Eine Schwierigkeit der Psychoanalyse 1917-002/1917.3
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    SEPARATABDRUCK aus IMAGO,

    Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften.
    Herausgegeben von Prof. SIGM. FREUD, redigiert von Dr. OTTO RANK u. Dr. HANNS SACHS.
    V. Jahrgang 1917, 1. Heft. Verlag von Hugo Heller D Co. in Leipzig und Wien, I. Bauernmarkt 3.

    Abonnementspreis ganzjährig M. 15.— = К 18,—

    Eine Schwierigkeit der Psychoanalyse‘.

    Von SIGM. FREUD (Wien).

    d will gleich zum Eingang sagen, daß ich nicht eine intellektuelle
    Schwierigkeit meine, etwas, was die Psychoanalyse für das Ver=
    ståndnis des Empfängers (Hårers oder Lesers) unzugänglih macht,

    sondern eine affektive Schwierigkeit: etwas, wodurch sich die Psycho=

    analyse die Gefühle des Empfängers entfremdet, so daß er weniger
    geneigt wird, ihr Interesse oder Glauben zu schenken. Wie man
    merkt, kommen beiderlei Schwierigkeiten auf dasselbe hinaus, Wer
    fiir eine Sache nicht genug Sympathie aufbringen kann, wird sie

    ‘auch nicht so leicht verstehen.

    Aus Rücksicht auf den Leser, den ich mir noch als völlig un=
    beteiligt vorstelle, muß ich etwas weiter ausholen: In der Psycho-
    analyse hat sich aus einer großen Zahl von Einzelbeobachtungen
    und Eindrücken endlich etwas wie eine Theorie gestaltet, die unter
    dem Namen der Libidotheorie bekannt ist. Die Psychoanalyse be=
    schaftigt sich bekanntlich mit der Aufklärung und der Beseitigung
    der sogenannten nervösen Störungen. Für dieses Problem mußte
    ein Angriffspunkt gefunden werden, und man entschloß sich, ihn im
    Triebleben der Seele zu suchen. Annahmen über das menschliche
    Triebleben wurden also die Grundlage unserer Auffassung der
    Nervosität,

    Die Psychologie, die auf unseren Schulen gelehrt wird, gibt
    uns nur sehr wenig befriedigende Antworten, wenn wir sie nach
    den Problemen des Seelenlebens befragen. Auf keinem Gebiet sind
    aber ihre Auskünfte kümmerlicher als auf dem der Triebe.

    Es bleibt uns überlassen, wie wir uns hier eine erste Orien=
    tierung schaffen wollen. Die populäre Auffassung trennt Hunger
    und Liebe als Vertreter der E welche das Einzelwesen zu

    1 Zuerst in ungarischer Sprache abgedruckt in der Zeitschrift »Nyugat«,
    herausgegeben von H. Ignotus, Budapest 1917.

    Imago VA 1

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    erhalten, und jener, die es fortzupflanzen streben. Indem wir uns
    dieser so nahe liegenden Sonderung anschließen, unterscheiden wir
    auch in der Psychoanalyse die Selbsterhaltungs= oder IM-Triebe von
    den Sexualtrieben und nennen die Kraft, mit welcher der Sexual=
    trieb im Seelenleben auftritt, Libido — sexuelles Verlangen — als
    etwas dem Hunger, dem Madtwillen u. dgl. bei den Ich-Trieben
    analoges.

