Bemerkungen zur Theorie und Praxis der Traumdeutung 1923-001/1931
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    BEMERKUNGEN ZUR THEORIE UND
    PRAXIS DER TRAUMDEUTUNG

    (1923)

    Der zufällige Umstand, daß die letzten Auflagen der
    „Traumdeutung“ durch Plattendruck hergestellt wurden, ver-
    anlaßt mich, nachstehende Bemerkungen selbständig zu machen,

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    die sonst als Abänderungen oder Einschaltungen im Text
    untergekommen wären.

    I

    Bei der Deutung eines Traumes in der Analyse hat man
    die Wahl zwisd1en versehiedenen technischen Verfahren.

    Man kann a) chronologisch vorgehen und den Träumer
    seine Einfälle zu den Traumelementen in der Reihenfolge vor-
    bringen lassen, welche diese Elemente in der Erzählung des
    Traumes einhalten. Dies ist das ursprüngliche, klassische Ver-
    halten, welches ich noch immer für das beste halte, wenn man
    seine eigenen Träume analysiert.

    Oder man kann b) die Deutungsarbeit an einem einzelnen
    ausgezeichneten Element des Traumes ansetzen lassen, das man
    mitten aus dem Traum herausgreift, zum Beispiel an dem
    auffälligsten Stück desselben oder an dem, welches die größte
    Deutlichkeit oder sinnliche Intensität besitzt, oder etwa an
    eine im Traum enthaltene Rede anknüpfen, von der man
    erwartet, daß sie zur Erinnerung an eine Rede aus dem Wach-
    leben führen wird.

    Man kann c) überhaupt zunächst vom manifesten Inhalt
    absehen und dafür an den Träumer die Frage stellen, welche
    Ereignisse des letzten Tages sich in seiner Assoziation zum
    erzählten Traum gesellen.

    Endlich kann man d), wenn der Träumer bereits mit der
    Technik der Deutung vertraut ist, auf jede Vorschrift ver-
    lichten und es ihm anheimstellen, mit welchen Einfällen zum
    Traum er beginnen will. Ich kann nicht behaupten, daß die
    eine oder die andere dieser Techniken die vorzüglichere ist.
    und allgemein bessere Ergebnisse liefert.

    II

    Ungleich bedeutsamer ist der Umstand, ob die Deutungs-
    arbeit unter hohem oder niedrigem Widerstands-

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    druck vor sich geht, worüber der Analytiker ja niemals
    lange im Zweifel bleibt. Bei hohem Druck bringt man es
    vielleicht dazu, zu erfahren, von welchen Dingen der Traum
    handelt, aber man kann nicht erraten, was er über diese Dinge
    aussagt. Es ist, wie wenn man einem entfernten oder leise
    geführten Gespräch zuhören würde. Man sagt sich dann, daß
    von einem Zusammenarbeiten rnit dem Träumer nicht gut die
    Rede sein kann, beschließt, sich nicht viel zu plagen und ihm
    nicht viel zu helfen, und begnügt sich damit, ihm einige
    Symbolübersetzungen, die man für wahrscheinlich hält, vor-
    zuschlagen.

    Die Mehrzahl der Träume in schwierigen Analysen ist von
    solcher Art, so daß man aus ihnen nicht viel über Natur
    und Mechanismus der Traumbildung lernen kann, am wenig-
    sten aber Auskünfte zu der beliebten Frage erhalten wird,
    wo denn die Wunsdlerfüllung des Traumes steckt.

    Bei ganz extrem hohem Widerstandsdruck ereignet sich
    das Phänomen, daß die Assoziation des Träumen in die
    Breite, anstatt in die Tiefe geht. An Stelle der gewünschten
    Assoziationen zu dem erzählten Traum kommen immer neue
    Traumstücke zum Vorschein, die selbst assoziationslos bleiben.
    Nur wenn sich der Widerstand in mäßigen Grenzen hält,
    kommt das bekannte Bild der Deutungsarbeit zustande, daß
    die Assoziationen des Träumers von den manifesten Ele-
    menten aus zunächst weit divergieren, so daß eine
    große Anzahl von Themen und Vorstellungskreisen angerührt
    werden, bis dann eine zweite Reihe von Assoziationen von
    hier aus rasch zu den gesuchten Traumgedanken kon-
    vergiert
    .

