S.
III.
Weitere Ratschläge zur Technik der Psychoanalyse.*)
Von Sigm, Freud,I. Zur Einleitung der Behandlung. — Die Frage der ersten Mit-
teilungen. — Die Dynamik der Heilung.(Fortsetzung.)
Es ist im ganzen gleichgültig, mit welchem Stoff man die Behand-
lung beginnt, ob mit der Lebensgeschichte, der Krankengeschichte oder
den Kindheitserinnerungen des Patienten. Jedenfalls aber so, daß man
den Patienten erzählen läßt und ihm die Wahl- des Anfangspunktes frei
stellt. Man sagt ihm also: Ehe ich Ihnen etwas sagen kann, muß ich viel
über Sie erfahren haben; bitte teilen Sie mir mit, was Sie von sich wissen.Nur für die Grundregel der psychoanalytischen Technik, die der
Patient zu beobachten hat, macht man eine Ausnahme. Mit dieser macht
man ihn von allem Anfang an bekannt: Noch eines, ehe Sie beginnen.
Ihre Erzählung soll sich doch in einem Punkt von einer gewöhnlichen Kon-
versation unterscheiden. Während Sie sonst mit Recht versuchen, in
Ihrer Darstellung den Faden des Zusammenhanges festzuhalten und alle
störenden Einfälle und Nebengedanken abweisen, um nicht, wie man
sagt, aus dem Hundertsten ins Tausendste zu kommen, sollen Sie hier
anders vorgehen. Sie werden beobachten, daß Ihnen während Ihrer
Erzählung verschiedene Gedanken kommen, welche Sie mit gewissen kri-
tischen Einwendungen zuriickweisen möchten. Sie werden versucht sein,
sich zu sagen: Dies oder jenes gehårt nicht hieher, oder es ist ganz
unwichtig, oder es ist unsinnig, man braucht es darum nicht zu sagen.
Geben Sie dieser Kritik niemals nach und sagen Sie es trotzdem, ja
gerade darum, weil Sie eine Abneigung dagegen verspüren. Den Grund
für diese Vorschrift — eigentlich die einzige, die Sie befolgen sollen —
werden Sie spåter erfahren und einsehen lernen. Sagen Sie also alles,
was Ihnen durch den Sinn geht. Benehmen Sie sich so wie z. B. ein
Reisender, der am Fensterplatz des Eisenbahnwagens sitzt und dem im
Inneren Untergebrachten beschreibt, wie sich vor seinen Blicken die Aus-
sicht verändert. Endlich vergessen Sie nie daran, daß Sie volle Auf-*( Siehe Heft 1.
S.
140 Sigm. Freud.
richtigkeit versprochen haben, und gehen Sie nie über etwas hinweg,
weil Ihnen dessen Mitteilung aus irgend einem Grunde unangenehm ist.*)Patienten, die ihr Kranksein von einem bestimmten Moment an
rechnen, stellen sich gewöhnlich auf die Krankheitsveranlassung ein;
andere, die den Zusammenhang ihrer Neurose mit ihrer Kindheit selbst
nicht verkennen, beginnen oft mit der Darstellung ihrer ganzen Lebens-
geschichte. Eine systematische Erzählung erwarte man auf keinen Fall
und tue nichts dazu, sie zu fördern. Jedes Stückchen der Geschichte
wird später von Neuem erzählt werden müssen, und erst bei diesen
Wiederholungen werden die Zusätze erscheinen, welche die wichtigen,
dem Kranken unbekannten Zusammenhänge vermitteln,Es gibt Patienten, die sich von den ersten Stunden an sorgfältig
auf ihre Erzählung vorbereiten, angeblich um so die bessere Ausnützung
der Behandlungszeit zu sichern. Was sich so als Eifer drapiert, ist