    Auf dem Boden dieser Annahme machen wir dann die erste
    bedeutungsvolle Entdeckung. Wir erfahren, daß für das Verständnis
    der neurotischen Erkrankungen den Sexualtrieben die weitaus größere
    Bedeutung zukommt, daB die Neurosen sozusagen die spezifischen
    Erkrankungen der Sexualfunktion sind. Daß es von der Quantität
    der Libido und von der Möglichkeit, sie zu befriedigen und durch
    Befriedigung abzuführen, abhängt, ob ein Mensch überhaupt an einer
    Neurose erkrankt, Daß die Form der Erkrankung bestimmt wird
    durch die Art, wie der einzelne den Entwiddungsweg der Sexuale
    funktion zurückgelegt hat, oder, wie wir sagen, durch die Fixierungen,
    welche seine Libido im Laufe ihrer Entwicklung erfahren hat. Und
    daß wir in einer gewissen, nicht sehr einfachen Technik der psydi-
    schen Beeinflussung ein Mittel haben, manche Gruppen der Neurosen

    leichzeitig aufzuklären und rückgängig zu machen. Den besten Erfolg

    fat unsere therapeutische Beműhung bei einer gewissen Klasse von
    Neurosen, die aus dem Konflikt zwischen den a und den
    Sexualtrieben hervorgehen. Beim Menschen kommt es nämlich vor,
    daß die Anforderungen der Sexualtriebe, die ja weit über das Einzel=
    wesen hinausgreifen, dem Ich als Gefahr erscheinen, die seine Selbst-
    erhaltung oder seine Selbstachtung bedrohen. Dann setzt sich das
    Ich zur Wehre, versagt den Sexualtrieben die gewünschte Befriedi-
    gung, nåtigt sie zu jenen Umwegen einer Ersatzbefriedigung, die
    sich als nervåse Symptome kundgeben.

    Die psyhoanalytishe Therapie bringt es dann zustande, den
    Verdrångungsprozef einer Revision zu unterziehen und den Konflikt
    zu einem besseren, mit der Gesundheit vertråglihen Ausgang zu
    leiten. Unverståndige Gegnershaft wirft uns dann unsere Schätzung
    der Sexualtriebe als einseitig vor: Der Mensch habe noch andere
    Interessen als die sexuellen. Das haben wir keinen Augenblick lang
    vergessen oder verleugnet. Unsere Einseitigkeit ist wie die des
    Chemikers, der alle Konstitutionen auf die Kraft der chemischen
    Attraktion zurückführt. Er leugnet darum die Schwerkraft nicht, er
    überläßt ihre Würdigung dem Physiker.

    Während der therapeutischen Arbeit müssen wir uns um die
    Verteilung der Libido bei dem Kranken bekiimmern, wir forschen
    nach, an welche Objektvorstellungen seine Libido gebunden ist, und
    machen sie frei, um sie dem Ich zur Verfügung zu stellen. Dabei
    sind wir dazu gekommen, uns ein sehr merkwürdigen Bild von der
    anfänglichen, der Urverteilung der Libido beim Menschen zu machen.
    Wir mußten annehmen, daß zu Beginn der individuellen Entwicklung

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    alle Libido (alles erotische Streben, alle Liebesfähigkeit) an die eigene
    erson geknüpft ist, wie wir sagen, das eigene Ich besetzt. Erst
    später geschieht es in Anlehnung an die Befriedigung der großen
    Lebensbedürfnisse, daß die Libido vom Ich auf die äußeren Objekte
    iiberflieBt, wodurch wir erst in die Lage kommen, die libidinôsen Triebe
    als solde zu erkennen und von den IM-Trieben zu unterscheiden.
    Von diesen Objekten kann die Libido wieder abgelöst und ins Ich
    zurückgezogen werden.
    en Zustand, in dem das Ich die Libido bei sich behält, heißen
    wir NarziBmus, in Erinnerung der griechischen Sage vom Jiingling
    Narzissus, der in sein eigenes Spiegelbild verliebt blieb.

