S.

 

Wien, am 20. Dezember 1922

Liebe Freunde!

So hat es denn das, was wir Schicksal nennen, gefügt, daß ich, vom Pro- fessor aufgefordert, im Anschluß an seinen jetzigen Brief selbst zu den Sachen Stellung zu nehmen, als der selbständige Schreiber des Rundbrie- fes auftrete, den Ihr – der eine mehr, der andere weniger – in mir habt se- hen wollen. Dies käme mir schwerer an, als Ihr vielleicht glauben mögt, wenn der Professor nicht so einsichtsvoll und gütig gewesen wäre, mir durch seinen Brief meine rein persönliche Stellungnahme zu erleichtern und Äußerungen einer sich etwa aufdrängenden Bitterkeit zu ersparen.

Wenn ich doch das Bedürfnis habe, vor Eingehen auf das Sachliche, ein Wort über das Persönliche zu verlieren, so geschieht es, um einen Appell an Euch zu richten, sich das Schwierige und Verantwortungsvolle meiner Stellung so intensiv vor Augen zu halten wie ich es täglich und stündlich fühle. Dies wird Euch und mich am sichersten davor schützen, mir in kleinlichen Dingen Vorwürfe oder Schwierigkeiten zu machen, wo ich seit Jahren fast nichts anderes mache, als im Interesse der Psychoanalyse gegen eine Reihe ganz gewaltiger äußerer Schwierigkeiten anzukämpfen; wie ich wohl sagen darf, bis jetzt erfolgreich, allerdings nicht ohne manchmal auch an der Größe der Aufgabe und meinen schwachen Kräf- ten zu verzweifeln und ein Gefühl der lähmenden Ermattung und Müdig- keit zu empfinden. In solchen Zeiten oder Situationen hätte ich mir ge- wünscht, daß unsere Freundschaft mir geholfen hätte, anstatt jede meiner Äußerungen unter die Lupe der kritischen Beurteilung zu nehmen und mir vorzuhalten, ich sei schuld, wenn nicht alles glatt ginge. Ich denke wir sollten froh sein, daß so Vieles überhaupt geht, und wo es Schwierigkei- ten oder auch Fehler gibt, uns gegenseitig auszuhelfen und zu verstehen. Ich brauche wohl nicht zu versichern, daß Ihr in mir den alten Freund und Helfer von früher finden werdet, nur bitte ich, mich nicht mehr für alles und jedes verantwortlich machen zu wollen, was sich innerhalb der psy- choanalytischen Bewegung abspielt. Es ist nicht angenehm, als Symbol einer Sache2 zu gelten, wenn man nicht auch die Vorteile eines Symbols, nämlich Ersatz für das Eigentliche zu sein, mitgenießen kann, oder nur zeitweilig, wenn es wieder nur unangenehm ist.

Ich möchte nun rein sachlich auf die beiden Ausgangspunkte und Anlässe unserer Divergenzen noch kurz zurückkommen.

Was das Korrespondenzblatt betrifft, habe ich mich trotz meiner ersten Weigerung, einen Termin für dasselbe einzusetzen, schließlich doch dazu verstanden, nicht nur weil ich mich dazu für befugt hielt, sondern auch wegen der Dringlichkeit; sollten doch die nächsten Berichte noch in die Dezembernummer der Zeitschrift Aufnahme finden (was auch geschehen ist). Alles andere ist nicht mein Werk und hatte damit gar nicht zu tun; weder mit den allgemeinen Beschlüssen der Sekretäre in Berlin, noch mit der Tatsache, daß sich Mrs. Rivière als die Übersetzerin der Berichte be- trachtet. Wenn Du dies widersinnig findest, l. Karl, so ändere es doch bit- te im Einvernehmen mit Ernest, aber bedenke bitte auch, daß ich gar nichts mit all dem zu tun hatte und nicht den geringsten Einfluß darauf genommen habe. Das einzige was ich tat war, daß ich den Sekretären auf ihre Anfrage sagte, wann die Zeitschrift erscheint. Wie Du, l. Karl das hättest beantworten können, ist mir auch heute noch ebenso unerfindlich wie es mir früher war. Da Ihr aber ohnehin die Absicht habt, die Be- schlüsse der Berliner Sekretärskonferenz zu modifizieren, oder zu kassie- ren, so wird es bei dieser Gelegenheit ein leichtes, daß Du, l. Karl, alle bisherigen Abmachungen über das Korr.-Bl. als provisorisch aufhebst und nunmehr den Sekretären die Vorschläge des neuen Zentralsekretärs mit- teilst. Ich muß gestehen, daß mir von allen Deinen Argumenten das am wenigsten verständliche war, daß Du erklärtest, mein »Eingreifen« hätte Dir nun jede Möglichkeit genommen, etwas in der Sache zu tun! Ich sehe darin die einfachste Sache von der Welt, in einem Rundschreiben an die Sekretäre zu erklären, daß es von jetzt ab so und so sei. Ich möchte Dich auch direkt bitten, dies im Interesse der Sache zu tun, da ich vom näch- sten Jahrgang ab (dessen erstes Heft im März erscheinen soll) die Ver- antwortung für das richtige und zeitgerechte Erscheinen des Korr.-Bl. nicht mehr übernehmen möchte.3 Ich hoffe, daß diese praktische Lösung der Angelegenheit, die mir sehr einfach und zweckmäßig erscheint, auch Dich befriedigen wird.