Widerstand, Man widerrate solche Vorbereitung, die nur zum Schutz
gegen das Auftauchen unerwünschter Einfälle geübt wird") Mag der*) Über die Erfahrungen mit der фа Grundregel wäre viel zu sagen, Man trifft
gelegentlich auf Personen, die sich benehmen, als ob sie sich diese Regel selbst gegeben
hätten. Andere sündigen gegen sie von allem Anfang an. Ihre Mitteilung ist in den
ersten Stadien der Behandlung unerläßlich, auch nutzbringend; später unter der
Herrschaft der Widerstände versagt der Gehorsam gegen sie, nnd für jeden kommt
irgend einmal die Zeit, sich über sie hinauszusetzen. Man muß sich aus seiner Selbst-
analyse daran erinnern, wie unwiderstehlich die Versuchung auftritt, jenen kritischen
Vorwånden zur Abweisung von Einfållen nachzugeben. Von der geringen Wirksam-
keit solcher Verträge, wie man sie durch die Aufstellung der Va Grundregel mit dem
Patienten schließt, kann man sich regelmäßig überzeugen, wenn sich zum erstenmal etwas
Intimes über dritte Personen zur Mitteilung einstellt. Der Patient weiß, daß er alles
sagen soll, aber er macht aus der Diskretion gegen andere eine neue Abhaltung. „Soll
ich wirklich alles sagen? Ich habe geglaubt, das gilt nur für Dinge, die mich selbst
betreffen.“ Es ist natürlich unmöglich, eine analytische Behandlung durchzuführen,
bei der die Beziehungen des Patienten zu anderen Personen und seine Gedanken
über sie von der Mitteilung ausgenommen sind. Pour faire une omelette il faut casser
des oeufs. Ein anståndiger Mensch vergißt bereitwillig, was ihm von solchen Geheim-
nissen fremder Leute nicht wissenswert erscheint. Auch auf die Mitteilung von Namen
kann man nicht verzichten; die Erzählungen des Patienten bekommen sonst etwas
Schattenhaftes wie die Szenen der „natürlichen Tochter“ Goeth es, was im Gedächtnis
des Arztes nicht haften will; auch decken die zurückgehaltenen Namen den Zugang
zu allerlei wichtigen Beziehungen. Man kann Namen etwa reservieren lassen, bis der
Analysierte mit dem Arzt und dem Verfahren vertrauter geworden ist. Es ist sehr
merkwürdig, daß die ganze Aufgabe unlôsbar wird, sowie man die Reserve an einer
einzigen Stelle gestattet hat. Aber man bedenke, wenn bei uns ein Asylrecht, z. B.
für einen einzigen Platz in der Stadt bestinde, wie lange es brauchen würde, bis
alles Gesindel der Stadt auf diesem einen Platze zusammentrife. Ich behandelte
einmal einen hohen Funktionär, der durch seinen Diensteid genötigt war, gewisse
Dinge als Staatsgeheimnisse vor der Mitteilung zu bewahren, und scheiterte bei ihm
an dieser Einschränkung. Die psychoanalytische Behandlung muß sich über alle Rück-
sichten hinaussetzen, weil die Neurose und ihre Widerstände rücksichtslos sind.**) Ausnahmen lasse man nur zu für Daten wie: Familientafel, Aufenthalte,
Operationen u. dgl.S.
Weitere Ratschlige zur Technik der Psychoanalyse. 141
Kranke noch so aufrichtig an seine löbliche Absicht glauben, der Wider-
stand wird seinen Anteil an der absichtlichen Vorbereitungsart fordern
und es durchsetzen, daß das wertvollste Material der Mitteilung entschlüpft.
