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    S.Prof. Dr. Freud 
 Wien, IX. Berggasse 19.21 Nov 09 Lieber Freund Ich bin ein schlechter Korrespondent jetzt, da ich 
 jede freie Stunde, u es sind nicht viele,
 für die verdammte amerikan. Nieder-
 schrift verwenden muß (3 Vorlesungen
 sind bereits abgegangen). Aber das soll
 nicht auf Sie rückwirken, eher im Gegen-
 teile; je weniger ich geben kann, desto
 bedürftiger bin ich ja zu empfangen.Ihre Traumarbeit habe ich nach längerer 
 Überlegung Stanley Hall zur Übersetzg u
 Veröffentlichung angeboten. Ich glaube,
 es ist die beste Verwendung. Ich habe sie
 ihm sehr angerühmt, aber das Manuscript
 noch behalten, weil das Einsenden einer
 Pression zu ähnlich wäre. Mit den uns be-
 kannten Therminen rechnend wollen wir
 jetzt seine Entscheidung abwartend.Er schrieb im letzten Brief, was ich für 
 Sie abschreibe: I am a very unworthy exponent
 of your views and of course have too little
 clinical experience to be an authority in
 that field. But it seems to me, whereas
 hitherto many if not most psychopathologists
 have leaned upon the stock psychologists like
 Wundt, your own interpretations reversd
 the situation and make us normal psycho-
 logists look to this work in the abnormal
 or borderline field for our chief light.“
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    S.Nun zurück nach Europa und zu Ihren interessanten 
 Mittheilungen. Ich werde Ihnen dieselben zu-
 rückschicken u bedaure nur, daß ich dabei
 allmälich um Ihre ganze Korrespondenz
 kom̄e; doch ist dieß der beste Weg zum Ge-
 dankenaustausch über wissenschaftl Dinge. Sie
 brauchen künftige Notizen nicht abzuschreiben
 sondern können mir Ihre Originalien
 schicken, die ich nach Einsicht zurücksende(Ihr Notizbuch ist bestellt, aus Erfahrung 
 weiß ich, daß die Leute sich Zeit lassen)ad I Die analgische Hand als Maus. Ausgezeichnet. 
 Deckt sich übrigens mit meiner im̄er festge-
 haltenenen Auffassung der hy Anaesthesie
 als Besitzzeichen des ubw u der französisch
 vertretenen Idee, die hy Lähmungen entstünden
 durch eine Reservation an das ubw (I Sam̄lg)
 Meine damalige Pat, die mit beiden Händen
 Rollen spielte, ist längst todt.3). Isaac ebenso schön. Analog meinem Irrtum 
 in der Erzählung der Kastration des Kronos
 durch Zeus, vorgeschoben gegen die Mythologie,
 erklärt mir erst diesen Irrtum (Trdeutung)
 Das muß alles gesam̄elt werden, und
 dann schöpfen wir einmal aus dem
 Vorrat. Ebenso die Zahlenanalyse.5). Bei der Zw mit Waschonanie remonstire 
 ich! Das, was Sie nach mir citiren, ist keine
 Vermutung, sondern so oft gesehen worden,
 daß ich als sichere Tatsache hingestellt habe.
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    S.Ihre Bestätigung ist wieder ganz tadellos. 
 Einen solchen Fall behandle ich übrigens jetzt.
 Pat wundert sich über ihr beständig erneuertes
 Schuldbewußtsein u will die Quelle desselben
 in der fortgesetzten Waschonanie nicht
 anerkennen.Verrückt ist ganz richtig unverantwortlich 
 für seine sex. Unthaten!6). Bei der Schauspielerin werden Sie auf 
 das Problem stoßen. wieweit die Ident-
 ificirg mit der Rolle gehen kann, ohne die
 Kraft der Darstellg zu stören. Völlige
 Identificrg hebt sie auf. Von da an Zugang
 zu künstlerischen Problemen!8). Neu ist mir die Beziehg des kl Penis zur 
 Vagina der Mutter, ich glaubte nur an
 den Vergleich mit dem Penis des Vaters.
 Indeß ergibt sich eine Vermittlung
 dadurch, daß der Penis des Vaters ja die
 Vagina der Mutter ausgefüllt hat, also
 so groß sein muß wie das Kind (die
 Dehnung bei der Geburt wird als unbe-
 kannt nicht in Rechnung gezogen).Die Stelle aus der Arbeit des Militärarztes 
 will ich noch für Jung abschreiben.Meine Photographie wird Ihnen dieser 
 Tage zugehen. Ich bin so gehem̄t, daß ich
 nichts selbst besorgen kann, sondern
 Frau u Kindert heranziehen muß,
 besonders da meine Schwägerin noch
 nicht hier ist, die sonst alle solche Geschäfte
 besorgte.
