S.
Berlin 22.12.20
Nr. 12
Antwort auf W 102
L 113
Bp 94
Liebe Freunde,
Da seit unserm letzten Bericht erst 5 Tage verflossen waren und gerade gestern eine wichtige Vereinssitzung stattfand, so geht dieser Brief noch einmal am gewohnten Mittwoch ab. Der nächste soll am 1. Jan. folgen. Falls die von Jones vorgeschlagene Modifikation unseres Vorschlages (10 Tage) von Wien & Budapest ebenfalls gewünscht wird, so sind wir einverstanden, obwohl die 3 Tage 1., 11., 21. aus mnemotechnischen Gründen vielleicht vorzuziehen wären. – Im Interesse der Sammlung unsrer Berichte wäre es, wenn Ferenczi in der Zählung seiner Berichte wieder mit uns Schritt hielte. Da Du einmal nicht geschrieben hast, bist Du in der Zahl dauernd um 1 im Rückstand.5 Wenn wir nun künftig alle am gleichen Tage schreiben, so müßten auch alle Briefe gleich numeriert sein.
Wie Ferenczi, so kann auch ich (A) von mir heute Besseres melden. Ich bin seit einigen Tagen von den sehr unangenehmen Erscheinungen der Intoxikation frei, aber noch sehr ermüdet und ferienbedürftig.
Du, l. Rank, bist wieder einmal ein etwas zu scharfer Zensor. Ich habe nun wiederholt geschrieben, daß im Falle Pietsch nur ein Versäumnis von Liebermann vorliegt. Irgend eine Intoleranz des Vereins kommt da gar nicht in Betracht. Übrigens haben wir gestern Dr. Carl Müller6 als außerord. Mitglied aufgenommen, nachdem wir uns von seinen Qualitä- ten überzeugt hatten; er war zunächst eine Zeit lang Gast in unsren Sit- zungen. Man kann auch den Fehler zu großer Toleranz machen. Der dem letzten Brief beigefügte Artikel von Blumenthal erscheint uns dreien wirklich der Aufnahme in die Zeitschr. nicht wert, besonders weil er Ad- ler (den er nicht zitiert) in einer ganz ungeschickten und gar nicht moti- vierten Weise in unsre Anschauungen hineinmengt. Bl[umenthal] ist von Koerber7 kurze Zeit analysiert. K. selbst, der doch nach seiner eige- nen unvollkommenen analyt. Kenntnis urteilt, äußerte sich recht skep- tisch über ihn. Durch die Aufnahme des Artikels ist nun ein Präjudiz zu- gunsten Bl’s geschaffen, und wir müssen ihn zunächst als Gast einmal aufnehmen. Die Art, wie er sich brieflich eingeführt hat, spricht nicht sehr für ihn. Ich weiß, wie sehr Du, l. Rank, durch Deine verschiedenen Ämter überlastet bist. Aber in solchen Angelegenheiten wäre ein bißchen mehr Kontakt mit den andern Redakteuren sehr gut. Jedenfalls möchte ich noch einmal betonen, daß in den Fällen Pietsch & Frost nur eine nachlässige Geschäftsführung vorliegt, keineswegs aber ein Prinzip.