Man wird bald merken, daß der Patient noch andere Methoden erfindet,
um der Behandlung das Verlangte zu entziehen. Er wird sich etwa
täglich mit einem intimen Freund über die Kur besprechen und in dieser
Unterhaltung alle die Gedanken unterbringen, die sich ihm im Beisein
des Arztes aufdrången sollten. Die Kur hat dann ein Leck, durch welches
gerade das Beste verrinnt. Es wird dann bald an der Zeit sein, dem
Patienten anzuraten, daß er seine analytische Kur als eine Angelegenheit
zwischen seinem Arzt und ihm selbst behandle und alle anderen Personen,
mögen sie noch so nahestehend oder noch so neugierig sein, von der
Mitwisserschaft ausschließe, In späteren Stadien der Behandlung ist der
Patient in der Regel solchen Versuchungen nicht unterworfen.Kranken, die ihre Behandlung geheim halten wollen, oft darum,
weil sie auch ihre Neurose geheim gehalten haben, lege ich keine
Schwierigkeiten in den Weg. Es kommt natürlich nicht in Betracht,
wenn infolge dieser Reservation einige der schönsten Heilerfolge ihre
Wirkung auf die Mitwelt verfehlen. Die Entscheidung der Patienten fiir
das Geheimnis bringt selbstverståndlich bereits einen Zug ihrer Geheim-
geschichte ans Licht.Wenn man den Kranken einschärft, zu Beginn ihrer Behandlung
möglichst wenig Personen zu Mitwissern zu machen, so schützt man sie
dadurch auch einigermaßen vor den vielen feindseligen Einflüssen, die
es versuchen werden, sie der Analyse abspenstig zu machen, Solche
Beeinflussungen können zu Anfang der Kur verderblich werden. Späterhin
sind sie meist gleichgültig oder selbst nützlich, um Widerstände, die sich
verbergen wollen, zum Vorschein zu bringen.Bedarf der Patient während der analytischen Behandlung voriiber-
gehend einer anderen, internen oder spezialistischen Therapie, so ist es
weit zweckmifiger, einen nicht analytischen Kollegen in Anspruch zu
nehmen, als diese andere Hilfeleistung selbst zu besorgen. Kombinierte
Behandlungen wegen neurotischer Leiden mit starker organischer An-
lehnung sind meist undurchführbar. Die Patienten lenken ihr Interesse
von der Analyse ab, sowie man ihnen mehr als einen Weg zeigt, der
zur Heilung führen soll. Am besten schiebt man die organische Be-
handlung bis nach Abschluf der psychischen auf; würde man die erstere
voranschicken, so bliebe sie in den meisten Füllen erfolglos.Kehren wir zur Einleitung der Behandlung zurück. Man wird ge-
legentlich Patienten begegnen, die ihre Kur mit der ablehnenden Ver-
sicherung beginnen, daß ihnen nichts einfalle, was sie erzählen könnten,
Obwohl das ganze Gebiet der Lebens- und Krankheitsgeschichte unberührt
vor ihnen liegt. Auf die Bitte, ihnen doch anzugeben, wovon sieS.
142 Sigm. Freud.
sprechen sollen, gehe man nicht ein, dieses erste Mal so wenig wie
spitere Male. Man halte sich vor, womit man es in solchen Fillen zu
tun hat. Ein starker Widerstand ist da in die Front geriickt, um die
Neurose zu verteidigen; man nehme die Herausforderung sofort an und
rücke ihm an den Leib, Die energisch wiederholte Versicherung, daß es
solches Ausbleiben aller Einfälle zu Anfang nicht gibt, und daß es sich
um einen Widerstand gegen die Analyse handle, nötigt den Patienten
bald zu den vermuteten Geståndnissen oder deckt ein erstes Stück seiner
Komplexe auf. Es ist böse, wenn er gestehen muß, daß er sich während
