S.
Berlin, 24.11.20
Nr. 8
Antwort auf London Nr. 72 Wien & Bud. fehlen
Liebe Freunde,
Eine Änderung in unsrer Korrespondenz erweist sich immer mehr als notwendig. Nur London liegt zur Beantwortung vor. Bud. ist nicht einge- troffen. Wien erst gestern Abend an Eitingon, heute Vormittag an Sachs gelangt, der mir den hauptsächlichen Inhalt telefonisch mitteilte. aber ein wirkliches Vereinbaren der Antwort unter uns dreien ist das noch nicht! Vor einigen Tagen hatten wir eine Com.-Zusammenkunft3 und machen folgenden Vorschlag:
Wir akzeptieren die Idee von Jones, wonach alle am gleichen Tage schreiben. Eine Verlegung des Tages für Berlin allein hätte zwar den Wert, daß wir den Wiener Brief z. B., den wir am Mittwoch manchmal nicht beantworten können, am Freitag wohl erledigen könnten. Aber da- mit wäre nichts andres erreicht, als daß wir nun den Londoner Brief je- des Mal im letzten Augenblick, nach Redaktionsschluß erhalten würden. Wir konnten also den am Montag in L. geschriebenen Brief erst am Frei- tag der nächsten Woche beantworten!
Die hauptsächlichste Schwierigkeit aber liegt für uns in dem zu engen Spielraum einer Woche! Schon früher setzte ich auseinander, daß die Zirkulation der ankommenden Briefe und des abgehenden in dieser Frist nicht möglich ist. So bleibt uns nur ein Vorschlag übrig: die Woche durch die Dekade zu ersetzen, denn ein 14 tägiger Abstand erscheint zu lang. Wir denken uns die Sache also künftig so, daß alle jeden Monat etwa am 1., 11., & 21. (oder an drei anderen zu verabredenden Tagen schreiben. Wir bitten um baldigen, hoffentlich zustimmenden Bescheid. Den nächsten Bericht versenden wir natürlich noch in der alten Weise.
Vom letzten Male schulden wir noch eine Äußerung über die Frage des Schriftführer-Amtes in unserer Gruppe.
Daß ein Personalwechsel die einfachste Lösung wäre, war auch uns klar. Sachs, welcher Liebermann analysiert, äußert sich wie folgt:
L. steckt tief in seiner Neurose, besonders in einem heftigen Übertra- gungswiderstand gegen Abraham, der ihn früher behandelte. Jedes einen Tadel auch nur andeutende Wort von diesem würde nur den stärksten Affekt auslösen, ohne etwas zu nützen. L’s gesamten Lebensverhältnisse sind schwer zerrüttet. Zu der Neurose, die prognostisch sehr ungünstig aussieht, kommt nun in letzter Zeit der ernste Verdacht eine Carcinoma recti4 hinzu. L. sieht sehr elend aus. In solcher Lage kann man einen Menschen nicht drängen, ebensowenig aber ihn seiner Stellung entset- zen.’
Eitingon, der L’s Frau behandelt, schließt sich dieser Auffassung an. Er kennt die Verhältnisse ebenfalls genau.5
Wenn also für die Dauer ein Zustand wie der jetzige auch nicht haltbar ist, so können wir ihn doch in diesem Augenblick nicht ändern. Wir schlagen Rank vor, alle Anfragen den Comité-Briefen beizufügen. Einer von uns dreien wird sie dann schnellstens beantworten.
An Rank: die Auskunft nach Köln ist im gewünschten Sinne erteilt.6
Als zweite Rate für die Beispielsammlung füge ich dem Wiener Brief ein Blatt bei. Veröffentlichung in der Zeitschrift würde sich wohl lohnen. Andres Material an eignen Beobachtungen habe ich reichlich, aber meine Überlastung ist so groß, daß ich nicht zur Niederschrift komme. Etwas besser wird es in 14 Tagen, wenn mein Kurs vorüber ist, der jetzt meine Abendstunden in Anspruch nimmt.
Mit herzlichen Grüßen von uns dreien.
Abraham