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S.
Berlin, 21.10.21
Liebe Freunde,
Wien ist nicht eingegangen, London wie gewöhn-
lich zuerst, aber an meine (A) Adresse. Alle Briefe werden in Zukunft
wieder an Eitingon erbeten.Es ist dankenswert, daß Du, l. Ferenczi, den wissenschaftlichen
Gedankenaustausch gleich im ersten Brief fortsetztest. Bei unsrer
nächsten internen Zusammenkunft werden wir drei die Idee einmal durch-
sprechen. Mir persönlich drängt sich ein Einwand auf, der aber noch
nicht genügend durchdacht ist, um mitgeteilt zu werden.Wir wundern uns, daß in London so große persönliche Schwie-
rigkeiten bestehen. Es ist beinahe ein arithmetisches Problem, wie sich
in einem so kleinen Kreis noch mehrere Gruppen bilden können. Deinem
Einfluß, lieber Jones, wird es hoffentlich gelingen, die Gegensätze
auszugleichen. In wenigen Tagen kehrt der jüngere Glover nach England
zurück. Er hat außer der eigenen Analyse noch keine Erfahrung. Ich
kann aber sagen, daß er jedenfalls mit guten Absichten an die Arbeit geht.
Hoffentlich wird er Dir die Stellung im Verein erleichtern. Ich würde
gern nach einiger Zeit hören, wie er sich dort eingeführt hat.Die im letzten Brief genannten Personen haben definitiv die
Aufgabe des Literatursammelns übernommen.In unserer Sitzung am 18. Oktober war Frau Dr. Benedek aus Leip-
zig als Gast. Sie führte sich mit ein paar kleinen Beiträgen aus der psa.
Praxis bei uns ein. Obwohl in Einzelheiten noch unvollkommen, zeigten
ihre Beiträge eine gute Literaturkenntnis, sehr großen Eifer und eine
erfreuliche Selbstkritik. Alle waren durchaus befriedigt. Der unver-
fälscht ungarische Akzent ihrer Sprache machte uns die für eine An-
fängerin sehr respektablen Leistungen verständlicher. Frau Dr. B. wird
versuchen, die Verbindung mit dem Leipziger Studentenverein praktisch
herzustellen. Von dem einzigen Arzt in L., der ein bißchen Psa treibt,
Dr. Knopf, berichtet sie, daß er sich nicht getraut, sich als Analyti-
ker zu bekennen. Er meidet darum auch die Beziehung zu uns. An „Ungarn“
assoziierend haben wir noch mitzuteilen, daß Dr. F. Alexander, Berlin-
Wilmersdorf, Düsseldorferstr. 77, als Mitglied aufgenommen ist.Liebermann hat in der letzten Sitzung seinen Posten proviso-
risch niedergelegt.Zur Zirkulation anbei das Programm der Südwestdeutschen Psychi-
ater- Versammlung. Es zeigt auf jeden Fall eine außerordentliche
Zunahme des psychologischen Interesses. Das Psychologische ist auch äußer-
lich dem Somatischen vorangestellt. Zwei Vorträge (Wetzel, Storch) knüpfen unmittelbar an die PsA an. Ich erhielt das Programm von einem
Kollegen zugesandt und habe ihm, bei aller Anerkennung des Erfreulichen
in diesem Programm, geantwortet, daß ich zweierlei vermisse: keiner von
allen diesen Ärzten sucht die Verbindung mit uns direkt und keiner
wagt noch, eines der verpönten Wörter „PsA“ oder „Freud“ zu nennen.
Trotzdem verdient das Programm als Zeichen der Zeit Beachtung. Sollte
nicht einmal in der Zeitschr. auf solche Veränderungen und ihren -
S.
ihren Zusammenhang mit der PsA verwiesen werden? Ev. erbitte ich das
Programm nach Zirkulation zurück, um ein paar Zeilen darüber zu schrei-
ben.Die neueste Nummer von »Eros & Psyche«8 enthält eine besondere
Unverschämtheit von Tannenbaum, die aber offensichtlich von Stekel in-
spiriert ist: 100% aller Psychoanalytiker schweigen die von Stekel ge-
fundenen Gesetze der Symbolik tot, aber das hindert sie nicht, in der
Praxis von dieser Entdeckung ausgiebigen Gebrauch zu machen.– Diese
Feststellung enthält eine versteckte Wahrheit: Wenn sämtliche Psycho-
analytiker Stekels Gesetze ignorieren, so erklärt T. durch diesen Lapsus
calami, daß er selbst kein Psychoanalytiker ist.Herzliche Grüße allen!
Abraham Sachs