anderen Zugängen her zu gewinnen "achtet. Dies: Verhält-
nisse werfen ein klärendes Licht auf eine Aufstellung von
c. G. _]un g, demzufolge eine eignntiimliche psychische
Trägheir, die sich der Veränderung und dem Fortschritt
widersetzt, die Grundbedingung der Neurose ist. Diese Träg-
heit ist in der Tat sehr eigentümlich; sie ist keine allgemeine
sondern :lnc höchst spezialisierte, sie ist auch auf ihrem
Gebiete nicht Alleinherrschem'n, sondern kämpft mit Fort-
schrittk und Wiederherstellungstcndenzen, die sich selbst nach
der Symptomhildung der Neurose nicht beruhigen. Spürt
man dem Ausgangspunkte dieser speziellen Trägheit nach,
so enthüllt sie sich als die Äußerung von sehr frühzeitig
erfolgten, sehr schwer lösbareu Verknüpfungen von Trieben
mit Eindrücken und den in ihnen gegebenen Objekten, durch
welche die Weitercnrwicklung dieser Trizbanzcile zum Still-
stand gebracht wurde. Oder, um es anders zu sagen, diese
spezialisierte „psychische Trägheit" ist nur ein anderer, kaum
ein besserer Ausdruck für das, Was wir in der Psychoanalyse
eine Fixierung zu nennen gewohnt sind.
freud-1931-neurosenlehre
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