    Dann wird auch das Zusammenarbeiten des Analytikers mit
    dem Träumer möglich; bei hohem Widerstandsdruck wäre es
    nicht einmal zweckmäßig.

    Eine Anzahl von Träumen, die während der Analysen vor-

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    fallen, sind unübersetzbar, wenngleich sie nicht gerade den
    Widerstand zur Schau tragen. Sie stellen freie Bearbeitungen
    der zugrunde liegenden latenten Traumgedanken vor und
    sind wohlgelungenen, künstlerisch überarbeiteten Dichtwerken
    vergleichbar, in denen man die Grundmotive zwar noch kennt-
    lich, aber in beliebiger Durchrüttlung und Umwandlung
    verwendet findet. Solche Träume dienen in der Kur als Ein-
    leitung zu Gedanken und Erinnerungen des Träumers, ohne
    daß ihr Inhalt selbst in Betracht käme.

    III

    Man kann Träume von oben und Träume von
    unten
    unterscheiden, wenn man diesen Unterschied nicht
    zu scharf fassen will. Träume von unten sind solche, die durch
    die Stärke eines unbewußten (verdrängten) Wunsches an-
    geregt werden, der sich eine Vertretung in irgendwelchen
    Tagesresten verschafft hat. Sie entsprechen Einbrüchen des
    Verdrängten in das Wachleben. Träume von oben sind
    Tagesgedanken oder Tagesabsichten gleichzustellen, denen es
    gelungen ist, sich nächtlicherweile eine Verstärkung aus dem
    vom Ich abgesprengten Verdrängten zu holen. Die Analyse
    sieht dann in der Regel von diesem unbewußten Helfer ab
    und vollzieht die Einreihung der latenten Traumgedanken in
    das Gefüge des Wachdenkens. Eine Abänderung der Theorie
    des Traumes wird durch diese Unterscheidung nicht er-
    forderlich.

    IV

    In manchen Analysen oder während gewisser Strecken einer
    Analyse zeigt sich eine Sonderung des Traumlebens vom
    Wachleben, ähnlich wie die Absonderung der Phantasietätig-
    keit, die eine continued story (einen Tagtraumroman) unter-
    hält, vom Wachdenken. Es knüpft dann ein Traum an den
    anderen an, nimmt ein Element zum Mittelpunkt, welches im

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    vorhergehenden beiläufig gestreift wurde, u‚ dgl. Viel häufiger
    trifft aber der andere Fall zu, daß die Träume nicht an-
    einanderhängen, sondern sich in aufeinanderfolgende Stücke
    des Wachdenkens einschalten.

    V

    Die Deutung eines Traumes zerfällt in zwei Phasen, die
    Übersetzung und die Beurteilung oder Verwertung desselben.
    Während der ersten soll man sich durch keinerlei Rücksicht
    auf die zweite beeinflussen lassen. Es ist, wie wenn man ein
    Kapitel eines fremdsprachigen Autors vor sich hat, zum Bei-
    spiel des Livius. Zuerst will man wissen, was Livius
    in diesem Kapitel erzählt, erst dann tritt die Diskussion ein,
    ob das Gelesene ein Geschichtsbericht ist oder eine Sage oder
    eine Abschweifung des Autors.

    Welche Schlüsse darf man aber aus einem richtig über-
    setzten Traum ziehen? Ich habe den Eindrucks, daß die ana-
    lytische Praxis hierin Irrtümer und Überschätzungen nicht
    immer vermieden hat, und zwar zum Teil aus übergroßem
    Respekt vor dem „geheimnisvollen Unbewußten“.

