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Geleitwort
von Prof. Dr. Sigm. Freud.
Als ich im jahre 1855 als Schiller Chnrcot’s in Paris weilte, zogen mich neben
den Vorlesungen des Meisters die Demonstrationen und Reden Brouardel’s am stärksten
an, der uns an dem Leichenmaterial der Morgue zu zeigen pflegte, wieviel es wissens-
wertes fiir den Arzt gäbe, wovon doch die Wissenschalt keine Notiz zu nehmen beliebte.
Als er einmal die Kennzeichen erörtertc, aus denen man Stand, Charakter und Herkunft
des namenlosen Leichnams ernten könne, hörte ich ihn sagen: les genous sales sont le
signe d'une lille honnéte. Er ließ die sehmutzigen Kniee Zeugnis ablegen ttlr die Tugend
des MadehenslDie Mitteilung. daß körpefliche Reinliehkeit sich weit eher mit der Sünde als mit
der Tugend vergesellsehalte, beschältigte mich oftmals später, als ich durch psychoana-
lytisehe Arbeit Einsicht in die Art gewann, wie sich dle Kulturmenscheu heute mit dem
Problem ihrer Leiblichkeit auseinanderselzen. Sie werden oflenbar durch alles genielt,
was allzu deutlich an die tierische Natur des Menschen mahnt. Sie wollen es den
,vollendeteren Engeln“ gleiehtun, die in der letzten Szene des Faust klagen:„Uns bleibt ein Erdenrest
zu tragen peinlich.und war“ er von Asbest.
er ist nicht reinlich“.Da sie aber von solcher Vollendung weit entfernt bleiben müßen, haben sie den
Ausweg gewählt, diesen unbequemen Erdenrest möglichst zu verleugnen, ihn vor einander
zu verbergen, obwohl ihn jeder vom anderen kennt, und ihm die Aufmerksamkeit und
Pflege zu entziehen, aul welche er als lntegrirender Bestandteil ihres Wesens ein Anrecht
hätte. Es wäre gewiß vorteilhalter gewesen, sich zu ihm zu bekennen und ihm soviel
Veredlung angedeihen zu lassen. als seine Natur gestattet.Es ist gar nicht einfach zu übersehen oder darzustellen, welche Folgen fiir die
Kultur diese Behandlung des „peinlichen Erdenrestes" mit sich gebracht hat, als dessen
Kem man die sexuellen und die exkrementellen Funktionen bezeichnen dert. Heben
wir nur die eine Folge hervor, die uns hier am nächsten angeht. daß es der Wissenschslt
versagt worden ist, sich mit diesen verpbnten Seiten des Menschenlebens zu heschttltigen,
so dal! derjenige, welcher diese Dinge studiert, als kaum weniger .,unanständig" gilt,
wie wer das Unnnständige wirklich tutImmerhin, Psychoanalyse und Folkloristik haben sich nicht abhalten lassen, auch
diese Verbote zu tlhertreten, und haben uns dann ellerlei lehren konnen, was fiir die
Kenntnis des Menschen unentbehrlich ist. Beschrlnken wir uns hier auf die ErmittelungenS.
über das Exkrementelle, so können wir als Hauptergebnis der psychoanalytischen Unter-
suchung mitteilen, daß das Menschenkind genbtigt ist, wiihrend seiner ersten Entwicklung
jene Wandluugen im Verhältnis des Menschen zum Exkrementellen zu wiederholen, welche
wahrscheinlich mit der Abhebung des Homo sapiens von der Mutter Erde ihren Anfang
genommen haben. ln Irtlhesten Kindheitjahl‘en ist von einem Sehämen wegen der
exkrementellen Funktionen, von einem Ekcl vor den Exkrementen noch keine Spur. Das
kleine Kind bringt diesen wie anderen Sekretiuncn seines Körpers ein groles Interesse
entgegen, beschäftigt sich gerne mit ihnen und weiß aus diesen Beschältigungen mannig-
inltigc Lust zu ziehen. Als Teile seines Körpers und als Leistungen seines Organismus
haben die Exkremente Anteil an der — von uns nerzißtiseh genannten — Hochschätzung,
mit der das Kind alles zu seiner Person gehnrige bedenkt. Das Kind ist etwa stolz aui
seine Ausscheidungen, verwendet sie im Dienste seiner Seibslbehauptung gegen die
Erwachsenen Unter dem Einfluß der Erziehung verfallen die koprophilen Triebe und
Neigungen des Kindes allmählich der Verdrängung; das Kind lernt sie geheim halten,
sich ihrer schämen und vor den Objekten derselben Ekel empfinden. Der Ekel geht
aber, streng genommen, nie so weit, daß er die eigenen Ausscheidungen träie, er begnügt
sich mit der Verwertung dieser Produkte, wenn sie von anderen stammen. Das Interesse,
das bisher den Exkrementen galt, wird auf andere Objekte übergeleilet, z. B, vom Kot
auis Geld, welches dem Rinde ja erst spät bedeutungvoll wird. Aus der Verdrängung der
koprophilen Neigungen entwickeln sich — oder verstärken sich — wichtige Beiträge zur
Charakterbildung.Die Psychoanalyse Iugt noch hinzu, daß das exkrementelle Interesse beim Kinde
anfänglich von den sexuellen Interessen nicht getrennt ist; die Scheidung zwisehen den
beiden tritt erst später auf, aber sie bleibt nur unvollkommcn; die ursprüngliche, durch
die Anatomie des menschlichen Körpers Iestgelegte Gemeinschaft schlägt noch beim nor-
malen Erwachsenen in vielen Stücken durch. Endlich darl nicht vergessen werden, daß
diese Entwicklungen ebensowenig wie irgend welche andere ein tudelioses Ergebnis lieiern
können; ein Stück der alten Vorliebe bleibt erhalten, ein Anteil der kuprophilen Neigungen
zeigt sich auch im späteren Leben wirksam und äußert sich in den Neurosen. Perversionen,
Unar1en, Gewohnheiten der Erwachsenen.Die Folkloristik hat ganz andere Wege der Forschung eingeschlagen und doch
dieselben Resultate wie die psychoanalytische Arbeit erreicht. Sie zeigt uns, wie unvoll-
kommen die Verdrängung der koprophilen Neigungen bei verschiedenen Völkern und zu
verschiedenen Zeiten ausgefallen ist, wie sehr sich die Behandlung der exkremenleiien
Starte aui anderen Kulturstuien der inlantilen Weise annahert. Sie beweist uns aber auch
die Fortdauer der primitiven, wahrhaft unausrottbaren, koprophilen Interessen, indem sie
zu unserem Erstaunen vor uns ausbreitet in welcher Fülle von Verwendungen in Zauber-
brauch, Volksitte, Kulmmdlung und Heilkunst die einstige Hochschätzung der mensch-
lichen Ausscheidungen sich neuen Ausdruck geschaffen hat. Auch die Beziehung dieses
Gebietes zum Sexualieben scheint durchweg erhalten zu sein. Mit dieser Förderung
unserer Einsichten ist eine Getahrdung unserer Sitltichkeit olienbar nicht verbunden.Das Meiste und Beste, was wir über die Rolle der Ausscheidungen im Leben
der Menschen wissen, ist in dem Suche von ]. G. Bourke „Seatologic Rites of all
Nations“ zusammengetragen. Es ist daher nicht nur ein mutiges, sondern auch ein ver-
dienstvolles Unternehmen, dieses Werk den deutschen Lesern zugänglich zu machen.
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