S.
S.
355
die sonst als Abänderungen oder Einschaltungen im Text
untergekommen wären.I
Bei der Deutung eines Traumes in der Analyse hat man
die Wahl zwisd1en versehiedenen technischen Verfahren.Man kann a) chronologisch vorgehen und den Träumer
seine Einfälle zu den Traumelementen in der Reihenfolge vor-
bringen lassen, welche diese Elemente in der Erzählung des
Traumes einhalten. Dies ist das ursprüngliche, klassische Ver-
halten, welches ich noch immer für das beste halte, wenn man
seine eigenen Träume analysiert.Oder man kann b) die Deutungsarbeit an einem einzelnen
ausgezeichneten Element des Traumes ansetzen lassen, das man
mitten aus dem Traum herausgreift, zum Beispiel an dem
auffälligsten Stück desselben oder an dem, welches die größte
Deutlichkeit oder sinnliche Intensität besitzt, oder etwa an
eine im Traum enthaltene Rede anknüpfen, von der man
erwartet, daß sie zur Erinnerung an eine Rede aus dem Wach-
leben führen wird.Man kann c) überhaupt zunächst vom manifesten Inhalt
absehen und dafür an den Träumer die Frage stellen, welche
Ereignisse des letzten Tages sich in seiner Assoziation zum
erzählten Traum gesellen.Endlich kann man d), wenn der Träumer bereits mit der
Technik der Deutung vertraut ist, auf jede Vorschrift ver-
lichten und es ihm anheimstellen, mit welchen Einfällen zum
Traum er beginnen will. Ich kann nicht behaupten, daß die
eine oder die andere dieser Techniken die vorzüglichere ist.
und allgemein bessere Ergebnisse liefert.II
Ungleich bedeutsamer ist der Umstand, ob die Deutungs-
arbeit unter hohem oder niedrigem Widerstands-S.
356
druck vor sich geht, worüber der Analytiker ja niemals
lange im Zweifel bleibt. Bei hohem Druck bringt man es
vielleicht dazu, zu erfahren, von welchen Dingen der Traum
handelt, aber man kann nicht erraten, was er über diese Dinge
aussagt. Es ist, wie wenn man einem entfernten oder leise
geführten Gespräch zuhören würde. Man sagt sich dann, daß
von einem Zusammenarbeiten rnit dem Träumer nicht gut die
Rede sein kann, beschließt, sich nicht viel zu plagen und ihm
nicht viel zu helfen, und begnügt sich damit, ihm einige
Symbolübersetzungen, die man für wahrscheinlich hält, vor-
zuschlagen.Die Mehrzahl der Träume in schwierigen Analysen ist von
solcher Art, so daß man aus ihnen nicht viel über Natur
und Mechanismus der Traumbildung lernen kann, am wenig-
sten aber Auskünfte zu der beliebten Frage erhalten wird,
wo denn die Wunsdlerfüllung des Traumes steckt.Bei ganz extrem hohem Widerstandsdruck ereignet sich
das Phänomen, daß die Assoziation des Träumen in die
Breite, anstatt in die Tiefe geht. An Stelle der gewünschten
Assoziationen zu dem erzählten Traum kommen immer neue
Traumstücke zum Vorschein, die selbst assoziationslos bleiben.
Nur wenn sich der Widerstand in mäßigen Grenzen hält,
kommt das bekannte Bild der Deutungsarbeit zustande, daß
die Assoziationen des Träumers von den manifesten Ele-
menten aus zunächst weit divergieren, so daß eine
große Anzahl von Themen und Vorstellungskreisen angerührt
werden, bis dann eine zweite Reihe von Assoziationen von
hier aus rasch zu den gesuchten Traumgedanken kon-
vergiert.Dann wird auch das Zusammenarbeiten des Analytikers mit
dem Träumer möglich; bei hohem Widerstandsdruck wäre es
nicht einmal zweckmäßig.Eine Anzahl von Träumen, die während der Analysen vor-
S.
