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S.
Wien, am 11. Juni 1921
Liebe Freunde!
Von hier nicht viel Neues zu berichten.– Wir haben jetzt
auch das Manu- skript für Ferenczis zweiten Band (seine gesammelten Arbeiten)
erhalten, der ein stattliches Werk geben wird. Von Hermann (Budapest) kam
eine Arbeit über die zeichnerische Begabung, die ich (Rank) nicht besonders
finde, obwohl ich sonst Hermann schätze. Ferner kam von Dr. Westerman-Hol-
stijn (Anstalt Endegeest bei Leiden), der Mitglied ist, eine kleine, aber in-
teressante Arbeit: Beschreibung eines Falles, der deutlich zeigt, wie wenig
es sich in der Neurose um die sog. „höheren Ideen“ handelt.Heute erhielt ich (Rank) übrigens einen Brief von Ehepaar Ober-
holzer, die so selten etwas hören lassen, daß ich einiges daraus mitteilen
will.– Die Jungianer – heißt es – erleben ein merkwürdiges Schicksal. Schmid
soll seine Praxis in Basel aufgegeben haben, ließ sich in Dornach (Steiner
Siedlung) nieder und soll gänzlich zur Anthroposophie übergegangen sein.
Herbert Oczeret mußte bei Nacht und Nebel vor der Staatsanwaltschaft aus
der Schweiz flüchten, nachdem er mehrere Patientinnen venerisch infiziert
hatte. Maeder arbeitet mit Hilfe des Heilands und von Riklin hört man gar
nichts.– Bei dieser Gelegenheit teilt O. übrigens mit, daß Rorschach das
neue Buch von Jung besprechen wird, womit wir, glaube ich, sehr einverstan-
den sein können, denn R. ist tüchtig und steht ganz auf unserer Seite; aus-
serdem haben sich die Schweizer das Privileg vorbehalten, Arbeiten Schwei-
zer Autoren selbst zu referieren (es entfiele somit vorläufig das
Herantreten an Hermann!).Der bekannte französische Schriftsteller André Gide, Herausgeber
der Nouvelle Revue Française, hat sich durch Strachey an den Professor ge-
wendet, um wegen Herausgabe psychoanalytischer Übersetzungen mit uns in Verbindung zu
treten.–Eine Mrs. Piddington in Sydney hat dem Prof. mitgeteilt, daß sie im
Rahmen einer eugenistischen Bewegung den Vorschlag der künstlichen Befruch-
tung für alle unverheirateten Frauen, die ein Kind haben wollen, macht und
bittet um des Prof. Ansicht darüber. Der Professor gedenkt ihr in der Antwort
anzudeuten, daß er sich nicht sehr viel von diesen vaterlosen Kindern ver-
spricht und wird auch auf das feministische Moment in diesem Vorschlag hin-
weisen. (Ein kurzer Auszug liegt zur Einsicht und Rückschluß bei: London-
Berlin-Budapest-Wien; das ausführlichere Elaborat steht auf Wunsch zur Ver-
fügung.)Von Neuerscheinungen ist nur die sechste Auflage der Traumdeutung
zu erwähnen, die völlig unverändert erschienen ist, nachdem sie längere Zeit
vergriffen war (Verlag Deuticke).–ad Bp. Zu Deinem Trost, l. Ferenczi, läßt Dir der Professor sagen, daß auch
seine Ordination in der letzten Zeit sehr nachgelassen hat.– Deinen Vorschlag,
Stärcke mit dem Referat über Psychiatrie zu betrauen, greifen wir sehr gern -
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[auf], vorausgesetzt, daß Abraham und – Stärcke selbst damit einverstanden sind;
wir warten die Gelegenheit der Preisverteilung an Stärcke ab, um mit die-
ser Aufforderung an ihn heranzutreten.–Was die Paralysearbeit betrifft, so meinen wir, daß es den Effekt der
ganzen Sache vernichten würde, wenn sie, nach Deinem letzten Vorschlag in
zwei getrennten Teilen veröffentlicht würde. Wir möchten Dir darum nahelegen,
Dich doch mit Hollós zu vereinigen, da der Professor glaubt, daß die Arbeit
in einheitlicher Form einen großen Fortschritt bedeuten würde.
Auf Deinen Vorschlag, die Arbeiten von Forsyth für die deutsche Zeitschrift
zu ref[erieren], möchten wir lieber Jones erwidern lassen, meinen aber, daß die engli-
schen Arbeiten zunächst im Journal besprochen wer- den sollen, von wo wir dann
von Zeit zu Zeit die für unsere deutschen Zeitschriften interessanten Referate
übersetzen lassen.ad Bln. Die „Compliments“ in den englischen Büchern waren von der Press (i.e.
vom Verlag). Die Tempest-Übersetzung von Deiner Frau, l. Abraham, habe ich wunsch-
gemäss an Hiller weitergegeben und bitte Dich, den Empfang des Manuskriptes
Deiner Frau mit unserem besten Dank zu bestätigen.
Nach Deinen Mitteilungen und Erfahrungen über die „Offiziellen“, l. Abraham,
wundert sich der Professor sehr, daß Du Deine Bemühungen doch noch fortsetzt
und rät Dir, diese Hirngespinste aufzugeben; nach seiner Überzeugung ist
mit den Offiziellen absolut nichts zu machen. Einen neuen Beweis dafür haben
wir jetzt wieder hier in Wien erlebt, wo das von der Vereinigung angestrebte
Ambulatorium an den Voten der Offiziellen gescheitert ist.ad London: Der Professor möchte Dich, l. Ernest, darüber trösten, daß nicht wir
das Geld bekommen haben, denn es hätte uns nur Verpflichtungen auferlegt, die
wir bei unserer gegenwärtigen Arbeitslast und Kräfteverteilung zu erfüllen
ausserstande wären.In der Frage der Hemiaesthesien und Hemiplegien danken wir für die Auf-
klärung und hoffen richtig verstanden zu haben, daß sich die Untersuchung
auf die Hysterie bezieht.Mrs. Brierley, die Du in Deinem letzten Brief erwähnst, hat sich heute
bei mir (Rank) zur Analyse angemeldet (und beginnt am 11. Juli; ich habe bis
jetzt für den Sommer zwei Engländerinnen angenommen.–Mit herzlichen Grüßen
[Rank Freud]