des Anhörens der Grundregel die Reservation geschaffen hat, dies oder
jenes werde er doch fiir sich behalten. Minder arg, wenn er nur mitzu-
teilen braucht, welches Mißtrauen er der Analyse entgegenbringt, oder
was für abschreckende Dinge er über sie gehört habe, Stellt er diese
und ähnliche Möglichkeiten, die man ihm vorhålt, in Abrede, so kann
man ihn durch Drängen zum Eingeständnis nötigen, daß er doch gewisse
Gedanken, die ihn beschäftigen, vernachlässigt hat. Er hat an die Kur
selbst gedacht, aber an nichts bestimmtes, oder das Bild des Zimmers, in
dem er sich befindet, hat ihn beschäftigt, oder er muß an die Gegen-
stinde im Behandlungsraum denken, und daß er hier auf einem Diwan
liegt, was er alles durch die Auskunft „Nichts“ ersetzt hat. Diese An-
deutungen sind wohl verständlich; alles was an die gegenwärtige Situ-
ation ankniipft, entspricht einer Ubertragung auf den Arzt, die sich zu
einem ersten Widerstand geeignet erweist. Man ist so genötigt mit der
Aufdeckung dieser Ubertragung zu beginnen; von ihr aus findet sich
rasch der Weg zum Eingang in das pathogene Material des Kranken,
Frauen, die nach dem Inhalt ihrer Lebensgeschichte auf eine sexuelle
Agression vorbereitet sind, Männer mit überstarker verdrängter Homo-
sexualitåt werden am ehesten der Analyse eine solche Verweigerung der
Einfälle vorausschicken.Wie der erste Widerstand, so können auch die ersten Symptome
oder Zufallshandlungen der Patienten ein besonderes Interesse beanspruchen
und einen ihre Neurose beherrschenden Komplex verraten. Ein geistreicher
junger Philosoph, mit exquisiten ästhetischen Einstellungen, beeilt sich,
den Hosenstreif zurecht zu zupfen, ehe er sich zur ersten Behandlung
niederlegt ; er erweist sich als dereinstiger Koprophile von höchstem Raffine-
ment, wie es fir den späteren Astheten zu erwarten stand. Ein junges
Mädchen zieht in der gleichen Situation hastig den Saum ihres Rockes
über den vorschauenden Knåchel; sie hat damit das Beste verraten, was
die spätere Analyse aufdecken wird, ihren narziftischen Stolz auf ihre
Kórperschónheit und ihre Exhibitionsneigungen.Besonders viele Patienten striuben sich gegen die ihnen vor-
geschlagene Lagerung, während der Arzt ungesehen hinter ihnen sitzt, und
bitten um die Erlaubnis, die Behandlung in anderer Position durchzumachen,S.
Weitere Ratschlige zur Technik der Psychoanalyse. 143
zumeist, weil sie den Anblick des Arztes nicht entbehren wollen. Es
wird ihnen regelmäßig verweigert; man kann sie aber nicht daran hindern,
daß sie sich's einrichten, einige Sätze vor Beginn der „Sitzung“ zu
sprechen oder nach der angekiindigten Beendigung derselben, wenn sie
sich vom Lager erhoben haben. Sie teilen sich so die Behandlungtin
einen offiziellen Abschnitt, wåhrend dessen sie sich meist sehr gehemmt
benehmen, und in einen „gemütlichen“, in dem sie wirklich frei sprechen
und allerlei mitteilen, was sie selbst nicht zur Behandlung rechnen. Der
Arzt lågt sich diese Scheidung nicht lange gefallen, er merkt auf das
vor oder nach der Sitzung Gesprochene, und indem er es bei nåchster
Gelegenheit verwertet, reißt er die Scheidewand nieder, die der Patient
aufrichten wollte. Dieselbe wird wiederum aus dem Material eines Uber-
tragungswiderstandes gezimmert sein.Solange nun die Mitteilungen und Einfålle des