357
fallen, sind unübersetzbar, wenngleich sie nicht gerade den
Widerstand zur Schau tragen. Sie stellen freie Bearbeitungen
der zugrunde liegenden latenten Traumgedanken vor und
sind wohlgelungenen, künstlerisch überarbeiteten Dichtwerken
vergleichbar, in denen man die Grundmotive zwar noch kennt-
lich, aber in beliebiger Durchrüttlung und Umwandlung
verwendet findet. Solche Träume dienen in der Kur als Ein-
leitung zu Gedanken und Erinnerungen des Träumers, ohne
daß ihr Inhalt selbst in Betracht käme.III
Man kann Träume von oben und Träume von
unten unterscheiden, wenn man diesen Unterschied nicht
zu scharf fassen will. Träume von unten sind solche, die durch
die Stärke eines unbewußten (verdrängten) Wunsches an-
geregt werden, der sich eine Vertretung in irgendwelchen
Tagesresten verschafft hat. Sie entsprechen Einbrüchen des
Verdrängten in das Wachleben. Träume von oben sind
Tagesgedanken oder Tagesabsichten gleichzustellen, denen es
gelungen ist, sich nächtlicherweile eine Verstärkung aus dem
vom Ich abgesprengten Verdrängten zu holen. Die Analyse
sieht dann in der Regel von diesem unbewußten Helfer ab
und vollzieht die Einreihung der latenten Traumgedanken in
das Gefüge des Wachdenkens. Eine Abänderung der Theorie
des Traumes wird durch diese Unterscheidung nicht er-
forderlich.IV
In manchen Analysen oder während gewisser Strecken einer
Analyse zeigt sich eine Sonderung des Traumlebens vom
Wachleben, ähnlich wie die Absonderung der Phantasietätig-
keit, die eine continued story (einen Tagtraumroman) unter-
hält, vom Wachdenken. Es knüpft dann ein Traum an den
anderen an, nimmt ein Element zum Mittelpunkt, welches imS.
358
vorhergehenden beiläufig gestreift wurde, u‚ dgl. Viel häufiger
trifft aber der andere Fall zu, daß die Träume nicht an-
einanderhängen, sondern sich in aufeinanderfolgende Stücke
des Wachdenkens einschalten.V
Die Deutung eines Traumes zerfällt in zwei Phasen, die
Übersetzung und die Beurteilung oder Verwertung desselben.
Während der ersten soll man sich durch keinerlei Rücksicht
auf die zweite beeinflussen lassen. Es ist, wie wenn man ein
Kapitel eines fremdsprachigen Autors vor sich hat, zum Bei-
spiel des Livius. Zuerst will man wissen, was Livius
in diesem Kapitel erzählt, erst dann tritt die Diskussion ein,
ob das Gelesene ein Geschichtsbericht ist oder eine Sage oder
eine Abschweifung des Autors.Welche Schlüsse darf man aber aus einem richtig über-
setzten Traum ziehen? Ich habe den Eindrucks, daß die ana-
lytische Praxis hierin Irrtümer und Überschätzungen nicht
immer vermieden hat, und zwar zum Teil aus übergroßem
Respekt vor dem „geheimnisvollen Unbewußten“.Man vergißt zu leicht daran, daß ein Traum zumeist nur
ein Gedanke ist wie ein anderer, ermöglicht durch den Nach-
laß der Zensur und die unbewußte Verstärkung und entstellt
durch die Einwirkung der Zensur und die unbewußte Be-
arbeitung.Greifen wir das Beispiel der sogenannten Genesungsträume
heraus. Wenn ein Patient einen solchen Traum gehabt hat, in
dem er sich den Einschränkungen der Neurose zu entziehen
scheint, zum Beispiel eine Phobie überwindet oder eine
Gefühlsbinduug aufgibt, so sind wir geneigt zu glauben, er
habe einen großen Fortschritt gemacht, sei bereit, sich in eine
neue lebenslange zu fügen, beginne mit seiner Gesundheit zu
rechnen usw. Das mag oftmals richtig sein, aber ebensooftS.
