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PROF. DR. FREUD. WIEN, IX. BERGGASSE 19
1 März 1911
Lieber Freund
Aus ganz bestimmten Gründen beantworte
ich Ihren heutigen Brief in zwei Absätzen,
zwischen denen ein Mittwoch Abend liegt.
Ich danke Ihnen nochmals für Ihr Eingehen
auf meine Anfragen über die Trdeutung.
Sie wissen, ich habe Ihnen in fast allen
Punkten Recht gegeben, nur die daraus
zu folgernde Textveränderung nicht annehmen
können u will auf andere Weise für
die Erledigung Ihrer Beschwerden sorgen.
Das Vorwort sende ich Ihnen zu, wenn
ich durch Sie veranlaßte Einschaltung
vorgenommen habe.Ich sehe, wenigstens mit partieller Befriedigung,
daß die Trdeutung im Begriffe ist, über-
wunden zu werden u etwas Besserem
Platz machen muß, nachdem sie mir ein
Dezennium lang als unantastbar erschienen
ist. Wir sind also um ein schönes Stück
vorwärts gekommen.Das Prince’sche Journal werde ich erst heute
abends sehen. Ich bin mit Ihrer energischen
Kritik des ganz talentlosen u etwas
tückischen Morton Prince und dem Grund-
satz, der dabei ins Spiel kom̄t, voll-
kommen einverstanden. Ich habe ihm
selbst in der dritten Auflage ein paar
scharfe Zeilen gewidmet wegen seines
Einspruchs gegen ein Argument beim -
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Vergessen der Träume.
Von Kraus habe ich schon früher gehört, daß
er sich für ΨΑ interessiert. Glaubte nicht,
daß er aktiv hervortreten würde. Ich
habe ihn, obwol er aus Wien nach Berlin
kam, hier nie gesehen. Hoffentlich ruht
seine Parteinahme für uns auf einer
soliden persönlichen Basis, z. B. einer herzlichen
Feindschaft mit Ziehen. Ihr Erscheinen dort
wäre herrlich. Bei diesem Anlaß werden
Sie auch zum ersten Mal als Praesident
eine unserer Ortsgruppen inspiziren.
Die Berliner (dh. Abraham) halten
sich sehr wacker.Ich gratulire Ihnen zur Mehrung Ihres Reiches
durch die Gründung der Gruppe in New York.
Es wird wol von jetzt an kein Jahr vergehen
das nicht neuen Zuwachs brächte. Auf diese
Chancen gestützt, erwäge ich den Plan,
das Zentralbl in engere Beziehung zum
Intern. Verein zu bringen, indem man es
allen Mitgliedern für den Jahresbeitrag
giebt, das Korresp. eingehen läßt u dem
Praesidenten im Zentralblatt eine Rubrik
für seine Mittheilungen eröffnet. Ich
habe darüber an Bergmann geschrieben
u werde Ihnen auf Grund seiner aus-
stehenden Antwort weiteres schreiben.
Die Änderung könnte vom Kongreß
u vom zweiten Jahrgang des Zentrabl
an durchgeführt werden. -
S.
3 März 1911
Seitdem ich das J abnormal Ps. gelesen habe, bin
ich um so herzlicher dabei, wenn Sie M. Prince
verhauen wollen. Er ist doch ein arroganter
Esel, der selbst in unserer Menagerie
auf einen hervorragenden Platz Anspruch
hat. Jones’ Kritik ist maßvoll und korrekt,
wie überhaupt sein Benehmen u Arbeiten
seit Worcester uns zum höchsten Dank für
ihn verpflichten muß. Ihre seinerzeitige
Wal hat sich jetzt glänzend gerechtfertigt.Bergmann hat meinen Plan mit dem
Zentralblatt heute mit einer auf schiebenden,
bereits halb ablehnenden Antwort bedacht.
Ich gebe ihn darum nicht auf, möchte Ihre
Meinung hören.Seit vorgestern bin ich der Obmann der
Wiener Gruppe. Es gieng nicht länger
mit Adler, er sah es ein u erklärte es
selbst als inkompatibel mit seinen
neuen Lehren, die Leitung der Gruppe
länger zu führen. Stekel, jetzt ein Herz
u eine Seele mit ihm, ist ihm gefolgt
u ich habe mich entschloßen, nach diesem
misglückten Versuch die Zügel wieder
in die Hand zu nehmen. Ich werde
sie jetzt stramm anziehen; es dürfte ohne-
dieß allerlei Malheur bereits angerich-
tet sein. Obmann‑Stellvertreter ist
Hitschmann, ein Strenggläubiger, wie -
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Sie wissen. Die Opposition gegen Adler war bei den
älteren Mitgliedern sehr stark, während
bei den jungen u neuen sich viel Sympathie
für ihn gezeigt hat. Ich betrachte mich
nun als den Vollstrecker der Rache
der beleidigten Göttin Libido u werde
auch im Zentralbl schärfer als bis her darauf
sehen, daß die Ketzerei nicht zu viel Raum
einnehme. Hinter Adler’s scheinbarer Schärfe
ist ein großes Stück Verworrenheit
zum Vorschein gekom̄en. Daß ein ΨΑker
dem Ich so aufsitzen könnte, hätte ich nicht
erwartet. Das Ich spielt doch die Rolle
des dummen August im Zirkus, der überall
seinen Kren dazu giebt damit die Zuschauer
glauben, er ordne alles an, was da vor
sich geht.In den nächsten Tagen erwarte ich unseren
exponirtesten Anhänger Lt Colonel
Sutherland aus Saugor in Ostindien,
der auf der Reise nach London zwei Tage
hier verweilen will. England rührt
sich entschieden in letzter Zeit.Ich grüße Sie und die Ihrigen herzlich
Ihr
Freud
Berggasse 19
Wien 1090
Österreich
1003 Seestraße
Küsnacht 8700
Schweiz
C32F22