Was die Angelegenheit der Press betrifft, so ist ja durch Deinen letzten Brief, l. Ernest, jede Differenz zwischen unseren Auffassungen beseitigt – wie ich aber sagen muß, leider zu spät. Inzwischen ist mir nämlich durch Gespräche mit den beteiligten Personen (Rickman, Rivière, Hiller) immer mehr klar geworden, daß die Engländer glauben, der Verlag nütze die Press aus oder gar, ich selbst hätte persönliche Interessen daran, die Press um jeden Preis zu behalten. Nun, die Abrechnung zwischen Verlag und Press – von Beginn ihres Bestehens bis Ende dieses Jahres –, die Storfer im Einvernehmen mit Hiller in den letzten 14 Tagen gemacht hat und die Hiller nach London brachte, wird diesen Verdacht, wenn er bei Dir selbst aufgestiegen sein sollte, leicht zerstreuen. (Für die anderen Freunde, de- nen die Abrechnung nicht vorliegt, bemerke ich, daß die Press dem Ver- lag eine Summe von etwa 700 Pfund Sterling schuldet. Was aber die an- deren, insbesondere auch die seinerzeitigen Spender der Donations be- trifft, so muß der Verlag und ich als sein Leiter den größten Wert darauf legen, daß sie über den Stand der Abrechnung genau informiert werden (die Belege stehen natürlich auf Wunsch alle zur Verfügung und Hiller ist in der Lage über verschiedene, vielleicht zweifelhafte oder unklare Punk- te Auskunft zu geben). Durch diese Abrechnung, die für alle Fälle eine augenblickliche geschäftliche Separation von Press und Verlag schafft, ist der Verlag diesen englischen Spendern gegenüber außer jedem obligo und ich bitte Dich, l. Ernest, in meiner Eigenschaft als Leiter des Verlages, dies den Spendern unzweideutig klar zu machen, mit Rücksicht darauf, daß die Spenden seinerzeit für den »Verlag« gesammelt wurden. In unse- rer Abrechnung figuriert alles, was der Verlag jemals an Geld oder Gel- deswert von der Press bekommen hat, so daß jetzt die Spender nur mehr mit der Press zu tun haben. Da s.Z. die Sammlung in einer öffentlichen Sitzung der Vereinigung aufgelegt worden war, müssen wir auch Wert darauf legen, daß diese jetzige Feststellung wieder in einer öffentlichen Sitzung gemacht werde. Dies ist die Press uns, abgesehen von den persön- lichen Beziehungen, und auch abgesehen von der Unterstützung, die sie durch den Verlag und mich persönlich erfahren hat, schuldig im Interesse einer klaren geschäftlichen Separation und zur Aufklärung und Zerstreu- ung des vermutlich tendenziösen Vorurteils gegen den Verlag.

Bei dieser Gelegenheit will ich offen gestehen, daß mir dieses Mißtrauen einzelner Press-Leute gegen den Verlag meine Stellungnahme in der Press-Verlag-Frage erschwert oder wenn man will auch erleichtert. Denn ich sehe keine Möglichkeit, dieses Mißtrauen zu zerstreuen, aber noch weniger eine, unter seinem Fortbestehen mit der Press irgendwie zusam- menzuarbeiten. Um Mißverständnisse auszuschließen muß ich bemerken, daß dies nicht ein persönlicher Standpunkt von mir ist, als könnte ich nur unter diesen Umständen mit der Press nicht weiter arbeiten; sondern es ist dies eine Sache des ganzen Verlages, unter wessen Leitung er immer ste- hen mag. Von einem zweiten vielleicht begründeten Mißtrauen will ich gar nicht sprechen, nämlich, daß der Verlag nicht imstande sei »engli- sche« Bücher herzustellen.