359
haben solche Genesungsträume nur den Wert von Bequem-
lichkeitsträumen, sie bedeuten den Wunsch, endlich gesund zu
sein, um sich ein weiteres Stück der analytischen Arbeit, das
sie als hevorstehend fühlen, zu ersparen. In solchem Sinn er-
eignen sich Genesungsträume zum Beispiel recht häufig, wenn
der Patient in eine neue, ihm peinliche Phase der Übertragung
eintreten soll. Er benimmt sich dann ganz ähnlich wie manche
Neurotiker, die sieh nach wenigen Stunden Analyse für geheilt
erklären, weil sie allem Unangenehmen entgehen wollen, das
in der Analyse noch zur Sprache kommen soll. Auch die
Kriegsneurotiker, die auf ihre Symptome verziehteten, weil
ihnen die Therapie der Militärärzte das Kranksein und un-
behaglicher zu machen verstand, als sie den Dienst an der
Front gefunden hatten, sind denselben ökonomischen Bedin-
gungen gefolgt, und die Heilungen haben sich in beiden Fällen
nicht haltbar erwiesen.VI
Es ist gar nicht so leicht, allgemeine Entscheidungen über
den Wert richtig übersetzter Träume zu fällen. Wenn beim
Patienten ein Ambivalenzkonflikt besteht, so bedeutet ein
feindseliger Gedanke, der in ihm auftaucht, gewiß nicht eine
dauernde Überwindung der zärtlichen Regung, also eine Ent-
scheidung des Konflikts, und ebensowenig hat ein Traum vom
gleidien feindseligen Inhalt diese Bedeutung, Während eines
solchen Ambivalenzkonflikts bringt oft jede Nacht zwei
Träume, von denen jeder eine andere Stellung nimmt. Der
Fortschritt besteht dann darin, daß eine gründliche Isolierung
der beiden kontrastierenden Regungen gelungen ist und jede
von ihnen mit Hilfe der unbewußten Verstärkungen bis zu
ihrem Extrem verfolgt und eingesehen werden kann. Mit-
unter ist der eine der beiden ambivalenten Träume vergessen
werden, man darf sich dann nicht täuschen lassen und an-S.
360
nehmen, daß nun die Entscheidung zugunsten der einen Seite
gefallen ist. Das Vergessen des einen Traumes zeigt allerdings,
daß für den Augenblick die eine Richtung die Oberhand hat,
aber das gilt nur für den einen Tag und kann sich ändern.
Die nächste Nacht bringt vielleicht die entgegengesetzte Äuße-
rung in den Vordergrund. Wie der Konflikt wirklich steht.
kann nur durch die Berücksichtigung aller anderen Kund-
gebungen, auch des Wachlebens, erraten werden.VII
Mit der Frage nach der Wertung der Träume hängt die
andere nach ihrer Beeinflußbarkeit durch ärztliche „Sug-
gestion“ innig zusammen. Der Analytiker wird vielleicht zu-
erst erschrecken, wenn er an diese Möglichkeit gemahnt wird;
bei näherer Überlegung wird dieser Schreck gewiß der Ein-
sicht weichen, die Beeinflussung der Träume des Patienten sei
für den Analytiker nicht mehr Mißgeschick oder Schande als
die Lenkung seiner bewußten Gedanken.Daß der manifeste Inhalt der Träume durch die analytische
Kur beinflußt wird, braud1t nicht erst bewiesen zu werden.
Das folgt ja schon aus der Einsicht, daß der Traum aus Wach-
leben anknüpft und Anregungen desselben verarbeitet. Was
in der analytischen Kur vergeht, gehört natürlich auch zu den
Eindrücken des Wachlebens und bald zu den stärksten des-
selben. Es ist also kein Wunder, daß der Patient von Dingen
träumt, die der Arzt mit ihm besprochen und deren Erwartung
er in ihm geweckt hat. Nicht mehr Wunder jedenfalls, als
in der bekannten Tatsache der „experimentellen“ Träume ent-
halten ist.Das Interesse setzt sich nun dahin fort, ob auch die durch
Deutung zu ernierenden latenten Traumgedanken vom Ana-
lytiker beeinflußt, suggeriert, werden können. Die Antwort
darauf muß wiederum lauten: Selbstverständlich ja, denn einS.
