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Berlin-Grunewald, den 11. II. 22
Liebe Freunde!Der am 1. Februar d. J. fällige Bericht konnte nicht abgesandt
werden. Ich war gerade von Wien zurückgekehrt, Eitingon und Sachs
waren abwesend. Nach Eitingons Rückkehr brach der Eisenbahnerstreik
aus, infolgedessen wir weder Briefe erhielten noch absenden konn-
ten. Jetzt sind die 3 Briefe vom 1. Februar angelangt und wir beei-
len uns, den diesmaligen Bericht einigermaßen pünktlich zu versen-
den.Über meinen Aufenthalt in Wien ist inzwischen von Rank be-
richtet worden. Ich kann deshalb nur noch einmal der liebenswürdi-
gen Gastfreundschaft gedenken, welche ich sowohl bei Herrn Profes-
sor wie bei Rank und deren Familien gefunden habe. Den Verlag habe
ich noch in seinen alten Räumen kennen gelernt. Wir freuen uns,
daß er endlich geeignete Räumlichkeiten erhalten soll.Von meinen zwei Vorträgen hat der zweite, der von den „Abfalls-
bewegungen“ handelte, anscheinend bei den Zuhörern das größere
Interesse erregt. Ich hatte dieses Thema ursprünglich ungern über-
nommen, weil es rein kritisch war. Nachträglich bin ich Herrn Prof.
für den Ratschlag sehr dankbar, da die meisten Zuhörer derartige
Informationen sehr notwendig gebrauchen.London. Deine Ernennung, lieber Jones, zum Präsidenten der
„Medizinisch-psych. Gesellschaft“ hat uns sehr erfreut. Mit unserem
Glückwunsch verbinden wir die Frage, ob es sich hier wirklich um
einen einflußreichen Posten oder nur um eine offizielle Ehrung han-
delt. – Eitingon wird seine Wahl zum Schriftführer unserer Vereini-
gung an Flügel und die übrigen Schriftführer mitteilen. Alle auf den
Kongreß bezüglichen Korrespondenzen sind natürlich jetzt auch an
ihn zu richten, soweit sie nicht die Zentrale in London angehen.Der Vorschlag, die Vereinsberichte regelmäßig vierteljährlich
herauszugeben, erscheint auch uns der Beste. Es wird dann mög-
lich sein, jeder Nummer der Zeitschrift ein Korrespondenzblatt
beizufügen, das jedesmal Berichte aus allen Vereinigungen enthal-
ten wird.Wien:
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Wien: Eitingon hat sich bei seiner letzten Anwesenheit in
Leipzig über die dortige studentische Vereinigung genau informiert.
Es ist vorläufig ganz unmöglich, sie unserer Organisation anzuglie-
dern. Der Vorsitzende, Voitel, ist ganz mangelhaft informiert. Er
hat bei Frau Dr. Benedek seine Psychoanalyse begonnen, aber nach 3 Tagen
wieder abgebrochen mit der Begründung, daß er sich jetzt lieber
über chemische Fragen informieren wolle. Unter den übrigen etwa
20 Mitgliedern sollen nach Frau Dr. B.’s Aussage einige sein, die
vielleicht ein tieferes Interesse für unsere Sache gewinnen. Der
Leiter der Zusammenkünfte, Dr. Knopf, meidet ängstlich jede Berüh-
rung mit uns. Nach Eitingons Eindruck ist in Leipzig nur Frau Dr.
B. eine wirklich wertvolle und brauchbare Kraft. Den übrigen ge-
genüber können wir uns nur abwartend verhalten. Wir haben wieder-
holt unsere Bereitwilligkeit erklärt, in Leipzig durch Mitglieder
unserer Vereinigung einige Vorträge in dem Kreise halten zu las-
sen. Man ist aber darauf nicht eingegangen.Es ist ein erfreuliches Zeichen, daß die Taschenausgabe der
Vorlesungen so raschen Absatz gefunden hat. Der zweiten Auflage
dürfte es ähnlich ergehen, wenigstens in Berlin. Die Nachfrage
ist sehr groß und die Anerkennung der Ausstattung allgemein. Ge-
stern wurde mir eine kleine Anregung gegeben, die ich Dir, lieber
Rank, übermitteln will: nämlich die Exemplare der neuen Auflage
mit einem Lesezeichen (Seidenbändchen) zu versehen.Besonders gelungen ist auch die Ausstattung der „Geburt
des Helden“. Das Geschenk hat uns glücklichen Empfängern allen große
Freude bereitet.In unserer letzten Sitzung sprach Alexander über „Kastrationskomplex und Charakter-
bildung“. Der Vortrag zeigte wieder seine vorzügliche Begabung.
