S.
12. Sitzung
am 8. Januar 1913.
Beispiel von Libidoverschiebung in der Kur.
Von Dr. Paul Federn.
Die Libidoverschiebung in der Kur ist ein Ausgleich jener fal-
scher Libidoverschiebung, die in der Entstehung der Krankheit stattgefun
den hat.-Es handelt sich um einen Fall von Asthma bronchiale, das bis auf
das 7 1/2 Lebensjahr zurückgeht und ein Jahr nach einer schweren Per
tussis (6 1/2. Jahr) auftrat. Pat. hatte in der Kindheit keine schädlichen
Einflüsse erfahren. Sein Sexualinteresse wurde in der Kindheit vom Ge
ruchsinn geleitet und diese Prädisposition seiner Ruachsphäre kommt
für die Lokalisation seiner Neurose als Asthma sehr in Betracht. Auch
hängt damit seine Eigenschaft als Stimmungsmensch (sentir, spüren) eng
zusammen. Auch hatte er als Kind kopro-und urolage Interesse, sowie
Interesse fürs Genitale, insbesondere bei der Mutter, an der er mit Lie
be und Zärtlichkeit hing. Im 7. Jahre wurde er von der Mutter über die
Geburt aufgeklärt, im 9. Jahr erfuhr das Wesentliche über das Sexual-
leben. Da wollte er, ganz bewusst und ohne jede Abwehr mit der Mutter
ein Kind bekommen. Pat. war sich überhaupt von jeher seiner Perversionen
und der Insekteinstellung vollkommen bewusst, hatte also scheinbar
nichts verdrängt. Er hat auch alle Perversionen ausgeübt, bes. Cumilin
gus, und hat viele Insetträume. Im 10. Lebensjahr kam eine Schwester
zur Welt.Nach der Pertassio, die mit dem Asthma nicht in aetiologischem
Zusammenhang steht, wurde er noch mehr versärtelt und bekam ein Jahr
später den ersten Asthmaanfall, als er von der Mutter getrennt wurde
und mit den Grossältern wegfuhr. Im Laufe der Analyse hatte er Asthma
Andeutungen und charakteristisch dafür war eine Asthmastimmung. Zur
Asthmaseinstellung gehörte ein Wunsch, der ihm nicht erfüllt wurde, dan
eine Furcht, dass jemand zuschauen könnte (Mutter) und das Gefühl: man
soll mir helfen. Alles deutet auf die Unglückstimmung eines Kindes.S.
Es werden nun die Bedingungen(spezielle) für die Asthmanfälle
Buch
besprochen, die vornehmlich von der Raxsphäre bestimmt sind (Geruchs-
eindrücke, die mit Stimmungen und Personen zusammenhängen aber auch
Andeutungen gewisser Krankheiten (Tuberkulose, Karzinom etz.) oder Zu-
sammenschlafen mit anderen Personen ets. Alle diese Bedingungen lasse
sich auf bestimmte Kindheitseindrücke zurückführen. Auch die atmos-
phärischen und kosmologischen Bedingungen erwiesen sich als Symbole
für libidinos betonte Erlebnisse und Gedanken. Das gleiche gilt von
der Eisenbahnfahrt, die schon dem ersten Anfall vorausgegangen war,
und die so dele Anlässe sur Rationalisierung bietet. Auch bestimmtes
Lachen und Laufen, das bes.bis in die Kindheit zurückreichende Charak-
teristika aufweist, provoziert Asthma.-Allgemeine Wurzeln sind Dinge,
die man als Minderwertigkeitsgefühl, als unterdrückten männlichen Pro-
test etz. bezeichnen kann.Pat? hat typische Asthma träume, die den ang
führten Ursachen seines Leidens entsprechen.
Wieso kommt es nun, dass ein Mensch, der alle Perversionen ausübt,
sich der Insesteinstellung bewusst ist trotzdem an Neurose erkrankt?
Zum einzelnen Anfall kommt es dadurch, dass sich der Pat.gegen einem
unerfüllten unsch, der in die Kindheit surückreicht, night mit dem
Realitätsprinzip sondern mit dem Lust-Unlustprinzip einstellt. So komt
er in die Unluststimmung des Kindes, die eine Art von Ohnmacht und Ver
sweiflung ist. Von dieser Unlust will er loskommen und es erfolgt das,
was Freud als Nachverdrängung bezeichnet. Im Bewusstsein tritt je-
nachdem Verzweiflung oder Tröstung auf, im Unbewussten erfolgt auf die
Anregung des alten Wunsches die Reaktion, die in der Kindheit entstan-
den ist. Das Asthma in der Kindheit entstand auf folgende Weise: Das
Kind hatte intensive Wünsche nach der Mutter. Dann wurde er von den
Grosseltern mitgenommen, fühlte sich in der Nacht allein, sehnt sich
nach der Mutter und bekommt den ersten Anfall. Das Asthma ist ein
Schrei (nach der Mutter)bis zum Atemverlust, ein hilfloser Kinderschre 1
Das Asthma läuft hinaus auf die Erfüllung des Wunsches sur Mutter su-
rückzukommen. Auch der Cunnilingus dürfte sich als Wunsch zur Mutter hi
nein su kommen (umgekehrte Geburt)erklären. Der Cunnilingus nimmt das
Organ vom Mund, das Objekt von der Ruchsphäre und das Ziel vom Penis
(nämlich in die Vagina hinein zu kommen.Bevor das Kind etwas vom Ge-
nitale wusste, war es an die Mutter durch die Mund-und Ruchsphäre
S.