    Man vergißt zu leicht daran, daß ein Traum zumeist nur
    ein Gedanke ist wie ein anderer, ermöglicht durch den Nach-
    laß der Zensur und die unbewußte Verstärkung und entstellt
    durch die Einwirkung der Zensur und die unbewußte Be-
    arbeitung.

    Greifen wir das Beispiel der sogenannten Genesungsträume
    heraus. Wenn ein Patient einen solchen Traum gehabt hat, in
    dem er sich den Einschränkungen der Neurose zu entziehen
    scheint, zum Beispiel eine Phobie überwindet oder eine
    Gefühlsbinduug aufgibt, so sind wir geneigt zu glauben, er
    habe einen großen Fortschritt gemacht, sei bereit, sich in eine
    neue lebenslange zu fügen, beginne mit seiner Gesundheit zu
    rechnen usw. Das mag oftmals richtig sein, aber ebensooft

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    haben solche Genesungsträume nur den Wert von Bequem-
    lichkeitsträumen, sie bedeuten den Wunsch, endlich gesund zu
    sein, um sich ein weiteres Stück der analytischen Arbeit, das
    sie als hevorstehend fühlen, zu ersparen. In solchem Sinn er-
    eignen sich Genesungsträume zum Beispiel recht häufig, wenn
    der Patient in eine neue, ihm peinliche Phase der Übertragung
    eintreten soll. Er benimmt sich dann ganz ähnlich wie manche
    Neurotiker, die sieh nach wenigen Stunden Analyse für geheilt
    erklären, weil sie allem Unangenehmen entgehen wollen, das
    in der Analyse noch zur Sprache kommen soll. Auch die
    Kriegsneurotiker, die auf ihre Symptome verziehteten, weil
    ihnen die Therapie der Militärärzte das Kranksein und un-
    behaglicher zu machen verstand, als sie den Dienst an der
    Front gefunden hatten, sind denselben ökonomischen Bedin-
    gungen gefolgt, und die Heilungen haben sich in beiden Fällen
    nicht haltbar erwiesen.

    VI

    Es ist gar nicht so leicht, allgemeine Entscheidungen über
    den Wert richtig übersetzter Träume zu fällen. Wenn beim
    Patienten ein Ambivalenzkonflikt besteht, so bedeutet ein
    feindseliger Gedanke, der in ihm auftaucht, gewiß nicht eine
    dauernde Überwindung der zärtlichen Regung, also eine Ent-
    scheidung des Konflikts, und ebensowenig hat ein Traum vom
    gleidien feindseligen Inhalt diese Bedeutung, Während eines
    solchen Ambivalenzkonflikts bringt oft jede Nacht zwei
    Träume, von denen jeder eine andere Stellung nimmt. Der
    Fortschritt besteht dann darin, daß eine gründliche Isolierung
    der beiden kontrastierenden Regungen gelungen ist und jede
    von ihnen mit Hilfe der unbewußten Verstärkungen bis zu
    ihrem Extrem verfolgt und eingesehen werden kann. Mit-
    unter ist der eine der beiden ambivalenten Träume vergessen
    werden, man darf sich dann nicht täuschen lassen und an-

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    nehmen, daß nun die Entscheidung zugunsten der einen Seite
    gefallen ist. Das Vergessen des einen Traumes zeigt allerdings,
    daß für den Augenblick die eine Richtung die Oberhand hat,
    aber das gilt nur für den einen Tag und kann sich ändern.
    Die nächste Nacht bringt vielleicht die entgegengesetzte Äuße-
    rung in den Vordergrund. Wie der Konflikt wirklich steht.
    kann nur durch die Berücksichtigung aller anderen Kund-
    gebungen, auch des Wachlebens, erraten werden.