Er wird in kurzer Zeit als Manuskript nach Wien abgehen. Alexander
ist unter den jüngeren Mitgliedern unserer Vereinigung derjenige,
der durch selbständiges Arbeiten hervortritt.Für Wien anbei die Anzeige unserer demnächst beginnenden Un-
terrichtskurse. Zur Kenntnis der anderen erwähnen wir, daß fol-
gende Vorlesungen von je 5 Abenden stattfinden:1.) Abraham: Seminar (Besprechungen von Neuerscheinungen der
Ps. A. Literatur.
2.) Sachs: Technik der Traumanalyse.
3.) Simmel: Behandlungstechnik.Außerdem
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Außerdem Eitingon und Simmel: Praktische Einführungen
in die Ps. A. in der Poliklinik.Seit kurzem beginnt der Kongreß ein starkes Interesse bei
uns in Anspruch zu nehmen. Am 1. Februar fand die erste vorberei-
tende Vereinssitzung statt. Über die Resultate derselben und wei-
tere Beschlüsse wird Eitingon demnächst den Gruppen offiziell be-
richten. Hier sei nur eine Anzahl von Punkten erwähnt, die der
Vorbereitung im Komité zu bedürfen scheinen.Im letzten Wiener-Brief hat Rank bereits mitgeteilt, daß Herr
Prof. die Tage vom 27. bis 29. September (Mittwoch bis Freitag)
vorgeschlagen hat. Wir finden nun in der soeben erschienenen Num-
mer des englischen Journal, daß bereits ein anderer Zeitpunkt
angesetzt ist und bedauern, daß dies ohne vorherige Überein-
kunft geschah. Die von L. gewählte Zeit ist nämlich ungünstig,
weil sie vom Ende des Monats zu weit entfernt ist. Andererseits
wurden in unserem Kreise Bedenken gegen die Wiener Zeit laut.
Wir machen nun den Kompromiß-Vorschlag, den Kongreß vom 25. bis
27. September (Montag bis Mittwoch) stattfinden zu lassen. Die-
ser Zeitpunkt bietet mehrere Vorzüge. Zunächst können die Auswär-
tigen den Sonntag zur Reise benutzen; am Sonntag Abend (24.)
würde der offizielle Empfang stattfinden. Außerdem behalten wir
etwas Spielraum, um nötigenfalls den Kongreß um einen Tag länger
ausdehnen zu können, falls sich die Tagesordnung in 3 Tagen nicht
erschöpfen läßt. Endlich liegt noch ein Vorschlag aus unserem
Kreise vor, den ich hernach mitteilen werde und der ebenfalls für
diesen Zeitpunkt spricht.Wir schlagen also vor, den mittleren Termin zu wählen. Wenn
im nächsten Briefe bereits die allseitige Zustimmung vorläge, so
könnte die offizielle Mitteilung über den Kongreß sehr bald
versandt werden.Wie schon von Wien mitgeteilt, war Herr Prof. gegen ein
offizielles Diskussionsthema mit der Begründung, daß voriges
Mal die beiden Referenten ohne jede Beziehung zu einander gespro-
chen haben, so daß das Ganze keinen einheitlichen Charakter hat-
te. Wir haben hier die gleiche Frage durchberaten und schliessen
uns dieser Meinung an, besonders auch, weil gegenwärtig keine be-
sonders strittige Frage vorliegt, die durch Diskussion auf dem
Kongreß geklärt werden könnte.Über folgende weitere Punkte erbitten wir im nächsten Brief
die Ansichten.
1.)