    Wir schreiben also dem Individuum einen Fortschritt zu vom
    Narzißmus zur Objektliebe. Aber wir glauben nicht, daß jemals die
    реше Libido des Ihs auf die Objekte übergeht. Ein gewisser

    etrag von Libido verbleibt immer beim Ich, ein gewisses Maß von
    NarziBmus bleibt trotz hochentwickelter Objektliebe fortbestehen. Das
    Id ist ein großes Reservoir, aus dem die für die Objekte bestimmte
    Libido ausstrómt, und dem sie von den Objekten her wieder zu=
    fließt. Die Objektlibido war zuerst Ih-Libido und kann sich wieder
    in IM-Libido umsetzen. Es ist für die volle Gesundheit der Person
    wesentlich, daß ihre Libido die volle Beweglichkeit nicht verliere. Zur
    Versinnlichung dieses Verhältnisses denken wir an ein Protoplasma=
    tierchen, dessen zähflüssige Substanz Pseudopodien (ScheinfiiBchen)
    aussendet, Fortsetzungen, in welche sich die ¡e hinein=
    erstreckt, die aber jederzeit wieder eingezogen werden können, so
    daß die Form des Protoplasmakliimpchens wieder hergestellt wird.

    Was id durch diese Andeutungen zu beschreiben versucht
    habe, ist die Libidotheorie der Neurosen, auf welche alle unsere
    Auffassungen vom Wesen dieser krankhaften Zustände und unser
    therapeutishes Vorgehen gegen dieselben begründet sind. Es ist
    selbstverstándlid), daß wir die Voraussetzungen der Libidotheorie
    auch får das normale Verhalten geltend machen. Wir sprechen vom
    Narzifmus des kleinen Kindes und wir schreiben es dem über»
    starken NarziBmus des primitiven Menschen zu, daß er an die All.
    macht seiner Gedanken glaubt und darum den Ablauf der Begeben>
    heiten in der äußeren Vet durch die Technik der Magie beein=
    flussen will.

    Nad dieser Einleitung möchte ich ausführen, daß der allgemeine
    Narzißmus, die Eigenliebe der Menschheit, bis jetzt drei schwere
    . Krånkungen von seiten der wissenschaftlichen Forschung erfahren hat.

    a) Der Mensch glaubte zuerst in den Anfängen seiner Fors
    schung, daß sich sein Wohnsitz, die Erde, ruhend im Mittelpunkt
    des Weltalls befinde, während Sonne, Mond und Planeten sich in
    kreisförmigen Bahnen um die Erde bewegen. Er folgte dabei in
    naiver Weise dem Eindruck seiner Sinneswahrnehmungen, denn eine
    Bewegung der Erde verspürt er nicht, und wo immer er frei um sich
    blicken kann, findet er sich im Mittelpunkt eines Kreises, der die

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    äußere Welt umschließt. Die zentrale Stellung der Erde war ihm
    aber eine Gewähr für ihre herrschende Rolle im Weltall und schien
    in guter Übereinstimmung mit seiner Neigung, sich als den Herrn
    dieser Welt zu fühlen.

    Die Zerstörung dieser narziBtischen Illusion knüpft sich für uns
    an den Namen und das Werk des Nik. Kopernikus im sed
    zehnten Jahrhundert. Lange vor ihm hatten die Pythagoråer an der
    bevorzugten Stellung der Erde gezweifelt, und Aristarch von
    Samos hatte im dritten vorchristlichen Jr ausgesprochen,
    daß die Erde viel kleiner sei als die Sonne und sich um diesen
    Himmelskörper bewege, Auch die große Entdeckung des Kopers
    nikus war also schon vor ihm gemacht worden. Als sie aber alle
    gemeine Anerkennung fand, hatte die menschliche Eigenliebe ihre
    erste, die kosmologische, Krånkung erfahren.