    VII

    Mit der Frage nach der Wertung der Träume hängt die
    andere nach ihrer Beeinflußbarkeit durch ärztliche „Sug-
    gestion“ innig zusammen. Der Analytiker wird vielleicht zu-
    erst erschrecken, wenn er an diese Möglichkeit gemahnt wird;
    bei näherer Überlegung wird dieser Schreck gewiß der Ein-
    sicht weichen, die Beeinflussung der Träume des Patienten sei
    für den Analytiker nicht mehr Mißgeschick oder Schande als
    die Lenkung seiner bewußten Gedanken.

    Daß der manifeste Inhalt der Träume durch die analytische
    Kur beinflußt wird, braud1t nicht erst bewiesen zu werden.
    Das folgt ja schon aus der Einsicht, daß der Traum aus Wach-
    leben anknüpft und Anregungen desselben verarbeitet. Was
    in der analytischen Kur vergeht, gehört natürlich auch zu den
    Eindrücken des Wachlebens und bald zu den stärksten des-
    selben. Es ist also kein Wunder, daß der Patient von Dingen
    träumt, die der Arzt mit ihm besprochen und deren Erwartung
    er in ihm geweckt hat. Nicht mehr Wunder jedenfalls, als
    in der bekannten Tatsache der „experimentellen“ Träume ent-
    halten ist.

    Das Interesse setzt sich nun dahin fort, ob auch die durch
    Deutung zu ernierenden latenten Traumgedanken vom Ana-
    lytiker beeinflußt, suggeriert, werden können. Die Antwort
    darauf muß wiederum lauten: Selbstverständlich ja, denn ein

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    Anteil dieser latenten Traumgedanken entspricht vorbewußten,
    durchaus bewußtseinsfähigen Gedankenbildungen, mit denen
    der Träumer eventuell auch im Wachen auf die Anregungen
    des Arztes hätte reagieren können, mögen die Erwiderungen
    des Analysierten nun diesen Anregungen gleichgerichtet sein
    oder ihnen Widerstreben. Ersetzt man den Traum durch die
    in ihm enthaltenen Traumgedanken, so fällt eben die Frage,
    wieweit man Träume suggerieren kann, mit der allgemeineren,
    inwieweit der Patient in der Analyse der Suggestion zugäng-
    lich ist, zusammen.

    Auf den Mechanismus der Traumbildung selbst, auf die
    eigentliche Traumarbeit gewinnt man nie Einfluß; daran darf
    man festhalten.

    Außer dem besprochenen Anteil der vorbewußten Traum-
    gedanken enthält jeder richtige Traum Hinweise auf die ver-
    drängten Wunschregungen, denen er seine Bildungsmöglichkeit
    verdankt. Der Zweifler wird zu diesen sagen, sie erscheinen
    im Traume, weil der Träumer weiß, daß er sie bringen soll,
    daß sie vom Analytiker erwartet werden. Der Analytiker
    selbst wird mit gutem Recht anders denken.

    Wenn der Traum Situationen bringt, die auf Szenen aus
    der Vergangenheit des Träumers gedeutet werden können,
    scheint die Frage besonders bedeutsam, ob auch an diesen
    Trauminhalten der ärztliche Einfluß beteiligt sein kann. Am
    dringendsten wird diese Frage bei den sogenannten bestä-
    tigenden
    , der Analyse nachhinkenden Träumen. Bei
    manchen Patienten bekommt man keine anderen. Sie repro-
    duzieren die vergessenen Erlebnisse ihrer Kindheit erst, nach-
    dem man dieselben aus Symptomen, Einfällen und An-
    deutungen konstruiert und ihnen dies mitgeteilt hat. Das gibt
    dann die bestätigenden Träume, gegen welche aber der
    Zweifel sagt, sie seien ganz ohne Beweiskraft‚ da sie auf die
    Anregung des Arztes hin phantasiert sein mögen, anstatt aus

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    dem Unbewußten des Träumen ans Licht gefördert zu sein.
    Ausweichen kann man in der Analyse dieser mehrdeutigen
    Situation nicht, denn wenn man bei diesen Patienten nicht
    deutet, konstruiert und mitteilt, findet man nie den Zugang
    zu dem bei ihnen Verdrängten.