Die Penissexualität vermochte unter diesen Umständen zunächst nur
die Mund-und Buchsexualität zu verstärken. Es ist dies ein Fall von
Verschiebung nach oben, nicht um das Grobsexuelle zu verdrängen, son
dern durch Attraktion von Seiten dieser übermässig prävalierenden ero
genen Zonen. Deshalb kam beim Zusammenbruch ein Symptom zustande, das
an die Munderotik geknüpft war.Um zur Liebe zu gelangen muss der Mensch das Lustprinzip an der
Penissexualitat walten lassen. Der Pat. hat sein Lustprinzip ganz fi
ziert gehabt: Dadurch kam er in die Unglückstimmung mit allen ihren
Folgen. Deshalb auch konnte er die Sexualität frei haben, aber nicht
die Liebe. Das Asthma ist schon der Misserfolg seiner Anwendung des Lusten
prinzips.Wie wird nun die Libido durch die Kur verschoben oder was ändert
die Kur am Menschen?1. Die Kur hat die auslösenden Momente dem Bewusstsein zugeführt.
2. Wo der Pat. fehlerhaft und zu seinem Schaden das Einsetzen der
Lustreaktion gestattet, ihn lehrt nach dem Realitätsprinzip zu arbeiten.3. Die unbewussten Vorgange, die zum Asthma führen, bewusst gemacht
Dadurch kann die Verschiebung der Libido von der Mundzone auf die
Genitalsone rückgängig gemacht werden. Und mit dieser Rückverschie
bung wurde es dem Pat. auch möglich, das Objekt zu verändern, an das er
mit dieser Verschiebung gebunden war: er kam von der Mutter los.D I S K U S S I O N
Sadger findet in dem Vortr. ein paar glänzende Worte, gute Beobachtun
gen und einige Unklarheiten. Das Lustprinzip sei zu kurz gekommen.
Der Fall selbst habe einige Merkwürdigkeiten: So die bes. Beziehung
zur Eigenheit, die Rache in seinem Geiste, im Fall. Ferner den Zu
sammenhang mit dem Geruchsinn und der Munderotik. Es wäre interes
sant zu untersuchen, welche Fälle von der Nase heilbar sind und welche
diese Behandlung gar nicht nützt. Sadger findet noch: Grogeinheit in
der Krankkeit und der Furcht, auch der Angst auf Verdrängung ist auf
fällig. Dieses Asthma könne man nicht als hysterisch bezeichnen.-
Totemismus und Asthma kommt, wie auch der Vortr.erwähnte, selten bei
sammen vor.
Teusk: weist zur Frage, ob der "man verdrängt" hat oder nicht, dass er
ausdrücklich alles verdrängte hatte was die Mutter betrifft. Es ist je
de facto nichts getan habe, was er eigentlich tun wollte. Die einzel
nen Affekte und ihre Schicksale sind das Wichtige, nicht die Libido
im Allgemeinen, wie Teusk meinte.
Prof. Freud betont, dass der Vortr.ein Stück tiefer in die Hysterie-
lehre eingegangen sei, was die heute eigentlich bestehe und dass sich
daraus alle Vorgange und Fehler der Darstellung erklären. Bei der Hy
sterie sich über das organtische Sexualverhältnis zwingen einen Wegm
dem Hy. Symptom konstituieren, ist nicht da, dass der Mensch sein Geni
tele durch ein anderes ebengenitale ersetzt hat (das in der Regel
in der Kindheit erogenen Bedeutung hat); Die Disposition der Hy. ist
noch nicht studiert; wahrscheinlich liegt sie in jenem Stadium, woS.
die Unterordnung unter das Primat der Genitalsone zustande kommen soll
te. Bei der Hy. handelt es sich nicht um eine Rückbildung der Sexuali
tät, sondern die Triebe haben sich unter einem andern Primat neu an
geordnet. Es kommt dabei eigentlich nur die perversen Anlagen an. In
diesem Falle würde Federn's Beispiel an Bedeutung bekommen und das
Regelhafte der Verdrängung erklären .Die Schluppe bei der Neurose re
duziert sich auf die organische Verdrängung, d.h. die organische Fi
xierung; alles übrige bei der Hy. ist Nachverdrängung, aber erst diese
scheinbaren Ausnahmen ergeben die Bestätigung für die Lehre.
Teusk ist mit seinem Einwand der Schwierigkeit nicht ausgewi
chen. Bei jeder Hy. gibt es das Moment der Opposition zwischen den
Bewussten und Unbewussten. Gemeint: Das Wesentliche liegt darin, dass de
Pat.oszillieren kann. Offenbar muss der Mensch vorher eine Konstitu
tionelle Verdrängung haben, von der die Gs. selbst ausgeht.
Federn's Fall ist eigentlich streng nicht zur Hy. zu rechnen. Diese
Fälle haben bes. Prädispositionelle Bedingungen. Das ist ergänzende
Triebe sind auf der Or. So angeb. aber sind ihr getrennt worden. Die
erogenen Organbetonungen überwältigen den psychische Mechanismen
und zwingen die Triebe sich dem organische Moment zu fügen. Diese
Neurosen unterscheiden sich von der gewöhnlichen Hy. dadurch, dass sie
nicht die Verdrängung repräsentieren, sondern den Infantilisus.Federn erwähnt in seinem Schlusswort unter anderm, dass das Primat der
Mundzone in dem Fall möglich wurde, da die Pause zwischen der stur
ben Mundlichen Munderotik und die Genitalerotik nicht vorhanden war.
In dem Symptom kommt der Wunsch und ein Stück der Reaktion darauf,
mit hinzu.Prof. Freud schlägt vor, diese Fälle als Fixierungs Hy. zu bezeichnen.
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12. Sitzung am 8. Januar 1913. Beispiel von Libidoverschiebung in der Kur
1913-501
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