Unter diesen Umständen sehe ich jetzt keine Möglichkeit eines weiteren Zusammenarbeitens, so sehr ich dies im Interesse der Sache und meiner eigenen Idee bedauern muß. Ich glaube auch, daß es der Press ganz gut tun wird, ein bißchen auf eigenen Beinen ihr Glück zu versuchen und sich selbst mit den Schwierigkeiten herumzuschlagen, mit deren Erledigung sie bis jetzt immer noch mich beehrt hat.

Aber auch für späterhin sehe ich eine Möglichkeit des Zusammenarbei- tens nur unter ganz bestimmten Bedingungen, deren Erfüllung ich übri- gens der Press auch jetzt schon als einzigen Weg zur Gesundung, wie er mir erscheint, empfehlen möchte. Das Wichtigste scheint mir, daß die Press wieder unabhängig wird, um ihre Aktivität wieder zu gewinnen. So- lange einzelne Mitglieder der Gruppe aus ihrer, wenn auch geringen Spende oder aus irgend einem anderen Titel ein Recht ableiten, in alles und jedes dreinzureden (Typen, Papier, Ausstattung, Übersetzung etc.), solange wird ein gedeihliches geschäftliches Arbeiten der Press meiner Meinung nach ausgeschlossen sein. Es muß ein Wille und eine Hand in einem Geschäft alles dirigieren; dann wird’s entweder gut oder schlecht, aber anders wird es gar nichts! Ihr werdet darin vielleicht wieder ein Stück meiner autokratischen Neigung sehen wollen, aber ich kann mir nicht helfen, es ist nun einmal so, wenn man mit verschiedenen Menschen zu tun hat und je mehr ihrer sind, mit denen man zu tun hat, um so energi- scher muß der eine seinen Willen durchzusetzen wissen (natürlich nicht gegen die Vernunft, aber gegen die verschiedenen Meinungen der ande- ren). Könntet Ihr Euch vorstellen wie es mit unserer Zeitschrift wäre, wenn ein Mitglied erklären würde, die Type gefalle ihm nicht, wir müßten eine andere wählen, ein anderer das Papier, ein dritter den Inhalt, ein vier- ter die Redaktion beanstanden würde? So ist aber bis jetzt bei der Press gewesen und das war der Hauptgrund, warum sie nichts zustande gebracht hat! Wenn ich über das weitere Schicksal der Press zu entscheiden hätte, so würde ich zunächst allen Spendern ihre Beiträge (mit Zinsen) zurückzahlen, um so ihrer ledig zu werden. Dann hätte vor allem niemand mehr etwas dreinzureden. Das Geld dazu würde ich aus dem Verkauf der Bücher nehmen, wobei natürlich diese Schulden nur langsam abgezahlt werden könnten. (Das Bücherlager der Press ist über 2000 Pfund wert; davon ist die Press ca. ein Drittel dem Verlag schuldig; ein zweites Drittel könnte sie zur Tilgung der Spenden verwenden und das letzte Drittel bleibt ihr Eigentum.) Wenn die Press überhaupt fortgeführt werden soll, wo immer es ist, so wird sie Kapital brauchen und zwar im Anfang ein großes Kapital, so daß sie auf die Einkünfte aus dem Bücherverkauf in der ersten Zeit zugunsten der Spender wird verzichten können.

Nur wenn die Press auf diese Weise frei geworden ist, kann sie mit Erfolg arbeiten und nur unter einer solchen Bedingung könnte sich der Verlag dann verstehen, wieder einmal mit ihr zusammen zu arbeiten. Damit wäre auch gleich eine weitere Bedingung gegeben: nämlich daß in die Herstel- lung niemand etwas dreinzureden hat als der, dem der Leiter oder Direk- tor der Press diese Aufgabe überträgt. Ebensowenig hätte in den ganzen geschäftlichen Teil irgend ein Mitglied oder sonstwer, der nicht dazu be- fugt ist, etwas zu reden. Anders, glaube ich, wird die Press nicht nur mit dem Verlag nie mehr zusammenarbeiten können, sondern überhaupt le- bensunfähig sein.