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    S.In der nämlichen Woche kom̄t wahrscheinlich 
 auch die 3te Auflage des Alltags, zu der
 Sie soviel beigetragen haben, u sicherlich
 das Jahrbuch. Es geht also allerlei vor.Deczy (oder wie er sich schreibt) war hier 
 u hat wenig von mir gehabt. Ich war zu
 beschäftigt, um ihn einzuladen. Er sieht
 intelligent u – unverläßlich aus.In meinem Zustand werden Sie orientirt 
 sein, wenn ich Ihnen mittheile, daß ich
 die ergiebigste Woche meiner Praxis
 hinter mir habe, während ich 1 ½ Vorträge
 für Worcester produzirte. Deuticke hat den
 Wunsch ausgesprochen, die Vorträge auch
 deutsch zu bringen. Sie enthalten nur
 so gar nichts Neues.Auch gesundheitlich könnte ich besser sein, 
 Amerika hat mich viel gekostet.Meine Gedanken sind, soweit sie sich noch 
 vernehmlich machen können, bei Leonardo
 da Vinci und bei der Mythologie.Ihren Nachrichten, sachlichen wie persön- 
 lichen, sehe ich mit Span̄ung entgegen.
 Ich bin ganz ohne Ersatz für die Ver-
 wöhnung der sechs Reisewochen.Ihr herzlich ergebener 
 FreudAnmerkungen aus: Brabant, Eva; Falzeder, Ernst; Giamperi-Deutsch, Patrizia (Hg.): Sigmund Freud / Sandor Ferenczi Briefwechsel. Wien, Köln, Weimar: Böhlau 1993-2005. 1993 in Band I/1 (1908 –1911) 
 A In der Handschrift: abwartend. Ich selbst bin ein recht unwürdiger Vertreter Ihrer Ansichten und habe natürlich auch viel zu wenig klinische Erfahrung, um ein Fachmann auf diesem Gebiete zu sein; es scheint mir jedoch, daß, während bisher viele, wenn nicht die meisten Psychopathologen von den üblichen Psychologen wie Wundt ausgehen, Ihre eigenen Deutungen die Situation umkehren und uns normale Psychologen nötigen, das Licht hauptsächlich auf diesem abnormalen oder Grenzgebiet zu suchen. Möglicherweise Verweis Freuds auf seine Sammlung kleiner Schriften zur Neurosenlehre, I. Folge (Wien 1906). Vgl. auch Freud 1893c. Freud 1900a, S. 263. Ein Dr. Drenkhahn, Oberstabsarzt aus Detmold, hatte ein Sinken der Alkoholerkrankungen in der Armee mit einem Anstieg der Geisteskrankheiten in Verbindung gebracht (>Das Verhalten der Alkoholerkrankungen zu den Geistes- und Nervenkrankheiten<; Deutsche militärärztliche Zeitschrift, 1909, 38, Nr. 10: S. 393-396). Freud schrieb eine Stelle dieser Arbeit für Jung ab (Freud/Jung, 21.11.1909, Briefwechsel, S. 294), Ferenczi bezog sich darauf in >Über die Rolle der Homosexualität in der Pathogenese der Paranoia< (1911, 80; Schriften I, S. 78f.) und >Alkohol und Neurosen< (1911, 81; ib., S. 92f.). Am 17.11.1909 war Décsi Gast in der Mittwoch-Gesellschaft gewesen (Protokolle II, S. 285 und 295). Freud stand mit Jung in regem Austausch über Fragen der Mythologie (vgl. Freud/Jung, 15. und 21.11.1909, Briefwechsel, S. 289-294). Ende November war Freud dann zu einem "Konsiliarbesuch in Budapest, bei dem ich Ferenczi wiedersehen und mancherlei mit ihm erleben konnte" (Freud/Jung, Briefwechsel, 2.12.1909, S. 298). Bei dieser Gelegenheit stellte ihm Ferenczi auch Gizella Pálos vor, die Freud sofort gefiel (ib.). t, daß ich nichts selbst besorgen kann, sondern Frau und Kinder heranziehen muß, besonders da meine Schwägerin noch nicht hier ist, die sonst alle solche Geschäfte besorgte. 
          Berggasse 19 
            Wien 1090  
    Österreich
          VII Erzsebet-kőrut 54 
            Budapest 1073  
    Ungarn
http://data.onb.ac.at/rec/AC16219896 Autogr. 1053/4(1–10) HAN MAG
 
 
 
 