361
Anteil dieser latenten Traumgedanken entspricht vorbewußten,
durchaus bewußtseinsfähigen Gedankenbildungen, mit denen
der Träumer eventuell auch im Wachen auf die Anregungen
des Arztes hätte reagieren können, mögen die Erwiderungen
des Analysierten nun diesen Anregungen gleichgerichtet sein
oder ihnen Widerstreben. Ersetzt man den Traum durch die
in ihm enthaltenen Traumgedanken, so fällt eben die Frage,
wieweit man Träume suggerieren kann, mit der allgemeineren,
inwieweit der Patient in der Analyse der Suggestion zugäng-
lich ist, zusammen.Auf den Mechanismus der Traumbildung selbst, auf die
eigentliche Traumarbeit gewinnt man nie Einfluß; daran darf
man festhalten.Außer dem besprochenen Anteil der vorbewußten Traum-
gedanken enthält jeder richtige Traum Hinweise auf die ver-
drängten Wunschregungen, denen er seine Bildungsmöglichkeit
verdankt. Der Zweifler wird zu diesen sagen, sie erscheinen
im Traume, weil der Träumer weiß, daß er sie bringen soll,
daß sie vom Analytiker erwartet werden. Der Analytiker
selbst wird mit gutem Recht anders denken.Wenn der Traum Situationen bringt, die auf Szenen aus
der Vergangenheit des Träumers gedeutet werden können,
scheint die Frage besonders bedeutsam, ob auch an diesen
Trauminhalten der ärztliche Einfluß beteiligt sein kann. Am
dringendsten wird diese Frage bei den sogenannten bestä-
tigenden, der Analyse nachhinkenden Träumen. Bei
manchen Patienten bekommt man keine anderen. Sie repro-
duzieren die vergessenen Erlebnisse ihrer Kindheit erst, nach-
dem man dieselben aus Symptomen, Einfällen und An-
deutungen konstruiert und ihnen dies mitgeteilt hat. Das gibt
dann die bestätigenden Träume, gegen welche aber der
Zweifel sagt, sie seien ganz ohne Beweiskraft‚ da sie auf die
Anregung des Arztes hin phantasiert sein mögen, anstatt ausS.
362
dem Unbewußten des Träumen ans Licht gefördert zu sein.
Ausweichen kann man in der Analyse dieser mehrdeutigen
Situation nicht, denn wenn man bei diesen Patienten nicht
deutet, konstruiert und mitteilt, findet man nie den Zugang
zu dem bei ihnen Verdrängten.Die Sachlage gestaltet sich günstig, wenn sich an die Analyse
eines solchen nachhinkenden, bestätigenden Traumes un-
mittelbar Erinnerungsgefühle für das bisher Vergessene
knüpfen.Der Skeptiker hat dann den Ausweg, zu sagen, es seien
Erinnerungstäuschungen. Meist sind auch solche Erinnerungs-
gefühle nicht vorhanden. Das Verdrängte wird nur stückweise
durchgelassen, und jede Unvollständigkeit hemmt oder ver-
zögert die Bildung einer Überzeugung. Auch kann es sich um
die Reproduktion nicht einer wirklichen, vergessenen Be-
gebenheit, sondern um die Förderung einer unbewußten Phan-
tasie handeln, für welche ein Erinnerungsgefühl niemals zu
erwarten ist, aber irgend einmal ein Gefühl subjektiver Über-
zeugung möglich bleibt.Können also die Bestätigungsträume wirklich Erfolge der
Suggestion, also Gefälligkeitsträume sein? Die Patienten,
welche nur Bestätigungsträume bringen, sind dieselben, bei
denen der Zweifel die Rolle des hauptsächlichen Widerstandes
spielt. Man macht nid1t den Versuch, diesen Zweifel durch
Autorität zu überschreien oder ihn mit Argumenten zu er-
schlagen. Er muß bestehen bleiben, bis er im weiteren Fort-
gang der Analyse zur Erledigung kommt. Auch der Analytiker
darf im einzelnen Falle einen solchen Zweifel festhalten. Was
ihn endlich sicher macht, ist gerade die Komplikation der ihm
gestellten Aufgabe, die der Lösung eines der „Puzzles“ ge-
nannten Kinderspiele vergleichbar ist. Dort ist eine farbige
Zeichnung, die auf ein Holzbrettchen geklebt ist und genau
in einen Holzrahmen paßt, in viele Stücke zerschnittenS.