Soviel kann ich Dir, l. Ernest, über meinen persönlichen Standpunkt und den des Verlages zur Press sagen und hoffe nur, daß es Dir gelingen wird, aus all den Schwierigkeiten einen Ausweg und eine Lösung zu finden, die wenigstens für späterhin die Möglichkeit eines gedeihlichen Zusammen- arbeitens ermöglichen.

Mit Rücksicht auf die Länge dieses Rundbriefes, dem ich einen ganzen Nachmittag opfern mußte, werdet Ihr mir gestatten, mich in Bezug auf andere Dinge und Neuigkeiten kürzer als sonst zu fassen.

Die beiden Zeitschriften (ebenso wie No 4 des Journal) kommen zu Weihnachten heraus. Die enthält den kompletten Kongreßbericht, dessen geschäftlicher Teil mir aus London offiziell zugegangen war, dessen wis- senschaftlicher Teil ich einfach durch Zusammenstellung der vorliegen- den (und Urgenz der noch ausstehenden) Autoreferate redaktionell erle- digte. (Von Dir, l. Karl, hatte ich – wie von manchen anderen – kein Au- toreferat einzufordern, da es bereits vorlag.) Ich kann nur hoffen, daß mir dies nicht wieder als Kompetenzüberschreitung ausgelegt werden wird!

Aus der Zeitschrift werdet Ihr auch das meiste über Bewegung und Literatur erfahren, dessen Aufzählung ich mir daher wohl ersparen darf. Bezügl. der Aufnahme der Moskauer Gruppe rät der Professor zu mög- lichster Toleranz und ich schließe mich dieser Auffassung an, indem ich auf das Beispiel der Amerikanischen Gruppe hinweise, deren Mitglieder wir jetzt hier allmählich kennen lernen. Ich kann mir nicht denken, daß die Moskauer analytisch oder menschlich ein schlechteres Material sein können als es die New Yorker Gruppe bei ihrer Aufnahme war und doch ist es uns gerade durch ihre Aufnahme gelungen, im Laufe der Zeit Einfluß auf sie zu gewinnen. Auch der Professor ist der Ansicht, daß die Moskauer, wenn wir sie zurückwiesen, leicht auf Abwege geraten könn- ten, während wir durch ihren Anschluß vielleicht doch Einfluß auf sie gewinnen könnten.

Eitingon scheint seinen Pariser Aufenthalt zur Anknüpfung von wertvol- len analytischen Beziehungen benützt zu haben.4 Wie wir erfahren, hat sich auf seine Anregung ein kleiner Kreis von Ärzten zu ständigen Zu- sammenkünften zusammengetan, an deren Spitze ein Dr. Laforgue (ein Elsässer, der deutsch kann) steht und zu dem auch unser Mitglied Sokol- nicka Fühlung zu bekommen suchen wird.

Von Manuskripten ist eine kurze, aber recht gute Arbeit von Fenichel über den Mißbrauch der Psa zu philosophischen Spekulationen (Metaphy- sik)5 eingelaufen und eine Dissertationsarbeit von Walter Lipmann6 über die Heilung von Neurosen durch Psa, eine schwache Schülerarbeit, die wir aber publizieren werden, weil es nicht einer gewissen Pikanterie entbehrt, daß die Universität Freiburg, an der Hoche7 lehrt, psa. Dissertatio- nen nicht bloß zuläßt, sondern akzeptiert.

Aus der Literatur ist noch erwähnenswert, daß in einem großen deutschen Handbuch der Psychologie, das in drei Bänden jetzt (bei Reinhardt in München) erschienen ist, u.a. die Träume von de Sanctis und die Psy- chologie der Sexualität von Allers behandelt ist. 8 –

In einem Ref. der Münch. Med. Woch. verurteilt Bleuler die Paralysear- beit von Hollós-Ferenczi in einigen Zeilen von oben herab.

In der ersten Dezemberwoche soll in München ein Kongreß für Individu- alpsychologie unter dem Vorsitz von Adler9 stattgefunden haben.

ad Berlin: Ich erwarte Deine Vorschläge, l. Karl, betreffs der Kinder- sammlung, mit Interesse. Wenn das Buch gedruckt werden kann, möchte ich es vermeiden, die letzten Beiträge (z. B. Frl. Schott) vorher in der Zeitschrift abzudrucken, die ohnehin mehr als überfüllt ist.

Miss G. ist etwa zwei Wochen vor Mrs. Rivière bereits von Wien abge- reist.

Mit den herzlichsten Grüßen sowie allseitigen Weihnachts- und Neu- jahrswünschen in alter Freundschaft auch im neuen Jahr.

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