Patienten ohne Stockung erfolgen, lasse man das Thema
der Übertragung unberührt. Man warte mit dieser heikelsten aller
Prozeduren, bis die Ubertragung zum Widerstand geworden ist.Die nächste Frage, vor die wir uns gestellt finden, ist eine prinzi-
pielle. Sie lautet: Wann sollen wir mit den Mitteilungen an den Analy-
sierten beginnen? Wann ist es Zeit, ihm die geheime Bedeutung seiner
Einfille zu enthiillen, ihn in die Voraussetzungen und technischen Pro-
zeduren der Analyse einzuweihen ?Die Antwort hierauf kann nurlauten: Nicht eher, als bis sich eine
leistungsfåhige Ubertragung, ein ordentlicher Rapport, bei dem Patienten
hergestellt hat. Das erste Ziel der Behandlung bleibt, ihn an die Kur
und an die Person des Arztes zu attachieren. Man braucht nichts anderes
dazu zu tun, als ihm Zeit zu lassen. Wenn man ihm ernstes Interesse
bezeugt, die anfangs auftauchenden Widerstånde sorgfåltig beseitigt und
gewisse Mißgriffe vermeidet, stellt der Patient ein solches Attachement
von selbst her und reiht den Arzt an eine der Imagines jener Per-
sonen an, von denen er Liebes zu empfangen gewohnt war. Man kann sich
diesen ersten Erfolg allerdings verscherzen, wenn man von Anfang an
einen anderen Standpunkt einnimmt als den der Einfühlung, etwa einen
moralisierenden, oder wenn man sich als Vertreter und Mandator einer
Partei gebärdet, mit welcher der Patient den Konflikt unterhält, etwa der
Eltern, des anderen Eheteils usw.Diese Antwort schließt natürlich die Verurteilung eines Verfahrens
ein, welches dem Patienten die Übersetzungen seiner Symptome mitteilen
wollte, sobald man sie selbst erraten hat, oder gar einen besonderen
Triumph darin erblicken würde, ihm diese „Lösungen“ in der ersten Zusam-
menkunft ins Gesicht zu schleudern. Es wird einem geiibteren Analytiker
nicht schwer, die verhaltenen Wünsche eines Kranken schon aus seinen
Klagen und seinem Krankenbericht deutlich vernehmbar herauszuhören ;S.
144 Sigm. Freud.
aber welches Maß von Selbstgefilligkeit und von Unbesonnenheit gehört
dazu, um einem Fremden, mit allen analytischen Voraussetzungen Unver-
trauten, nach der kürzesten Bekanntschaft zu eröffnen, er hinge inzestuüs
an seiner Mutter, er hege Todeswiinsche gegen seine angeblich geliebte
Frau, er trage sich mit der Absicht, seinen Chef zu betrügen u. dgl.
Ich habe gehört, daß es Analytiker gibt, die sich mit solchen Augen-
blicksdiagnosen und Schnellbehandlungen briisten, aber ich warne jeder-
mann davor, solchen Beispielen zu folgen, Man wird dadurch sich und
seine Sache um jeden Kredit bringen und die heftigsten Widerspriiche
hervorrufen, ob man nun richtig geraten hat oder nicht, ja eigentlich um
so heftigeren Widerstand, je eher man richtig geraten hat, Der therapeutische
Effekt wird in der Regel zunächst gleich Null sein, die Abschreckung
von der Analyse aber eine endgültige. Noch in späteren Stadien der
Behandlung wird man Vorsicht üben müssen, um eine Symptomlósung
und Wunschübersetzung nicht eher mitzuteilen, als bis der Patient knapp
davor steht, so daß er nur noch einen kurzen Schritt zu tun hat, um
sich dieser Lösung selbst zu bemüchtigen, In früheren Jahren hatte ich
häufig Gelegenheit zu erfahren, daß die vorzeitige Mitteilung einer Lösung
der Kur ein vorzeitiges Ende bereitete, sowohl infolge der Widerstünde,