363
werden, die von den unregelmäßigsten krummen Linien be-
grenzt werden. Gelingt es, den unordentlichen Haufen von
Holzplättchen, deren jedes ein unverständliches Stück Zeich-
nung trägt, so zu ordnen, daß die Zeichnung sinnvoll wird,
daß nirgends eine Lücke zwischen den Fugen bleibt, und daß
das Ganze den Rahmen ausfällt, sind alle diese Bedingungen
erfüllt, so weiß man‚ daß man die Lösung des Puzzle gefunden
hat und daß es keine andere gibt.Ein solcher Vergleich kann natürlich dem Analysierten
während der unvollendeten analytischen Arbeit nichts be-
deuten. Ich erinnere mich hier an eine Diskussion, die ich mit
einem Patienten zu führen hatte, dessen außerordentliche
Ambivalenzeinstellung sich im stärksten zwanghaften Zweifel
äußerte. Er bestritt die Deutungen seiner Träume nicht und
war von deren Übereinstimmung mit den von mir geäußerten
Mutmaßungen sehr ergriffen. Aber er fragte, ob diese be-
stätigenden Träume nicht Ausdruck seiner Gefügigkeit gegen
mich sein könnten. Als ich geltend machte, daß diese Träume
auch eine Summe von Einzelheiten gebracht hätten, die ich
nicht ahnen konnte, und daß sein sonstiges Benehmen in der
Kur gerade nicht von Gefügigkeit zeugte, wandte er sich zu
einer anderen Theorie und fragte, ob nicht sein narzißtischer
Wunsch, gesund zu werden, ihn veranlaßt haben könne,
solche Träume zu produzieren, da ich ihm doch die Genesung
in Aussicht gestellt habe, wenn er meine Konstruktionen an-
nehmen könne. lch mußte antworten, mit sei von einem
solchen Mechanismus der Traumbildung noch nichts bekannt
werden, aber die Entscheidung kam auf anderem Wege. Er
erinnerte sich an Träume, die er gehabt, ehe er in die Analyse
eintrat, ja, ehe er etwas von ihr erfahren hatte, und die
Analyse dieser vom Suggestionsverdacht freien Träume ergab
dieselben Deutungen wie der späteren. Sein Zwang zum
Widerspruch fand zwar noch den Ausweg, die früherenS.
364
Träume seien minder deutlich gewesen als die Während der
Kur vorgefallenen, aber mir genügte die Übereinstimmung. Ich
meine, es ist überhaupt gut, gelegentlidi daran zu denken, daß
die Menschen auch schon zu träumen pflegten, ehe es eine
Psychoanalyse gab.VIII
Es könnte wohl sein, daß es den Träumen in einer Psycho-
analyse in ausgiebigerem Maße gelingt, das Verdrängte zum
Vorschein zu bringen, als den Träumen außerhalb dieser
Situation. Aber es ist nicht zu erweisen, denn die beiden
Situationen sind nicht vergleichbar; die Verwertung in der
Analyse ist eine Absicht, die dem Traume ursprünglich ganz
ferne liegt. Dagegen kann es nicht zweifelhaft sein, daß
innerhalb einer Analyse weit mehr des Verdrängten im An-
schluß an Träume zutage gefördert wird als mit Hilfe der
anderen Methoden; für solche Mehrleistung muß es einen
Motor geben, eine unbewußte Macht, welche während des
Schlafzustandes besser als sonst imstande ist, die Absichten der
Analyse zu unterstützen. Nun kann man hierfür kaum einen
anderen Faktor in Anspruch nehmen als die aus dem Eltern-
komplex stammende Gefügigkeit des Analysierten gegen den
Analytiker, also den positiven Anteil der von uns so genannten
Übertragung, und in der Tat läßt sich an vielen Träumen,
die Vergessenes und Verdrängtes wiederbringen‚ kein anderer
unbewußter Wunsch entdecken, dem man die Triebkraft für
die Traumbildung zuschreiben könnte. Will also jemand be-
haupten, daß die meisten der in der Analyse verwertbaren
Träume Gefälligkeitsträume sind und der Suggestion ihre Ent-
stehung verdanken, so ist vom Standpunkt der analytischen
Theorie nichts dagegen einzuwenden. Ich brauche dann nur
noch auf die Erörterungen in meinen „Vorlesungen zur Ein-
führung“ zu verweisen, in denen das Verhältnis der Über-
tragung zur Suggestion behandelt und dargetan wird, wieS.
