• S.

    werden Sie wieder einmal für einen Phantasten erklären und den ungünstigsten Rückschluß auf Ihre anderen Werke ziehen.

         Es wird Ihnen ungefähr ergehen wie mir, der [ich] ‑ wie ich aus verschiedenen Quellen übereinstimmend erfuhr ‑ für einen Homosexuellen verschrien bin, offenbar weil ich mich mit der Homosexualität befasse. Sie deuten eine Phantasie ‑ ergo sind Sie ein Phantast. ‑ Und das Komischeste dabei ist, daß dieser Denkfehler gerade den Logikern passiert!

     

         In Ihrem Leonardo finde ich eine Stelle4, die auch mich charakterisiert: ich gehöre offenbar auch zu jenen, die, von der Großartigkeit der sich vor ihren Augen entfaltenden Phänomene gefesselt, sich zu klein fühlen und nicht imstande sind, in das Weltgetriebe aktiv einzugreifen. Ich sehe, lerne, finde neue Sachen, spinne aber sofort alles in einen großen Zusammenhang hinein, vor dessen Bearbeitung ich zurückschrecke. So bleiben die Dinge ungeschrieben. ‑

     

         4    "Man hat auch geforscht, anstatt zu handeln, zu schaffen. Wer die Großartigkeit des Weltzusammenhangs und dessen Notwendigkeiten zu ahnen begonnen hat, der verliert leicht sein eigenes kleines Ich. In Bewunderung versunken, vergißt man zu leicht, daß man selbst ein Stück jener wirkenden Kräfte ist und es versuchen darf, nach dem Ausmaß seiner persönlichen Kraft ein Stückchen jenes notwendigen Ablaufes der Welt abzuändern, der Welt, in welcher das Kleine doch nicht minder wunderbar und bedeutsam ist als das Große" (ib., S. 142f.).

  • S.

    In den letzten Monaten beschäftigte mich eine Reihe von hypochondrischen Angsthysterien, meist mit Zwangsdenken kompliziert. Ganz regelmäßig fand ich in ihnen die ungeheure Bedeutung des verdrängten Geizkomplexes. Es sind das Menschen, die aus Reaktion gegen den geizigen Vater im Bewußten Kavaliere sind, unbewußt aber gezwungen sind, den Geiz dem Vater nachzufühlen. Jede Geldausgabe (besonders die Ausgaben für die Familie) macht sie krank, anstelle der +Verarmung* tritt die hypochondrische Idee des +Zugrundegehens* durch Krankheit und Tod. Das Geld ist das dem Vater gehörige Wertvolle, auf das der Streit um die Mutter verschoben wird ‑ zugleich der Ersatz für die aufgegebene Koprophilie. Geld ist ein furchtbar wichtiger Knotenpunkt ‑ es nimmt auch die Onaniesorgen, die über +Samen‑Verluste* auf sich ‑ (der Ehemann z.B. verkehrt sorglos mit seiner Frau und wird durch kleine Geldausgaben todesfürchtig).5

         Haben Sie ähnliche Erfahrungen gemacht? Selbstverständlich ist die Deutung

     

         5    Vgl. Ferenczis Arbeit >Zur Ontogenie des Geldinteresses< (1914, 146), in der er - nach Freuds Ausdruck im folgenden Brief - die Hypochondrie als "Gärungsprodukt der Analerotik" (Schriften I, S. 200) bezeichnete.

  • S.

    der Todesangst damit nicht erledigt. Sie bedeutet auch die Identifizierung mit der geliebten Person (Vater, Frau), der man (aus Geiz, Neid) den Tod wünscht ‑ und die göttliche und irdische Strafe für solche Todeswunschphantasien.

         Brill schreibt mir heute, daß er mit einem Patienten nach Europa kommt und auch mich besuchen wird. Er will aber, daß wir von diesem Patienten vor den Amerikanern und vor Jung keine Erwähnung tun. Ich freue mich, ihn wiederzusehen. ‑

         Der Kurs geht gut. Die jungen Leute sind fleißig und interessieren sich. Vorgestern war es hier so heiß, daß ich den Kurs auf dem Imperial eines Omnibus[ses] und im Stadtwäldchen gehalten habe. Ganz peripatetisch!

     

         Ich möchte sehr gerne etwas über Ihre Ideen zur Ferienreise hören. Hoffentlich wird nichts Störendes dazwischenkommen.

         Wie geht es Ihnen mit der Gesundheit?

         Herzliche Grüße von Ihrem

                                                         Dr. Ferenczi

     

     

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    A Siehe Brief 38 Fer, Anm. A.

    B Die Einordnung hier erfolgt wiederum im Zusammenhang mit Freuds     Brief (140 F).