    E Der Mensch warf sich im O seiner Kulturentwicklung
    zum Herren über seine tierischen Mitgeschépfe auf. Aber mit dieser
    Vorherrschaft nicht zufrieden, begann er eine Kluft zwischen ihrem
    und seinem Wesen zu legen. Er sprach ihnen die Vernunft ab und
    legte sich eine unsterbliche Seele bei, berief sich auf eine hohe göttliche

    kunft, die das Band der Gemeinschaft mit der Tierwelt zu zer=
    reißen gestattete. Es ist merkwürdig, daß diese Überhebung dem
    kleinen Kinde wie dem primitiven und dem Urmenschen noch ferne
    liegt. Sie ist das Ergebnis einer späteren anspruchsvollen Ent«
    wicklung. Der Primitive fand es auf der Stufe des Totemismus nicht
    anstößig, seinen Stamm auf einen tierischen Ahnherrn zurickzuleiten.
    Der Mythus, welcher den Niederschlag jener alten Denkungsart ente
    hält, 1äßt die Götter Tiergestalt annehmen, und die Kunst der ersten
    Zeiten bildet die Götter mit Tierkôpfen. Das Kind empfindet keinen
    Unterschied zwischen dem eigenen Wesen und dem des Tieres; es
    1806 die Tiere ohne Verwunderung im Märchen denken und sprechen,
    es verschiebt einen Angsteffekt, der dem menschlichen Vater gilt, auf
    den Hund oder auf das Pferd, ohne damit eine Herabsetzung des
    Vaters zu beabsichtigen. Erst wenn es erwachsen ist, wird es sich
    dem Tiere soweit entfremdet haben, daß es den Menschen mit dem
    Namen des Tieres beschimpfen kann.

    Wir wissen es alle, daß die Forschung Ch. Darwins, seiner
    Mitarbeiter und Vorgänger, vor wenig mehr als einem halben Jahr=
    hundert dieser Übekebime des Menschen ein Ende bereitet hat.
    Der Mens ist nichts anderes und nichts besseres als die Tiere, er
    ist selbst aus der Tierreihe hervorgegangen, einigen Arten näher, .
    anderen ferner verwandt. Seine späteren Erwerbungen vermoditen
    es nicht, die Zeugnisse der Gleichwertigkeit zu verwischen, die in
    seinem Körperbau wie in seinen seelishen Anlagen gegeben sind.
    Dies ist aber die zweite, die biologische Krankung des mensch“
    lichen NarziBmus.

    €) Am empfindlichsten trifft wohl die dritte Kränkung, die
    psychologischer Natur ist.

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    Der Mensch, ob auch draußen erniedrigt, fühlt sich souverän
    in seiner eigenen Seele, Irgendwo im Kern seines Ichs hat er sich
    ein Aufsichtsorgan geschaffen, welches seine eigenen Regungen und
    Handlungen überwacht, ob sie mit seinen Anforderungen zusammen=
    stimmen, Tun sie das nicht, so werden sie unerbittlich gehemmt und
    zurückgezogen, Seine innere Wahrnehmung, das Bewußtsein, gibt
    dem Ich Kunde von allen bedeutungsvollen Vorgängen im seelischen
    Getriebe, und der durch diese Nachrichten gelenkte Wille führt aus,
    was das Ich anordnet, ändert, ab, was sich selbständig vollziehen
    möchte. Denn diese Seele ist nichts einfaches, vielmehr eine Hierarchie
    von übers und untergeordneten Instanzen, ein Gewirre von Impulsen,
    die unabhängig voneinander zur Ausführung drängen, entsprechend
    der Vielheit von Trieben und von Beziehungen zur Außenwelt,
    viele davon einander gegensátzlih und miteinander unverträglich,
    Es ist für die Funktion erforderlich, daß die oberste Instanz von
    allem Kenntnis erhalte, was sich vorbereitet, und daß ihr Wille
    überallhin dringen könne, um, seinen Einfluß zu üben. Aber das Ich
    fühlt sich sicher sowohl der Vollständigkeit und Verläßlichkeit der
    Nachrichten als auch der Wegsamkeit für seine Befehle,