365
wenig die Anerkennung der Suggestionswirkung in unserem
Sinne die Zuverlässigkeit unserer Resultate schädigt.Ich habe mich in der Schrift „Jenseits des Lustprinzips“ mit
dem ökonomischen Problem beschäftigt, wie es den in jeder
Hinsicht peinlichen Erlebnissen der frühinfantilen Sexual-
periode gelingen kann, sich zu irgendeiner Art von Repro-
duktion durchzuringen. Ich mußte ihnen im „Wiederholungs-
zwang“ einen außerordentlich starken Auftrieb zugestehen,
der die im Dienst des Lustprinzips auf ihnen lastende Ver-
drängung bewältigt, aber doch nicht eher, „als bis die ent-
gegenkommende Arbeit der Kur die Verdrängung gelodsert
hat“.1 Hier wäre einzuschalten, daß es die positive Über-
tragung ist, welche dem Wiederholungszwang diese Hilfe
leistet. Es ist dabei zu einem Bündnis der Kur mit dem
Wiederholungszwang gekommen, welches sich zunächst gegen
das Lustprinzip richtet, aber in letzter Absicht die Herrschaft
des Realitätsprinzips aufrid1ten will. Wie ich dort ausgeführt
habe, ereignet es sich nur allzu häufig, daß sich der Wieder-
holungszwang von den Verpflichtungen dieses Bundes frei-
macht und sich nicht mit der Wiederkehr des Verdrängten in
der Form von Traumbildern begnügt.IX
Soweit ich bis jetzt sehe, ergeben die Träume bei trauma-
tischer Neurose die einzige wirkliche, die Strafträume die
einzige scheinbare Ausnahme von der wunscherfüllenden Ten-
denz des Traumes. Bei diesen letzteren stellt sich der merk-
würdige Tatbestand her, daß eigentlich nichts von den latenten
Traumgedanken in den manifesten Trauminhalt aufgenommen
wird, sondern daß an deren Stelle etwas ganz anderes tritt,
was als eine Reaktionsbildung gegen die Traumgedanken, als
Ablehnung und voller Widerspruch gegen sie beschrieben1) Ges. Schriften, Bd. VI, S. 206.
S.
366
werden muß. Ein solches Einschreiten gegen den Traum kann
man nur der kritischen Ichinstanz zutrauen und muß daher
annehmen, daß diese, durch die unbewußte Wunscherfüllung
geteilt, sich zeitweilig auch während des Schlafzustandes
Wiederhergestellt hat. Sie hätte auf diesen unerwünschten
Trauminhalt auch mit Erwachen reagieren können, fand aber
in der Bildung des Strafttraumes einen Weg, die Schlafstörung
zu vermeiden.So ist also zum Beispiel für die bekannten Träume des
Dichters Rosegger, die ich in der „Traumdeutung“2 erwähne,
ein unterdrückter Text von hochmütigem‚ prahlerischem Inhalt
zu vermuten, der wirkliche Traum aber hielt ihm vor: „Du
bist ein unfähiger Schneidergeselle“. Es wäre natürlich un-
sinnig, nach einer verdrängten Wunschregung als Triebkraft
dieses manifesten Traumes zu suchen; man muß sich mit der
Wunscherfüllung der Selbstkritik begnügen.Das Befremden über einen derartigen Aufbau des Traumes
ermäßigt sich, wenn man bedenkt, wie geläufig es der Traum-
entstellung im Dienste der Zensur ist, für ein einzelnes
Element etwas einzusetzen, was in irgendeinem Sinne sein
Gegenteil oder Gegensatz ist. Von da ab ist es nur ein kurzer
Weg bis zur Ersetzung eines charakteristischen Stückes Traum-
inhalt durch einen abwehrenden Widerspruch, und ein Schritt
weiter führt zur Ersetzung des ganzen anstößigen Traum-
inhaltes durch den Straftraum. Von dieser mittleren Phase
der Verfälschung des manifesten Inhaltes möchte ich ein oder
zwei charakteristische Beispiele mitteilen.Aus dem Traum eines Mädchens mit starker Vaterfixierung,
welches sich in der Analyse schwer ausspricht: Sie sitzt im
Zimmer mit einer Freundin, nur mit einem Kimono bekleidet.
Ein Herr kommt herein, vor dem sie sich geniert. Der Herr2) Ges. Schriften, Bd. III, S. 138 ff.
S.