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1.) Es erscheint uns zweckmäßig, die Verhandlungen des Kongres-
ses stenographisch aufnehmen zu lassen. Soweit die Vortra-
genden etwa bereits über fertige Manuskripte verfügen, könnte
die Stenogrammaufnahme unterbleiben. Im übrigen wäre sie sehr
nützlich, da die Maschinenabschrift dem Referenten nur zur
Korrektur vorgelegt zu werden brauchte und kurze Zeit nach
dem Kongreß bereits sämtliche Vorträge fertig vorliegen wür-
den. Es ist entschieden mißlich, wenn der Abdruck der Kon-
greßvorträge sich, wie letztes Mal, über 1 bis 2 Jahre hin-
zieht. Unser Vorschlag würde gestatten, ein Beiheft mit den
gesamten Kongreß-Vorträgen herauszugeben.Damit wäre zugleich einem Übelstand abgeholfen. Seit-
dem das Jahrbuch nicht mehr erscheint, besteht keine Gelegen-
heit mehr, eine Sammlung psychoanalytischer Aufsätze zu kaufen, außer
durch Abonnements der Zeitschriften. Auch vom Standpunkt
des Verlages erscheint uns der obige Vorschlag zweckmäßig.2.) Schwierig ist für uns die Finanzierung des Kongresses. Wir
haben bereits beschlossen, in unserem Kreise und bei Bekannten
eine Sammlung zu veranstalten, dürfen aber nicht hoffen, mehr
als einen kleinen Bruchteil der Kosten decken zu können. Wir
wüßten daher gern schon ungefähr, in welcher Höhe die Zen-
tralkasse uns zu Hilfe kommen kann. Da das Geld aus England
käme und jedes Pfund etwa 800 M ist, so wäre eine Beihilfe von
10 £ schon von erheblicher Bedeutung. Wir sind sodann auf den
Gedanken gekommen, von allen Teilnehmern des Kongresses ein
kleines Eintrittsgeld zu erheben, welches zur Deckung der Unko-
sten dienen soll. In Deutschland war es stets Sitte, die Teil-
nehmerkarten zu Kongressen mit etwa 20 M zu bezahlen. Wir
würden nun vorschlagen, ein nach Nationalitäten (Valuten) abgestuftes
Eintrittsgeld zu erheben. Für die valutastarken Länder würde
es etwa 10 bis 20 Friedensmark (½ bis 1 £) betragen, für
Deutsche etwa 200 M, für Österreicher etwa 1000 Kronen usw.
Hierin würden dann alle Kosten für den Empfangsabend, das Di-
ner und andere geplante Unternehmungen enthalten sein.3.) Schon vor einem Jahre war in unserm Kreise der Plan auf-
getaucht, im Anschluß an den Kongreß einige Vorträge für
ein weiteres Publikum stattfinden zu lassen. Wir sind alle da-
rüber einig, daß der Kongreß streng auf Mitglieder und per-
sönlich geladene Gäste beschränkt werden soll. Auch besteht
kein Zweifel darüber, daß für den Kongreß jede Propaganda
unterbleibt. Dagegen wäre es sicher sehr nützlich, nach Schluß
des Kongresses an einem Abend im Saale der Medizinischen Ge-
sellschaft eine kleine Reihe von Vorträgen abzuhalten, deren
jeder 20 bis höchstens 30 Minuten dauern könnte und über den
gegenwärtigen
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gegenwärtigen Stand der ps.a. Forschung und Behandlung
auf den verschiedenen Gebieten orientieren würde. Wir haben
uns als Referenten, auf deren Zusage wir rechnen dürfen, ge-
dacht: Ferenczi, van Ophuijsen, Jones und Abraham. Unsere
besondere Bitte ergeht an Sie, lieber Herr Prof., sich auch
an dieser Veranstaltung zu beteiligen. Ein kurzer Epilog zu
den voraufgegangenen Vorträgen würde der Sache natürlich
eine besondere Anziehungskraft geben. Für diese Veranstaltung
würden wir den Abend des 28. September in Aussicht nehmen,
falls wir die Zustimmung von den übrigen Seiten erhalten.Als Ort für die Verhandlungen haben wir die Hochschule
für die bildenden Künste in Aussicht genommen und werden vor-
aussichtlich dort einen geeigneten Saal erhalten. Die Hochschu-
le liegt nahe Bahnhof Zoo, in der Hardenbergstraße. Die Ho-
tels und Pensionen, die für die Unterbringung der Fremden in
Betracht kommen, liegen alle in der Nähe. Auch die meisten von
uns wohnen in dieser Gegend.Die Teilnehmer aus Österreich, Ungarn und Deutschland
hoffen wir alle in Privatquartieren unterbringen und bewirten
zu können. Vorbereitungen dazu werden bereits getroffen. Lei-
der wird es nicht möglich sein, die übrigen Besucher alle im
gleichen Hotel unterzubringen. Die Überfüllung der Hotels ist
zu groß, als daß man eine derartige Zahl von Zimmern in einem
Hause erhalten könnte. Doch haben wir ein günstiges Arrange-
ment mit verschiedenen Häusern in Aussicht.Noch eine persönliche Bemerkung für Dich, lieber Ferenczi,
Du wirst Dich erinnern, daß wir bereits im Haag verabredeten,
daß Du mit Deiner Frau bei uns wohnen solltest. Diese Verabre-
dung bleibt natürlich bestehen.Mit der Bitte um recht eingehende Äußerung zu unseren
Vorschlägen und herzlichen GrüßenAbraham Eitingon
[Handschriftlicher Nachtrag]
P.S. Bei uns eingetreten: Frau Dr. I. Müller, Berlin-
Schmargendorf, Helgolandstr. 1.
Von Budapest übernommen: Frau Melanie Klein,
Berlin-Schmargendorf, Cunostrasse 46.