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    Prof. Dr. Freud                           Wien, IX. Berggasse 19.

    25.XI.14

    Lieber Freund

    Ihr eben eingetroffenes besterntes 
    Konterfei beschleunigt die Antwort, die ich 
    Ihnen schuldig bin. Ich will Ihnen zuerst vor-
    werfen, daß Sie an etwas so Unsinniges 
    wie die Jung’sche Prophezeiung bei einer 
    so inadaequaten Gelegenheit denken. Sie 
    stecken doch tiefer im Okkulten, als wir 
    annehmen. Wenn aber schon, dünkt Ihnen 
    nicht der Krieg selbst als das, worauf 
    das Orakel eine Anspielung sein sollte? 
    Zieht sich der in die Länge u bringt mich 
    auf irgendeine Art um, so behält noch 
    mein eigener Aberglaube mit den 
    Zalen, die Sie kennen, recht.

    Ich habe Ihnen auch die letzten Korrekturen 
    der Sexualtheorie geschickt, aus denen 
    Sie Einsicht in manche Neuigkeit gewon̄en 
    haben werden. Seitdem wir uns getren̄t 
    haben, bin ich sehr emsig gewesen. Außer 
    der 112 Blätter starken Krankengeschichte 
    ist noch etwas anderes im Werde 
    wovon noch nicht die Rede sein soll. 
    Es arbeitet sich doch ganz anders mit so 
    völlig ausgeruhtem Kopf. Ich will Ihnen 
    nur verraten, daß ich auf längst einge-
    schlagenen Wegen endlich die Auflösung 

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    des Rätsels von Zeit und Raum und den so lange 
    gesuchten Mechanismus der Angstentbindg 
    gefunden habe. Seither allerdings 
    eine gewiße Faulheit.

    Rank wird sehr wahrscheinlich der Musterung 
    entgehen und dann seine ψα Arbeit über 
    das Eposmachen können. Jones hat heute 
    über Emden einen langen Brief geschickt, 
    in dem er viel Persönliches berichtet, 
    mit der Borniertheit des Engländers über 
    den Ausgang des Krieges urteilt und 
    unter seinen Arbeitsprojekten auch die 
    Übersetzung Ihrer Schriften erwähnt.

    Von Brill war ein Brief mit persönlichen 
    Schwierigkeiten, er ist doch der richtige 
    chien du jardinier, er kann nicht alle 
    Übersetzungen selbst machen u läßt keinem 
    anderen eine zukommen. 

    Frau Lou Salomé erwähnt Ihrer heute in 
    einem sehr klugen Schreiben.

    Ich hoffe, gleichzeitig von Ihrer Beför-
    derung und von Ihrer Transferirung 
    zu hören u grüße Sie herzlich.

    Ihr
    Freud