367
sagt aber: „Das ist ja das Mädchen, das wir schon einmal so
schön bekleidet gesehen haben.“ — Der Herr hin ich, in
weiterer Zurückführung der Vater. Mit dem Traum ist aber
nichts zu machen, solange wir uns nicht entschließen, in der
Rede des Herrn das wichtigste Element durdn seinen Gegen-
satz zu ersetzen: „Das ist das Mädchen, das ich schon einmal
unbekleidet und dann so schön gesehen habe.“ Sie hat
als Kind von drei bis vier Jahren eine Zeitlang im selben
Zimmer mit dem Vater geschlafen, und alle Anzeichen deuten
darauf hin, daß sie sich damals im Sdllaf aufzudecken pflegte,
um dem Vater zu gefallen. Die seitherige Verdrängung ihrer
Exhibitionslust motiviert heute ihre Verschlossenheit in der
Kur, ihre Unlust, sich unverhüllt zu zeigen.Aus einer anderen Szene desselben Traumes: Sie liest ihre
eigene, im Druck vorliegende Krankengeschichte. Darin steht,
daß ein junger Mann seine Geliebte ermordet — Kakao —
das gehört zur Analerotik. Das letztere ist ein Gedanke, den
sie im Traum bei der Erwähnung des Kakaos hat. — Die
Deutung dieses Traumstückes ist noch schwieriger als die des
vorigen. Man erfährt endlich, daß sie vor dem Einschlafen die
„Geschichte einer infantilen Neurose“ gelesen hat, in welcher
eine reale oder phantasierte Koitusbeobachtung der Eltern
den Mittelpunkt bildet. Diese Krankengeschichte hat sie schon
früher einmal auf die eigene Person bezogen, nicht das einzige
Anzeichen, daß auch bei ihr eine solche Beobachtung in Be-
tracht kommt. Der junge Mann, der seine Geliebte ermordet,
ist nun eine deutliche Anspielung auf die sadistische Auf-
fassung der Koitusszene, aber das nächste Element, der Kakao,
geht weit davon ab. Zum Kakao weiß sie nur zu assoziieren,
daß ihre Mutter zu sagen pflegt, vom Kakao bekomme man
Kopfweh, auch von anderen Frauen will sie das gleiche
gehört haben. Übrigens hat sie sich eine Zeitlang durch eben-
solche Kopfschmerzen mit der Mutter identifiziert. Ich kannS.
368
nun keine andere Verknüpfung der beiden Traumelemente
finden als durch die Annahme, daß sie von den Folgerungen
aus der Koitusbeobadrtung ablenken will. Nein, das hat nichts
mit der Kinderzeugung zu tun. Die Kinder kommen von
etwas, das man ißt (wie im Märchen), und die Erwähnung der
Analetotik, die wie ein Deutungsversuch im Traum aussieht,
vervollständigt die zu Hilfe gerufene infantile Theorie durch
die Hinzufiigung der analen Geburt.X
Man hört gelegentlich Verminderung darüber äußern, daß
das Ich des Träumers zwei- oder mehrmals im manifesten
Traum erscheint, einmal in eigener Person und die anderen
Male hinter anderen Personen versteckt. Die sekundäre Be-
arbeitung hat während der Traumbildung offenbar das Be-
streben gehabt, diese Vielheit des Ich, welche in keine szeni-
sche Situation paßt, auszumerzen, durch die Deutungsarbeit
wird sie aber wieder hergestellt. Sie ist an sich nicht merk-
würdiger als das mehrfache Vorkommen des Ichs in einem
wachen Gedanken, zumal wenn sich dabei das Ich in Subjekt
und Objekt zerlegt, sich als beobachtende und kritische Instanz
dem anderen Anteil gegenüberstellt oder sein gegenwärtiges
Wesen mit einem erinnerten, vergangenen, das auch einmal Ich
war, vergleicht. So zum Beispiel in den Sätzen: „Wenn ich
daran denke, was ich diesem Menschen getan habe“ und
„Wenn ich daran denke, daß ich auch einmal ein Kind
war.“ Daß aber alle Personen, die im Traum vorkommen,
als Abspaltungen und Vertretungen des eigenen Ichs zu gelten
haben, möchte ich als eine inhaltslose und unberechtigte
Spekulation zurüdrweisen. Es genügt uns, daran festzuhalten,
daß die Sonderung des Ichs von einer beobachtenden, kriti-
sierenden, strafenden Instanz (Ichideal) auch für die Traum-
deutung in Betracht kommt.
freud-1931-sexualtheorie
354
–368