    Die Sachlage gestaltet sich günstig, wenn sich an die Analyse
    eines solchen nachhinkenden, bestätigenden Traumes un-
    mittelbar Erinnerungsgefühle für das bisher Vergessene
    knüpfen.

    Der Skeptiker hat dann den Ausweg, zu sagen, es seien
    Erinnerungstäuschungen. Meist sind auch solche Erinnerungs-
    gefühle nicht vorhanden. Das Verdrängte wird nur stückweise
    durchgelassen, und jede Unvollständigkeit hemmt oder ver-
    zögert die Bildung einer Überzeugung. Auch kann es sich um
    die Reproduktion nicht einer wirklichen, vergessenen Be-
    gebenheit, sondern um die Förderung einer unbewußten Phan-
    tasie handeln, für welche ein Erinnerungsgefühl niemals zu
    erwarten ist, aber irgend einmal ein Gefühl subjektiver Über-
    zeugung möglich bleibt.

    Können also die Bestätigungsträume wirklich Erfolge der
    Suggestion, also Gefälligkeitsträume sein? Die Patienten,
    welche nur Bestätigungsträume bringen, sind dieselben, bei
    denen der Zweifel die Rolle des hauptsächlichen Widerstandes
    spielt. Man macht nid1t den Versuch, diesen Zweifel durch
    Autorität zu überschreien oder ihn mit Argumenten zu er-
    schlagen. Er muß bestehen bleiben, bis er im weiteren Fort-
    gang der Analyse zur Erledigung kommt. Auch der Analytiker
    darf im einzelnen Falle einen solchen Zweifel festhalten. Was
    ihn endlich sicher macht, ist gerade die Komplikation der ihm
    gestellten Aufgabe, die der Lösung eines der „Puzzles“ ge-
    nannten Kinderspiele vergleichbar ist. Dort ist eine farbige
    Zeichnung, die auf ein Holzbrettchen geklebt ist und genau
    in einen Holzrahmen paßt, in viele Stücke zerschnitten

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    werden, die von den unregelmäßigsten krummen Linien be-
    grenzt werden. Gelingt es, den unordentlichen Haufen von
    Holzplättchen, deren jedes ein unverständliches Stück Zeich-
    nung trägt, so zu ordnen, daß die Zeichnung sinnvoll wird,
    daß nirgends eine Lücke zwischen den Fugen bleibt, und daß
    das Ganze den Rahmen ausfällt, sind alle diese Bedingungen
    erfüllt, so weiß man‚ daß man die Lösung des Puzzle gefunden
    hat und daß es keine andere gibt.

    Ein solcher Vergleich kann natürlich dem Analysierten
    während der unvollendeten analytischen Arbeit nichts be-
    deuten. Ich erinnere mich hier an eine Diskussion, die ich mit
    einem Patienten zu führen hatte, dessen außerordentliche
    Ambivalenzeinstellung sich im stärksten zwanghaften Zweifel
    äußerte. Er bestritt die Deutungen seiner Träume nicht und
    war von deren Übereinstimmung mit den von mir geäußerten
    Mutmaßungen sehr ergriffen. Aber er fragte, ob diese be-
    stätigenden Träume nicht Ausdruck seiner Gefügigkeit gegen
    mich sein könnten. Als ich geltend machte, daß diese Träume
    auch eine Summe von Einzelheiten gebracht hätten, die ich
    nicht ahnen konnte, und daß sein sonstiges Benehmen in der
    Kur gerade nicht von Gefügigkeit zeugte, wandte er sich zu
    einer anderen Theorie und fragte, ob nicht sein narzißtischer
    Wunsch, gesund zu werden, ihn veranlaßt haben könne,
    solche Träume zu produzieren, da ich ihm doch die Genesung
    in Aussicht gestellt habe, wenn er meine Konstruktionen an-
    nehmen könne. lch mußte antworten, mit sei von einem
    solchen Mechanismus der Traumbildung noch nichts bekannt
    werden, aber die Entscheidung kam auf anderem Wege. Er
    erinnerte sich an Träume, die er gehabt, ehe er in die Analyse
    eintrat, ja, ehe er etwas von ihr erfahren hatte, und die
    Analyse dieser vom Suggestionsverdacht freien Träume ergab
    dieselben Deutungen wie der späteren. Sein Zwang zum
    Widerspruch fand zwar noch den Ausweg, die früheren