Sehr peinlich ist mir die Sache mit den Abonnementsgeldern. Bis zum letzten Brief war uns dreien davon gar nichts bekannt. Eitingon hat nun den Sachverhalt ermittelt. L[iebermann] hat vor langer Zeit die Beiträge eingesammelt. Einige standen noch aus. Inzwischen hat er die Liste der bezahlten Beiträge verloren und weiß nicht, wen er mahnen soll. Statt wenigstens das erhaltene Geld einzusenden, hat er die Angelegenheit verschoben. – Also wieder ein recht schlimmes Zeichen einer gänzlich in Unordnung geratene Geschäftsführung. Ich ahnte davon ja nichts! Es kann bei uns natürlich so nicht weitergehen. In einigen Wochen ist unsre Jahresversammlung, L. hat geäußert, er wolle sein Amt niederlegen. Bis dahin lassen wir noch alles gehen. In der Frage der Abonn.-Gelder soll sofort etwas geschehen. Ich kann wegen einer Telephon-Störung heute nicht mit L. sprechen und verspreche für nächstes Mal erschöpfende Auskunft über alles, auch wegen der 2 Frankfurter Ärzte.8 – Ich kann hier die Bemerkung nicht unterdrücken, daß die Geschäftsführung unse- rer Vereinigung, die früher einwandfrei war, tatsächlich in einem argen Zustand sich befindet. Aus Gründen, deren Erörterung hier zu weit füh- ren würde, stehe ich seit Monaten mit L. in so geringem Kontakt, daß die Geschäfte darunter leiden müssen. Als ich vor 3 Monaten eine Änderung vorschlug, erklärten E[itingon] und S[achs] sich mit Bestimmtheit dage- gen; die Gründe habe ich in einem Rundbrief9 mitgeteilt. Ich selbst emp- finde es als eine Unmöglichkeit, den Zustand nunmehr noch weiter fort- dauern zu lassen.
Zur Kongreßfrage bitten wir um baldige Abgabe eines definitiven Vo- tums, damit die Angelegenheit Anfang Januar den Verein beschäftigen kann. Rank‘s Argumenten vermögen wir uns nicht zu verschließen.
Hinsichtlich der Com.-Zusammenkunft sollten wir uns zunächst einmal über den Zeitpunkt einigen. Wenn kein Kongreß stattfindet, so käme der Herbst in Betracht. Falls ich, wie beabsichtigt, im März zur Erholung nach Meran gehe, wäre mir Ostern sehr sympathisch. Es könnte dann ir- gendwo in Österreich oder Bayern sein.
Über die gestern erfolgte Referate-Verteilung gibt Sachs Rank direkt Nachricht.
Die Bücher sind eingetroffen und finden raschen Absatz.10 Neurosenleh- re I [gestrichen: und Vorlesungen I sind] bereits ausverkauft.
Unsre Sitzungen finden von Neujahr an allwöchentlich am Donnerstag statt, und zwar abwechselnd Vortrags- & Referierabende. Wegen der wachsenden Teilnehmerzahl müssen wir künftig auf die Bewirtung ver- zichten.
Dank Eitingon‘s magischer Künste tritt die Poliklinik mit Aktivsaldo ins neue Jahr!
Soeben ist Frl. Dr. Neiditsch11 aus Rußland eingetroffen & wird uns
zweifellos eine tüchtige Mitarbeiterin an der Polikl. werden. – Hárnik hat sich bei uns durch einen großen Eifer, sein vortreffliches analyt. Ver- ständnis und seine sympathischen persönlichen Eigenschaften in ange- nehmster Weise bei uns eingeführt. Er ist für die Pol. eine vollwertige Arbeitskraft.
An Jones: Meine Frau ist bereit, die Übersetzung von Sachs’ Referat Mordell zu machen.
Eitingon geht in wenigen Tagen auf ca. 5 Wochen nach Meran, Park-Hotel. Er bittet dorthin ein Exemplar des Rundbriefes zu bekom- men! Nach Amerika wird er nicht reisen können, wird aber in ca. 2 Mo- naten über Paris nach London kommen.
Allen Freunden herzliche Weihnachts- und Neujahrswünsche!
Dr. Hanns Sachs Abraham12
Nachtrag! Nach Beendigung des Berichtes las ich ihn Eitingon telefo- nisch vor. Er bittet mich um Richtigstellung in zwei Hinsichten:
- Er reist zunächst am 26. Dezember mit seiner Frau nach Meran. Von dort fährt er nach Amerika, falls es die Einreiseerlaubnis erhält. Bisher wird sie verweigert, weil er als Offizier bei den Zentralmächten am
Krieg teilgenommen hat und zwischen diesen Mächten und den USA noch kein Frieden besteht.13 - E[itingon] stellt richtig, daß er zwar Berlin als Kongreßort wünsche, aber nicht auf 1921 bestehe. Die Komitee-Zusammenkunft möchte er unbedingt im Anfang Mai in Wien beibehalten sehen, wie schon von uns vorgeschlagen.