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21. S i t z u n g
am 12. März 1913.
D A S V A T E R P R O B L E M.
Dr. T A U S K.Der Vortragende setzt die Kenntnis des Vaterkomplexes als Vehikel
und Inhalt der Neurose voraus und stellt sich die Aufgabe, die für die
Neurosenbildung bestimmenden Faktoren im Leben des einzelnen als Fakto-
ren der Gesellschaftsbildung und des gesellschaftlichen Lebens zu
betrachten.-Dabei muss das Vaterproblem notwendiger Weise künstlich
isoliert werden.Nicht für alle Kulturen kommt der Vater als Machtfaktor in Be-
tracht. Es wird zunächst die Institution des Matriarchats besprochen,
die Bachofen aus rechtlichen, religiösen, mythologischen Quellen, aus
Kult, Symbolik und Sitte ausgegraben habe. - Die Institution des Patri-
archats sei dem direkt kontrar, was am Beispiel des römischen Patri-
archats gezeigt wird, als Widerspruch gegen die Machtfülle des Vaters
findet sich dort die Inzestschranke der eigenen Tochter gegenüber,
während der Vater über Leben und Freiheit der Kinder verfügen konnte.
Bei den Ich-trieben und dem Sadismus ist die Triebbetätigung ohne Rück-
sicht auf das Objekt verboten: hier wird das Objekt verboten.-Der Va-
ter, der früher das Recht auf alle Frauen des Hauses hatte, musste ein-
mal freiwillig auf die Tochter verzichtet haben. Biologisch ergibt sich
der Gesichtspunkt, dass der Inzest für die Art destruktiv war. Aber
auch wo dies nicht der Fall war, wurde mit der Absonderung kleinerer
Rudel und Aufhebung der Brunst das Inzestverbot notwendig.-Das Resul-
tat war die Botmässigkeit des Weibes und der Ausschluss des Sohnes
von diesen Frauen. Es sei auch möglich, dass die erste Inzestschranke
ein sadomistisches Verbot war.
Die Sozietät ruht auf der Existenz des Vaters und deswegen war
der Vatermord verboten, während der Sohnesmord zum Schutze des Vater-
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-2-
lichen Rechts erlaubt war. Später wird die Tötung des Sohnes eingeschr
auf Kastration (Rest Beschneidung). Nach dem Verzicht des Vaters auf
den Tochterinzest bleibt ihm das Recht ihr den Mann zu wählen, also
doch eine Art Verfügung über ihr Genital. Der Vater garantiert dann
dem Schwiegersohn die Virginität der Tochter, d.h., dass er sie nicht
gebraucht habe: so geht das Virginitätsideal aus dem Inzestverbot her-
vor.Bis jetzt wurde gezeigt wie die Gesellschaftsbildung durch den
Vater konstelliert wurde; es bleibt zu zeigen, was der einzelne für
Schicksale in der patriarchalischen Familie hat. Der Sohn hat zum Vater
eine ambivalente Einstellung von Liebe und Hass. Dieser hat zwei Wur-
zeln: Auflehnung gegen die Beschränkungen (dieser Hass bleibt nach Ver-
schiebung bewusst und erlaubt), der Motor dieses Hasses ist die Liebe
zur Mutter, der die Objektwahl des Sohnes zur Folge hat. Die zweite
Wurzel stammt aus der ambivalentem Homosexualität: daraus folgt Ueber-
windung des Vaters. Die homosexuelle Liebe bewirkt die Einführung Got-
tes, wodurch der gehasste Vater unpersönlich gemacht wird, anderseits
die Identifikation mit dem Vater erfolgen kann.-Durch Objektverschie-
bung der Liebe vom Vater entsteht die Freundschaft und weiterhin die
Sozietät. Auch die Ambivalenz selbst hat bestimmte Folgen in der Kultur
(Forschung, Skepsis, Arbeit ets).Schliesslich wird der Vaterkomplex in der Neurose kurz bespro-
chen und darauf hingewiesen, wie einerseits der unbewusste Vaterhass
die Sublimierung hindert, anderseits die homosexuelle Fixierung das
Liebesleben stört. Der Vortr. streift dabei das Problem der Erstgeburt,
der Nachfolgeschaft, und das der Disposition der Juden zur Neurose.'er Vater hat die Kultur geschaffen. Die Sozietät ruht auf dem
Vaterkomplex, der so weit reicht als die Homosexualität. Er ist die
Form, in der sich die Homos. ausleben kann und in die sie sich fügen
muss. Ein grosser Mann ist der, der den Vater überwunden hat. Der Narzis-
mus steht insofern mit dem Vaterkomplex in Zusammenhang als die Be-
freiung des Sohnes von einer gelungenen Identifizierung mit dem Va-
ter ausgeht.S.