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    Träume seien minder deutlich gewesen als die Während der
    Kur vorgefallenen, aber mir genügte die Übereinstimmung. Ich
    meine, es ist überhaupt gut, gelegentlidi daran zu denken, daß
    die Menschen auch schon zu träumen pflegten, ehe es eine
    Psychoanalyse gab.

    VIII

    Es könnte wohl sein, daß es den Träumen in einer Psycho-
    analyse in ausgiebigerem Maße gelingt, das Verdrängte zum
    Vorschein zu bringen, als den Träumen außerhalb dieser
    Situation. Aber es ist nicht zu erweisen, denn die beiden
    Situationen sind nicht vergleichbar; die Verwertung in der
    Analyse ist eine Absicht, die dem Traume ursprünglich ganz
    ferne liegt. Dagegen kann es nicht zweifelhaft sein, daß
    innerhalb einer Analyse weit mehr des Verdrängten im An-
    schluß an Träume zutage gefördert wird als mit Hilfe der
    anderen Methoden; für solche Mehrleistung muß es einen
    Motor geben, eine unbewußte Macht, welche während des
    Schlafzustandes besser als sonst imstande ist, die Absichten der
    Analyse zu unterstützen. Nun kann man hierfür kaum einen
    anderen Faktor in Anspruch nehmen als die aus dem Eltern-
    komplex stammende Gefügigkeit des Analysierten gegen den
    Analytiker, also den positiven Anteil der von uns so genannten
    Übertragung, und in der Tat läßt sich an vielen Träumen,
    die Vergessenes und Verdrängtes wiederbringen‚ kein anderer
    unbewußter Wunsch entdecken, dem man die Triebkraft für
    die Traumbildung zuschreiben könnte. Will also jemand be-
    haupten, daß die meisten der in der Analyse verwertbaren
    Träume Gefälligkeitsträume sind und der Suggestion ihre Ent-
    stehung verdanken, so ist vom Standpunkt der analytischen
    Theorie nichts dagegen einzuwenden. Ich brauche dann nur
    noch auf die Erörterungen in meinen „Vorlesungen zur Ein-
    führung“ zu verweisen, in denen das Verhältnis der Über-
    tragung zur Suggestion behandelt und dargetan wird, wie

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    wenig die Anerkennung der Suggestionswirkung in unserem
    Sinne die Zuverlässigkeit unserer Resultate schädigt.

    Ich habe mich in der Schrift „Jenseits des Lustprinzips“ mit
    dem ökonomischen Problem beschäftigt, wie es den in jeder
    Hinsicht peinlichen Erlebnissen der frühinfantilen Sexual-
    periode gelingen kann, sich zu irgendeiner Art von Repro-
    duktion durchzuringen. Ich mußte ihnen im „Wiederholungs-
    zwang“ einen außerordentlich starken Auftrieb zugestehen,
    der die im Dienst des Lustprinzips auf ihnen lastende Ver-
    drängung bewältigt, aber doch nicht eher, „als bis die ent-
    gegenkommende Arbeit der Kur die Verdrängung gelodsert
    hat“.1 Hier wäre einzuschalten, daß es die positive Über-
    tragung ist, welche dem Wiederholungszwang diese Hilfe
    leistet. Es ist dabei zu einem Bündnis der Kur mit dem
    Wiederholungszwang gekommen, welches sich zunächst gegen
    das Lustprinzip richtet, aber in letzter Absicht die Herrschaft
    des Realitätsprinzips aufrid1ten will. Wie ich dort ausgeführt
    habe, ereignet es sich nur allzu häufig, daß sich der Wieder-
    holungszwang von den Verpflichtungen dieses Bundes frei-
    macht und sich nicht mit der Wiederkehr des Verdrängten in
    der Form von Traumbildern begnügt.

