4. Sitzung am 30. Oktober 1912. Professor Freud: Eine kasuistische Mitteilung mit polemischen Bemerkungen 1912-524/1912
  • S.


    4. S i t z u n g
    am 30.Oktober 1912.


    Professor Freud:Eine kasuistische Mitteilung mit polemischen
    Bemerkungen.

    Es handelt sich um eine 23jährige verheiratete Dame,die als Mädchen
    völlig gesund war,nach der Ehe aber an Zuständen zorniger Erregtheit
    mit Verworrenheit und schliesslicher Amnesie litt(auf der Höhe des Zu
    standes Selbstmordimpuls).Nach der Geburt stellten sich an Stelle dieser
    Anfälle Müdigkeit und Depressionen ein.Mit ihrem Vater stand sie immer
    gut,mit der Mutter sehr schlecht,das Verhältnis zum Bruder hat nichts
    besonderes.Von Kindheitsmaterialien kam nur zutage,dass sie im Alter
    von 6 bis 7 Jahren mit dem Bruder zu warten pflegte,was die Eltern am
    Abend machen würden;ferner dass ein Kindermädchen im Elternhause ein
    Verhältnis mit einem Arzte hatte und ein Kind bekam.

    Nach 4monatiger Behandlung brachte sie einen Traum,der das Wesentli
    che der Kindergeschichte und der Neurose erklärte,wenn man ihn nicht blo
    symbolisch zu deuten versuchte,sondern die Einfaelle der Pat.zu Hilfe
    nahm.

    Es stellt sich neben Verführung durch den Bruder heraus,dass sie
    in der Kindheit ein Bub sein wollte.Jektzt ein Mann sein will,was also
    ein Fall von männlichem Protest zu sein scheint,sich uns aber anders
    darstellt.Auch bei Mädchen spielt nämlich der Kastrationskomplex eine
    Rolle,indem es gleichsam schon kastriert auf die Welt komme.Beim Mäd
    chen entwickelt sich so statt der Penisangst(beim Knaben)der Penisneid
    und es ist charakteristisch,dass sich diese Regungen immer an sexuelle
    Betätigungen knüpfen.Besonders spricht gegen Adlers Auffassung von der
    Durchgängigkeit des männlichen Protestes,dass es Fälle gibt,wo sich
    keine Spur von diesem Penisneid findet.So erkrankt z.B.eine andere Pat.
    mit 4 Schwestern als sie erfährt,dass sie kein Kind bekommen kann;sie
    wollte nämlich ein Kind vom Vater:das ist ein Fall von (rein weiblicher

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  • S.

    Kindermeid (auf die Mutter).

    Die Beziehungen der Regungen zum Oedipuskomplex scheinen die
    zu sein,dass sich diese Verhältnisse wahrscheinlich überall vollziehen,
    dass sie aber erst pathogen werden,indem sie in den Kernkomplex einmünden.
    Beim Knaben nimmt dann die Feindseligkeit gegen den Vater die (wirklich
    vorgestellt oder blosse phantasierte)Kastrationdohung zum Vorwand.Beim
    Mädchen begründet sich der Hass gegen die Mutter durch den Penisneid:die
    Mutter ist schuld,dass sie als Mädchen zur Welt gekommen ist.
    Adlers Auffassung stimmt selbst auf seinem eigenen Boden nur für das Weib.
    Beim Knaben entwickelt sich infolge des Kastrationskomplexes fass regel-
    mässig die Wunschregung ein Weib zu sein.

    Es fragt sich weiter,was das Kind aus dem Kastrationskomplex macht.
    Der Knabe wird eingeschüchtert und trotzig,das Mädchen fühlt sich unge
    recht behandelt und gerät in Wut:so leiten sich die Adlerschen Spielkräfte
    aus dem tiefer liegenden Kastrationskomplex ab.Auch die Lehre von der
    Minderwertigkeit bezieht sich auf den Penis;das Mädchen fühlt seine Kli
    toris minderwertig und der Knabe fühlt seinen Penis zu klein gegenüber
    den Erwachsenen.Daraus kann sich ein allgemeines Gefühl der Minderwertig
    keit entwickeln.Als Schutzmittel dagegen hat das Kind die narzistische
    Selbstüberschätzung,die es hindert,das Infantilo als minderwertig zu em
    pfinden.Das Gefühl der Minderwertigkeit beim Neurotiker kommt später zu
    stande und ist ein komplizierter Schluss aus allgemeinen Wahrnehmungen.
    Der Zweifel kommt von keinem primären Zweifel her,sondern ist die Reak
    tion auf die Wahrnehmung der Ambivalenz,wie das Gefühl der Minderwertig
    keit die Reaktion ist auf das Gefühl der inneren Hemmungen.