D I S K U S S I O N
Dr. Sachs macht zunächst den formellen Einwand, dass das gestell-
te Thema Gesellschaft und Neurose nicht behandelt worden sei
inhaltlich nicht berührt worden. Das Mutterrecht sei sehr hypothetisch
sei und sich zur Basis einer Untersuchung kaum eigne. Ausserdem liefere
die Psychoanalyse keine Geschichte, das heisst, die Psychoanalyse
nicht ganz historisch: Reiksten bestehen müssen, sondern Wunschmaterial
darstellen können. Ebenso sei es gefährlich, die Zustände des alten Rom
heranzuziehen, die freiwilligen Verzicht nur der Tochter sei sehr un-
wahrscheinlich. Auch die Frage, ob die Rasse durch den Inzest geschä-
digt werde, sei noch nicht eindeutig bewiesen.
Federn bemerkt, dass die Ausführungen nur als Einleitung zur spä-
ren Ausarbeitung des Themas zu verstehen seien.
Die Dichterische Erzeugung muss durch die nachgewiesene (die Tier-
züchtung) konnte dabei nicht in Betracht, weil sie da nicht um Züchtung
bestimmter Eigenschaften, aber nicht Rücksicht auf die allgemeinen Verhältnisse.
Die Entstehungsart des Inzestverbotes habe der Vortrag nicht aufgeklärt.
Der Inzest selbst kann erst in Betracht kommen, wenn die matriarchali-
sche Familie eingeführt ist. Dass das Zwangneurose auf den Vater- und
Männer muss eingeführt worden sei, ist unwahrscheinlich; eher das Vorge-
kehrte. Der starke Vaterkomplex allein könne die Disposition zur Umbilung
der Hemmung nicht erklären. Die Inzest selbst sei bei Männern gewöhn-
lich stark ausgeprägt, die relativ selten an Neurose erkranken.Rank findet auch, dass die Sachs nicht scharf sei, dass man hät-
te eben gezeigt, warum müssen sich die Neurosen, mit dem Vaterkomplex
des einzelnen mit seinen sozialen und asozialen Folgen (Attentate ets)
der gesellschaftlichen Neurose in der Uebertragung nachweisen, man gebe
aber nur Kulturegeschichte gegeben und die Neurose bei dieser an-
statt sich auf zweieinander in Beziehung zu bringen, wie es das Thema
verlange.Der freiwillige Verzicht des Vaters auf der Tochterinzest sei
höchst unwahrscheinlich, aus dem Mystizismus des Gesetzes zum Narzissmus
und dass der Töchter vom Vater davon gelaufen sei.-Die destruktive
Wirkung des Inzests auf die Rasse sei keiner Weise nachgewiesen.
Hitschmann meint, die Zwangneurosen, die er bei Tausk erörtere, nur die
Inzestschranke sehr richtig. Bei der Virginitätforderung handle es
sich-Wie bei jedem Aberglauben darum, ob er allein als solche bedeu-
tet, nicht, kann die ganze Menschheit daran zugrunde gehen müssen.
Weiss möchte eine Begründung des Vaterverzichts auf die Tochter
darin finden, dass er ausser eigenen Söhne anderer Väter in Anspruch
auf die fremden Töchter erhoben.Hitschmann findet, dass Tausk sich einer Verwachsung des Themas
schuldig gemacht habe. Sein Vortrag habe mit Neurose und Vaterkomplex
wenig Zusammenhang.Friedjung macht darauf aufmerksam, dass sich die Forderung der
Virignität im gesellschaftlicher Sinn nur auf kleinen Teil
der Bevölkerung beschränke. Vielleicht wäre dieser Seite vom "utter-
promem" näher zu kommen.Freud will auf die Bemühung "Weiss" durch die Institution des Frau
enraubt die Sexualität stützen zu können. Der schwache alte Vater wurde von
den Söhnen erschlagen, was vielleicht ein Motiv des Verzichts gewesen
sein kann.Freud findet auch, der Vortrag hat nicht das gegeben, was gefordert
war, nämlich wie die Neurose auf den Vaterkomplex ruht und wie die
so entstandene Neurose dann auf die Gesellschaft wirkt.
Zwei Glock finden sich für den Auftakt, aber das ist nichts gesagt
über den Verzicht auf das Matriarchats auf Familie und über die Entste-
hung des Inzestverbotes, worüber sich auch nichts sagen lässt. Die bio-
logische Deutung sei nur die, dass der Inzest nicht einfach verstanden
sein kann, weil wir nachzuweisen wie die biologische Tendenz sich in
der Psychologie durchgesetzt hat. Mit der Erkenntnis einer Gegenzei-
nung, hinweg zu gelangen, sei in der Traum die Erlaubnis dazu, er für
hochzivilisierte Völker ein heilliges Vorrecht und Gesetz war.-Oh-
cher kann sich auch sagen, dass die Inzestverbote älter als das Ehe-
leben.-Das Problem der Virignität im Zusammenhang mit dem Vaterrecht
wäre einer selbständigen Behandlung wert.-Ueber die Beziehung zum
Narzissmus zum Inzest und Vater wurde Freud selbst binnen kurzem
sprachen.
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21. Sitzung am 12. März 1913. Das Vaterproblem. Dr. Tausk
1913-510/1913
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