    IX

    Soweit ich bis jetzt sehe, ergeben die Träume bei trauma-
    tischer Neurose die einzige wirkliche, die Strafträume die
    einzige scheinbare Ausnahme von der wunscherfüllenden Ten-
    denz des Traumes. Bei diesen letzteren stellt sich der merk-
    würdige Tatbestand her, daß eigentlich nichts von den latenten
    Traumgedanken in den manifesten Trauminhalt aufgenommen
    wird, sondern daß an deren Stelle etwas ganz anderes tritt,
    was als eine Reaktionsbildung gegen die Traumgedanken, als
    Ablehnung und voller Widerspruch gegen sie beschrieben

    1) Ges. Schriften, Bd. VI, S. 206.

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    werden muß. Ein solches Einschreiten gegen den Traum kann
    man nur der kritischen Ichinstanz zutrauen und muß daher
    annehmen, daß diese, durch die unbewußte Wunscherfüllung
    geteilt, sich zeitweilig auch während des Schlafzustandes
    Wiederhergestellt hat. Sie hätte auf diesen unerwünschten
    Trauminhalt auch mit Erwachen reagieren können, fand aber
    in der Bildung des Strafttraumes einen Weg, die Schlafstörung
    zu vermeiden.

    So ist also zum Beispiel für die bekannten Träume des
    Dichters Rosegger, die ich in der „Traumdeutung“2 erwähne,
    ein unterdrückter Text von hochmütigem‚ prahlerischem Inhalt
    zu vermuten, der wirkliche Traum aber hielt ihm vor: „Du
    bist ein unfähiger Schneidergeselle“. Es wäre natürlich un-
    sinnig, nach einer verdrängten Wunschregung als Triebkraft
    dieses manifesten Traumes zu suchen; man muß sich mit der
    Wunscherfüllung der Selbstkritik begnügen.

    Das Befremden über einen derartigen Aufbau des Traumes
    ermäßigt sich, wenn man bedenkt, wie geläufig es der Traum-
    entstellung im Dienste der Zensur ist, für ein einzelnes
    Element etwas einzusetzen, was in irgendeinem Sinne sein
    Gegenteil oder Gegensatz ist. Von da ab ist es nur ein kurzer
    Weg bis zur Ersetzung eines charakteristischen Stückes Traum-
    inhalt durch einen abwehrenden Widerspruch, und ein Schritt
    weiter führt zur Ersetzung des ganzen anstößigen Traum-
    inhaltes durch den Straftraum. Von dieser mittleren Phase
    der Verfälschung des manifesten Inhaltes möchte ich ein oder
    zwei charakteristische Beispiele mitteilen.

    Aus dem Traum eines Mädchens mit starker Vaterfixierung,
    welches sich in der Analyse schwer ausspricht: Sie sitzt im
    Zimmer mit einer Freundin, nur mit einem Kimono bekleidet.
    Ein Herr kommt herein, vor dem sie sich geniert. Der Herr

    2) Ges. Schriften, Bd. III, S. 138 ff.

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    sagt aber: „Das ist ja das Mädchen, das wir schon einmal so
    schön bekleidet gesehen haben.“ — Der Herr hin ich, in
    weiterer Zurückführung der Vater. Mit dem Traum ist aber
    nichts zu machen, solange wir uns nicht entschließen, in der
    Rede des Herrn das wichtigste Element durdn seinen Gegen-
    satz zu ersetzen: „Das ist das Mädchen, das ich schon einmal
    unbekleidet und dann so schön gesehen habe.“ Sie hat
    als Kind von drei bis vier Jahren eine Zeitlang im selben
    Zimmer mit dem Vater geschlafen, und alle Anzeichen deuten
    darauf hin, daß sie sich damals im Sdllaf aufzudecken pflegte,
    um dem Vater zu gefallen. Die seitherige Verdrängung ihrer
    Exhibitionslust motiviert heute ihre Verschlossenheit in der
    Kur, ihre Unlust, sich unverhüllt zu zeigen.