    In sgewissen Krankheiten, allerdings gerade bei den von uns
    studierten Neurosen, ist es anders. Das Ih fühlt sich unbehaglich,
    es stößt auf Grenzen seiner Macht in seinem eigenen Haus, der
    Seele. Es tauchen plötzlich Gedanken auf, von denen man nicht
    weiß, woher sie kommen, man kann auch nichts dazu tun, sie zu
    vertreiben. Diese fremden Gäste scheinen selbst mächtiger zu sein
    als die dem Ich unterworfenen, sie widerstehen allen sonst so
    erprobten Machtmitteln des Willens, bleiben unbeirrt durch die
    logishe Widerlegung, unangetastet durch die Gegenaussage der
    Realität. Oder es kommen Impulse, die wie die eines Fremden sind,
    so daß das Ich sie verleugnet, aber es muß sich do vor ihnen
    fürchten und Vorsichten gegen sie treffen, Das Ich sagt sich, das ist
    eine Krankheit, eine fremde Invasion, es verschärft seine Wachsam=
    keit, aber es kann nicht verstehen, warum es sich in so seltsamer
    Weise gelähmt fühlt.

    Die Psychiatrie bestreitet zwar für solche Vorfälle, daß sich
    böse, fremde Geister ins Seelenleben eingedrängt haben, aber sonst
    sagt sie nur adiselzuckend: Degeneration, hereditäre Disposition,
    konstitutionelle Minderwertigkeit! Die Psychoanalyse unternimmt es,
    diese unheimlidien Krankheitsfälle aufzuklären, sie stellt sorgfältige
    und langwierige Untersuchungen an, schafft sich Hilfsbegriffe und
    wissenschaftliche Konstruktionen und kann dem Ich endlich sagen:
    »Es ist nichts Fremdes in dich gefahren; ein Teil von deinem eigenen
    Seelenleben hat sich deiner Kenntnis und der Herrschaft deines
    Willens entzogen. Darum bist du auch so schwach in der Abwehr,
    du kämpfst mit einem Teil deiner Kraft gegen den anderen Teil,
    kannst nicht wie gegen einen äußeren Feind deine ganze Kraft
    zusammennehmen. Und es ist nicht einmal der schlechteste oder

