Beispiele des Verrats pathogener Phantasien bei Neurotikern.
I. Ich sah kürzlich einen etwa 20jährigen Kranken, der ein unverkennbares, auch von anderer Seite agnosziertes Bild einer Dementia praecox (Hebephrenie) bot. In den Anfangsstadien des Leidens hatte er periodischen Stimmungswechsel gezeigt, eine erhebliche Besserung erreicht und wurde in einem solchen günstigen Zustand von den Eltern aus der Anstalt geholt und durch etwa eine Woche zur Feier seiner vermeintlichen Herstellung mit allerlei Vergnügungen regaliert. An diese Festwoche schloss sich die Verschlimmerung unmittelbar an. In die Anstalt zurückgebracht, erzählte er, der konsultierende Arzt habe ihm den Rat gegeben, „mit seiner Mutter etwas zu kokettieren“. Es ist nicht zweifelhaft, dass er in dieser wahnhaften Erinnerungstäuschung der Erregung Ausdruck gegeben, welche durch das Beisammensein mit der Mutter in ihm hervorgerufen wurde, und die der nächste Anlass seiner Verschlimmerung war.
II. Vor länger als zehn Jahren, zu einer Zeit, da die Ergebnisse und Voraussetzungen der Psychoanalyse nur wenigen Personen vertraut waren, wurde mir von verlässlicher Seite folgender Vorfall berichtet. Ein junges Mädchen, Tochter eines Arztes, war an Hysterie mit lokalen Symptomen erkrankt; der Vater verleugnete die Hysterie und liess verschiedene somatische Behandlungen einleiten, die wenig Nutzen brachten. Eine Freundin stellte einmal an die Kranke die Frage: Haben Sie denn noch nie daran gedacht, den Dr. F. zu Rate zu ziehen? Darauf antwortete die Kranke: Wozu sollte ich das tun? Ich weiss ja, er würde mich fragen: Haben Sie schon die Idee gehabt, mit Ihrem Vater geschlechtlich zu verkehren? – Ich halte es für überflüssig, ausdrücklich zu versichern, daß ich eine solche Fragestellung weder damals geübt habe noch heute übe. Man wird aber aufmerksam darauf, dass gerade vieles, was die Patienten als Äusserungen oder Handlungen der Ärzte erzählen, als Verrat ihrer eigenen pathogenen Phantasien verstanden werden darf.
Dr. Sigm. Freud.