    Aus einer anderen Szene desselben Traumes: Sie liest ihre
    eigene, im Druck vorliegende Krankengeschichte. Darin steht,
    daß ein junger Mann seine Geliebte ermordet — Kakao —
    das gehört zur Analerotik. Das letztere ist ein Gedanke, den
    sie im Traum bei der Erwähnung des Kakaos hat. — Die
    Deutung dieses Traumstückes ist noch schwieriger als die des
    vorigen. Man erfährt endlich, daß sie vor dem Einschlafen die
    „Geschichte einer infantilen Neurose“ gelesen hat, in welcher
    eine reale oder phantasierte Koitusbeobachtung der Eltern
    den Mittelpunkt bildet. Diese Krankengeschichte hat sie schon
    früher einmal auf die eigene Person bezogen, nicht das einzige
    Anzeichen, daß auch bei ihr eine solche Beobachtung in Be-
    tracht kommt. Der junge Mann, der seine Geliebte ermordet,
    ist nun eine deutliche Anspielung auf die sadistische Auf-
    fassung der Koitusszene, aber das nächste Element, der Kakao,
    geht weit davon ab. Zum Kakao weiß sie nur zu assoziieren,
    daß ihre Mutter zu sagen pflegt, vom Kakao bekomme man
    Kopfweh, auch von anderen Frauen will sie das gleiche
    gehört haben. Übrigens hat sie sich eine Zeitlang durch eben-
    solche Kopfschmerzen mit der Mutter identifiziert. Ich kann

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    nun keine andere Verknüpfung der beiden Traumelemente
    finden als durch die Annahme, daß sie von den Folgerungen
    aus der Koitusbeobadrtung ablenken will. Nein, das hat nichts
    mit der Kinderzeugung zu tun. Die Kinder kommen von
    etwas, das man ißt (wie im Märchen), und die Erwähnung der
    Analetotik, die wie ein Deutungsversuch im Traum aussieht,
    vervollständigt die zu Hilfe gerufene infantile Theorie durch
    die Hinzufiigung der analen Geburt.

    X

    Man hört gelegentlich Verminderung darüber äußern, daß
    das Ich des Träumers zwei- oder mehrmals im manifesten
    Traum erscheint, einmal in eigener Person und die anderen
    Male hinter anderen Personen versteckt. Die sekundäre Be-
    arbeitung hat während der Traumbildung offenbar das Be-
    streben gehabt, diese Vielheit des Ich, welche in keine szeni-
    sche Situation paßt, auszumerzen, durch die Deutungsarbeit
    wird sie aber wieder hergestellt. Sie ist an sich nicht merk-
    würdiger als das mehrfache Vorkommen des Ichs in einem
    wachen Gedanken, zumal wenn sich dabei das Ich in Subjekt
    und Objekt zerlegt, sich als beobachtende und kritische Instanz
    dem anderen Anteil gegenüberstellt oder sein gegenwärtiges
    Wesen mit einem erinnerten, vergangenen, das auch einmal Ich
    war, vergleicht. So zum Beispiel in den Sätzen: „Wenn ich
    daran denke, was ich diesem Menschen getan habe“ und
    „Wenn ich daran denke, daß ich auch einmal ein Kind
    war.“ Daß aber alle Personen, die im Traum vorkommen,
    als Abspaltungen und Vertretungen des eigenen Ichs zu gelten
    haben, möchte ich als eine inhaltslose und unberechtigte
    Spekulation zurüdrweisen. Es genügt uns, daran festzuhalten,
    daß die Sonderung des Ichs von einer beobachtenden, kriti-
    sierenden, strafenden Instanz (Ichideal) auch für die Traum-
    deutung in Betracht kommt.