    In den Neurosen der Frauen,die über ihre Männer klagen,lassen sich
    zwei Schichten unterscheiden:das Verhältnis zur Mutter und das zum Manne.
    Wenn sie den Mann nach dem Vorbild des Vaters,Bruders oder auch nach sich
    selbst gewählt haben,so verschieben sie,wenn sie sich mit dem Manne ent
    zweit haben,die ursprünglich der Mutter geltendem Gefühle auf ihn.


    D I S K U S S I O N .

    Federn meint,das Blindarmsymptom im Traume sei eher als Schwangerschaft
    symptom aufzufassen.Es sei zweifellos, dass in den Adlerschen Symptomen
    die Libido auf den Penis sublimiert erscheine.Den Penisneid der Mädchen
    möchte er nicht auf einem ererbten Kastrationskomplex zurückführen, sondern

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  • S.

    auf die Identifizierung.Die Minderwertigkeit führt Adler selbst zum
    grössten Teil auf die M.der Sexualorgane zurück:die M/muss sich aber
    nicht auf einen kleinen Penis beziehen.Sie wird sich vielleicht bei
    solchen Kindern früher entwicklen,welche nicht durch ausreichenden
    Narzissmus geschützt sind.-Die weibliche Einstellung beim Manne erklärt
    Adler innerhalb seines Systems ganz folgerichtig daraus,dass das Indi
    viduum einsieht,es könne mit der männlichen Einstellung nicht ans Ziel
    gelangen.

    Tausk.Adler hat das M.so aufgefasst als wäre es die psychische Repräsen
    tanz eines somatischen Zustandes:ersitz wieder den männlichen Pro
    test auf einem psychisches(eine Reaktion)begründet.auf einer höheren
    Kulturstufe seien seine Allgem.Bemerkungen ungemeinplatz e.

    Den Kastrationskomplex verraten die Erfahrung des Redners nach:
    1.die Anästhesie des Penis beim Koitus und dieser Exhibitionismus.Ein
    Pat.muss z.B.so koitieren,dass er seinen eigenen Koitus beobachten kann.
    Die Polyurie erwies sich als der Wunsch zu sehen,dass man noch einen
    Penis habe.

    Dattner.bemerkt zur Traumsymbolik,dass sie prinzipiell auch gelingen müsse
    und ihm auch bereits gelungen sei,zu den Symbolen Einfaelle zu bekommen
    und sie so zu verifizieren.Es sei interessant,dass zuerst die konstituti
    ven Merkmale des Symbols angegeben wurden,während die akzidentellen aus
    gelassen werden.

    Rosenstein wirft die Frage auf,wieso der Penisneid entstehe?er begründen
    türe für das Individuum beim Sexualneid sondern gehe in letzter Linie
    auf den Ichtrieb zurück.-Die von Adler behauptete Identifikation von
    Minderwertigkeitsgefühl und Weiblichkeit habe er nicht bestätigen können.
    Weiss meint,der Neid wäre vielleicht so zu erklären,dass ihm die Vorstel
    lung,der Bruder ist dem Vater ähnlicher,vorangeht.

    Freud betont,dass die Beziehungen des Kastrationskomplexes zur Neurose
    und Charakterbildung noch zu untersuchen seien.-Das Mädchen wünscht den
    Penis,wenn es bei einem andern Wesen ein mächtiges Organ sieht,dessen
    Besitz ihm wertvoll erscheint.Der Sexualneid hat sein Nachspiel in späte
    ren Jahren,wo das Mädchen die Mutter um die vollen Formen beneidet.Der
    Sexualneid ist ein persistierender und da entfällt ja die Scheidung zwisch
    Ich-und Sexualtrieben.

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