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    unwidtigste Anteil deiner seelischen Kräfte, der so in Gegensatz
    zu dir getreten und unabhångig von dir geworden ist. Die Schuld,
    muß id sagen, liegt an dir selbst. Du hast deine Kraft überschätzt,
    wenn du geglaubt hast, du kénntest mit deinen Sexualtrieben an-
    stellen, was du willst, und brauditest auf ihre Absichten nicht die
    mindeste Rücksicht zu nehmen. Da haben sie sich denn empört und
    sind ihre eigenen dunklen Wege gegangen, um sid der Unter»
    dradkung zu entziehen, haben sich ihr Recht geschaffen auf eine
    Weise, die dir nicht mehr recht sein kann. Wie sie das zustande
    gebracht haben, und welche Wege sie gewandelt sind, das hast du
    nicht erfahren, nur das Ergebnis dieser Arbeit, das Symptom, das
    du als Leiden empfindest, ist zu deiner Kenntnis gekommen. Du
    erkennst es dann nicht als Abkómmling deiner eigenen verstofienen
    Triebe und weißt nicht, daß es deren Ersatzbefriedigung ist.«
    >Der ganze Vorgang wird aber nur durch den einen Umstand
    möglich, daß du did auch in einem anderen wichtigen Punkte im
    Irrtum befindest. Du vertraust darauf, daß du alles erfährst, was
    in deiner Seele vorgeht, wenn es nur wichtig genug ist, weil dein
    Bewußtsein es dir dann meldet. Und wenn du von. etwas in deiner
    Seele keine Nachricht bekommen hast, nimmst du zuversichtlich an,
    es sei nicht in ihr enthalten. Ja, du gehst so weit, daß du »seelisch«
    für identisch hältst mit »bewußt«, d. h. dir bekannt, trotz der augen=
    scheinflichsten Beweise, daß in deinem Seelenleben beständig viel
    mehr vor sich gehen muß, als deinem Bewußtsein bekannt werden
    kann. Laß dich doch in diesem einen Punkt belehren! Das Seelische in
    dir fallt nicht mit dem dir Bewuften zusammen, es ist etwas anderes,
    ob etwas in deiner Seele vorgeht und ob du es aud erfährst. Für
    ewóhnlich, ich will es zugeben, reicht der Nachrichtendienst an dein
    ewuBtsein für deine Bedürfnisse aus. Du darfst dich in der Illusion
    wiegen, daß du alles wichtigere erfährst. Aber in manchen Fällen,
    z. B. in dem eines solchen Triebkonfliktes, versagt er und dein Wille
    reicht dann nicht weiter als dein Wissen. In allen Fällen aber sind
    diese Nachrichten deines Bewußtseins unvollständig und häufig uns
    zuverlässig, auch trifft es sich oft genug, daß du von den Gescheh=
    nissen erst Kunde bekommst, wenn sie bereits vollzogen sind und
    du nichts mehr an ihnen ändern kannst. Wer kann, selbst wenn
    du nicht krank bist, ermessen, was sich alles in deiner Seele regt,
    wovon du nichts erfährst, oder worüber du falsch berichtet wirst.
    Du benimmst dich wie ein absoluter Herrscher, der es sich an den
    Informationen seiner obersten Hofämter genügen läßt und nicht zum
    Volk herabsteigt, um dessen Stimme zu hören. Geh in did, in
    deine Tiefen und lerne dich erst kennen, dann wirst du verstehen,
    warum du krank werden mußt, und vielleicht vermeiden, krank zu
    werden. <
    So wollte die Psychoanalyse das Ich belehren. Aber die beiden
    Aufklärungen, daß das Triebleben der Sexualität in uns nicht voll
    zu bändigen ist, und daß die seelischen Vorgänge an sich unbewußt

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    Eine Schwierigkeit der Psychoanalyse T

    sind und nur durch eine unvollständige und unzuverlåssige Wahr=
    nehmung dem Ich zugänglich und ihm unterworfen werden, kommen
    der Behauptung gleich, daß das Ich nicht Herr sei in seinem
    eigenen Haus. Sie stellen miteinander die dritte Kránkung der
    Eigenliebe dar, die ich die psychologische nennen möchte. Kein
    Wunder daher, daß das Ih der Psychoanalyse nicht seine Gunst
    zuwendet und ihr hartnackig den Glauben verweigert.

    Die wenigsten Menschen dürften sich klar gemacht haben,
    einen wie folgensdweren Schritt die Annahme unbewufter seelischer
    Vorgänge für Wissenschaft und Leben bedeuten würde. Beeilen wir
    uns aber hinzuzufügen, daß nicht die Psychoanalyse diesen Schritt
    zuerst gemacht hat, Es sind namhafte Philosophen als Vorgánger
    anzuführen, vor allen der grofe Denker Schopenhauer, dessen
    unbewufiter 9 Wille« den seelischen Trieben der Psychoanalyse gleich~
    zusetzen ist. Derselbe Denker übrigens, der in Worten von unver-

    eblihem Nachdruck die Menschen ап die immer noch untershátzte

    Bedeutung ihres Sexualstrebens gemahnt hat. Die Psychoanalyse hat
    nur das eine voraus, daß sie die beiden dem Narzifimus so peinlichen
    Sätze von der psychischen Bedeutung der Sexualität und von der
    Unbewufitheit des Seelenlebens nicht abstrakt behauptet, sondern an
    einem Material erweist, welches jeden einzelnen persönlich angeht
    und seine Stellungnahme zu diesen Problemen erzwingt. Aber gerade
    darum fenkt sie die Abneigung und die Widerstände auf sich, welche
    den großen Namen des планы noch scheu vermeiden,