die so plötzlich geweckt wurden, als auch auf Grund der Erleichterung,
die mit dieser Lósung gegeben war.Man wird hier die Einwendung machen: Ist es denn unsere Auf-
gabe, die Behandlung zu verlängern, und nicht vielmehr, sie so rasch
wie móglich zu Ende zu führen? Leidet der Kranke nicht infolge seines
Nichtwissens und Nichtverstehens, und ist es nicht Pflicht, ihn so bald als
möglich wissend zu machen, also, sobald der Arzt selbst wissend
geworden ist?Die Beantwortung dieser Frage fordert zu einem kleinem Exkurs
auf, über die Bedeutung des Wissens und über den Mechanismus der
Heilung in der Psychoanalyse.In den frühesten Zeiten der analytischen Technik haben wir aller-
dings in intellektualistischer Denkeinstellung das Wissen des Kranken
um das von ihm Vergessene hoch eingeschätzt und dabei kaum zwischen
unserem Wissen und dem seinigen unterschieden. Wir hielten es für
einen besonderen Glücksfall, wenn es gelang, Kunde von dem vergesse-
nen Kindheitstrauma von anderer Seite her zu bekommen, z. B. von
Eltern, Pflegepersonen oder dem Verführer selbst, wie es in einzelnen
Fillen móglich wurde, und beeilten uns, dem Kranken die Nachricht
und die Beweise für ihre Richtigkeit zur Kenntnis zu bringen in der
sicheren Erwartung, so Neurose und Behandlung zu einem schnellen
Ende zu führen. Es war eine schwere Enttäuschung, als der erwartete
Erfolg ausblieb. Wie konnte es nur zugehen, daß der Kranke, der jetzt
von seinem traumatischen Erlebnis wußte, sich doch benahm, als wisseS.
Weitere Ratschläge zur Technik der Psychoanalyse. 145
er nicht mehr davon als frither? Nicht einmal die Erinnerung an das
verdrängte Trauma wollte infolge der Mitteilung und Beschreibung des-
selben auftauchen.In einem bestimmten Falle hatte mir die Mutter eines hysterischen
Mädchens das homosexuelle Erlebnis verraten, dem auf die Fixierung
der Anfälle des Mädchens ein großer Einfluß zukam. Die Mutter hatte
die Szene selbst überrascht, die Kranke aber dieselbe völlig vergessen, ob-
wohl sie bereits den Jahren der Vorpubertät angehörte, Ich konnte nun
eine lehrreiche Erfahrung machen, Jedesmal, wenn ich die Erzählung
der Mutter vor dem Mädchen wiederholte, reagierte dieses mit einem
hysterischen Anfall, und nach diesem war die Mitteilung wieder ver-
gessen. Es war kein Zweifel, daß die Kranke den heftigsten Widerstand
gegen ein ihr aufgedrängtes Wissen äußerte; sie simulierte endlich Schwach-
sinn und vollen Gedächtnisverlust, um sich gegen meine Mitteilungen
zu schützen. So mußte man sich denn entschließen, dem Wissen an
sich die ihm vorgeschriebene Bedeutung zu entziehen und den Akzent
auf die Widerstände zu verlegen, welche das Nichtwissen seinerzeit ver-
ursacht hatten und jetzt noch bereit waren es zu verteidigen. Das
bewußte Wissen aber war gegen diese Widerstände, auch wenn es nicht
wieder ausgestofien wurde, ohnmichtig.Das befremdende Verhalten der Kranken, die ein bewußtes Wissen
mit dem Nichtwissen zu vereinigen verstehen, bleibt für die sogenannte
Normalpsychologie unerklärlich. Der Psychoanalyse bereitet es auf Grund
ihrer Anerkennung des Unbewußten keine Schwierigkeit; das beschrie-
bene Phänomen gehört aber zu den besten Stützen einer Auffassung,
welche sich die seelischen Vorgänge topisch differenziert näher bringt.
Die Kranken wissen nun von dem verdrängten Erlebnis in ihrem bewußten
Denken, aber diesem fehlt die Verbindung mit jener Stelle, an welcher
die verdrängte Erinnerung in irgend einer Art enthalten ist. Eine Ver-
änderung kann erst eintreten, wenn der bewußte Denkprozeß bis zu
dieser Stelle vorgedrungen ist und dort die Verdrängungswiderstände
überwunden hat. Es ist gerade so, als ob im Justizministerium ein Erlaß
verlautbart worden wäre, daß man jugendliche Vergehen in einer gewissen
milden Weise richten solle. Solange dieser Erlaß nicht zur Kenntnis der einzel-
nen Bezirksgerichte gelangt ist, oder für den Fall, daß die Bezirksrichter
nicht die Absicht haben, diesen Erlaß zu befolgen, vielmehr auf eigene
Hand judizieren, kann an der Behandlung der einzelnen jugendlichen
Delinquenten nichts geändert sein. Fügen wir noch zur Korrektur hinzu,
daß die bewußte Mitteilung des Verdrängten an den Kranken doch nicht
wirkungslos bleibt, Sie wird nicht die gewünschte Wirkung äußern,
den Symptomen ein Ende zu machen, sondern andere Folgen haben. Sie
wird zunächst Widerstände, dann aber, wenn deren Überwindung erfolgt
ist, einen Denkprozeß anregen, in dessen Ablauf sich endlich die erwar-
tete‘ Beeinflussung der unbewußten Erinnerung herstellt.Zeitschr, f. årztl. Psychoanalyse. 10
S.
146 Sigm. Freud.
Es ist jetzt an der Zeit eine Übersicht des Kräftespiels zu gewinnen,
welches wir durch die Behandlung in Gang bringen, Der nächste Motor
der Therapie ist das Leiden des Patienten und sein daraus entsprin-
gender Heilungswunsch, Von der Größe dieser Triebkraft zieht sich
mancherlei ab, was erst im Laufe der Analyse aufgedeckt wird, vor allem
der sogenannte sekundäre Krankheitsgewinn, aber die Triebkraft selbst
muß bis zum Ende der Behandlung erhalten bleiben; jede Besserung
ruft eine Verringerung derselben hervor: Für sich allein ist sie aber un-
fähig die Krankheit zu beseitigen; es fehlt ihr zweierlei dazu: sie kennt
die Wege nicht, die zu diesem Ende einzuschlagen sind, und sie bringt
die notwendigen Energiebetråge gegen die Widerstände nicht auf. Beiden
Mängeln hilft die analytische Behandlung ab. Die zur Überwindung der
Widerstände erforderten Affektgrößen stellt sie durch die Mobil-
machung der Energien bei, welche für die Übertragung bereit liegen;
durch die rechtzeitigen Mitteilungen zeigt sie dem Kranken die Wege,
auf welche er diese Energien leiten soll. Die Übertragung kann häufig
genug die Leidenssymptome allein beseitigen, aber dann nur voriiber-
gehend, solange sie eben selbst Bestand hat. Das ist dann eine Suggestiv-
behandlung, keine Psychoanalyse. Den letzteren Namen verdient die
Behandlung nur dann, wenn die Ubertragung ihre Intensitåt zur Uber-
windung der Widerstinde verwendet hat. Dann allein ist das Kranksein
unmöglich geworden, auch wenn die Übertragung wieder aufgelöst wor-
den ist, wie ihre Bestimmung es verlangt.Im Laufe der Behandlung wird noch ein anderes fórderndes Mo-
ment wachgerufen, das intellektuelle Interesse und Verständnis des
Kranken. Allein dies kommt gegen die anderen miteinander ringenden
Kräfte kaum in Betracht; es droht ihm beständig die Entwertung infolge
der Urteilstrübung, welche von den Widerständen ausgeht. Somit erüb-
rigen Übertragung und Unterweisung (durch Mitteilung) als die neuen
Kraftquellen, welche der Kranke dem Analytiker verdankt. Der Unter-
weisung bedient er sich aber nur, insofern er durch die Übertragung
dazu bewogen wird, und darum soll die erste Mitteilung abwarten, bis
sich eine starke NENA hergestellt hat, und fiigen wir hinzu, jede
spätere, bis die Störung der Übertragung durch die der Reihe nach
auftauchenden Ubertragungswiderstinde beseitigt ist.
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