Protokoll der 12. Sitzung am 21. Dezember 1910. Isidor Sadger: Über sexualsymbolischen Kopfschmerz 1910-533/1910
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    PROTOKOLL
    der
    12. S I T Z U N G
    am 21.Dezember 1910.
     

    Dr.J. S A D G E R
    Über sexualsymbolischen Kopfschmerz.

     

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    Geschäftliche Sitzung:
    Frau Dr.Hilferding hat infolge Ablehens ihrer Schwester
    den heutigen Vortrag abgesagt und Herr Dr.Sadger hat sich bereit
    erklärt mit einem Vortrag einzuspringen.
    Die Abstimmung über die Aufnahme des Herrn stud.med.Erwin
    Wechsberg wird auf Antrag des Obmannes vorläufig von der Tagesord-
    nung abgesetzt,da sich Stimmen gegen die Aufnahme Junger Leute er-
    hoben haben,von denen weder eine positive Leistung vorliegt noch
    genügende Gewähr,dass sie in der Psychoanalyse schon sicher sind
    (Fettern).
    Die nächste Sitzung findet am 4.Januar 1911 statt.
    Raitler berichtigt eine Angabe,die er in der letzten Sitzung
    bezüglich einer Tatsache,bei der nichts auf eine vorangegangene
    Oanale hindeute.Dieser Lage habe sie nun eine Deckerierung er-
    zählt, nach deren Deutung sich diese Behauptung nicht mehr aufrecht-
    erhalten lasse.


    Vortrag:
    Federn schaltet aus seinen Betrachtungen jeden irgendwie orga-
    nisch oder chemisch bedingten Kopfschmerz aus und beschränkt sich
    auf jenen,übrigens ziemlich häufigen Kopfschmerzen,den die Neurologen
    den geringeren Teil der Neurasthenie und Hysterie event.auch der
    traumatischen Neurose zurechnen, überwiegend jedoch Cephalaea oder
    habituellen Kopfschmerz nennen,der keiner weiteren Deutung mehr fä-
    hig ist.
    Aus der Analyse einer Reihe von solchen Kopfschmerzformen er-
    gab sich,dass solcher Kopfschmerz eine Erfüllung sexueller Wünsche
    darstellt; ferner dass sich hinter den erotischen Wünschen der Ge-
    genwart die ähnlichen Sexualerinnerungen der Kindheit verbergen
    und endlich dass dabei eine Verschiebung von Genitalien und Rates
    zum Kopfe stattgefunden hat.
    Aus einer Anzahl von Analysen liess sich folgende typische
    Kopfschmerzsymbolik erkennen:"Bohrender" oder "stechender"Kopf-

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    schmerz bedeutet den "eschlechtsart oder Einbohren des Fingers in
    die Vagina, "Leere in Hopfe "entspricht den Sustend nach den Heraus-
    ziehen; "reissender "Kopfschmerz, soweit er nicht rheumatisch ist,
    geht wie der ziehende in der Regel auf Manipulationen anm äusseren
    Genitale zurück. Der Zopfschmerz bei Frauen ist häufig Deflorations-
    symbol oder wenn er krampfartig ist Entbindungsphantasie und Wunsch
    nach den Kinds.Beltener st die Vorstellung, dass in Kopfe"etwas aus-
    einandergehe" dem Oeffnen der genitalien entsprechend. Der Zopf-
    druck"ist, je nachdem ob er von aussen nach imen oder umgekehrt
    presst,entweder wiederbelebung des opfabdrückens und ähnlicher
    Burtlichkeiten von Seiten geliebter Fersonen in der Kindheit oder
    im zweiten Falle auf die Analerotik und De fakationslust zurückz-
    führen.Es können aber auch mehrere dieser Kopfschmerzarten mitein-
    ander kombiniert sein.

    Die ausgiebige Verwendung des Schädels zur Darstellung der
    Sexualsymbolik hat mehrere Gründe. Vor allem wird durch eine solche
    Verlegung von der etwas anrüchigen Körpermitte an die scheinbar gen
    unsinnliche Peripherie den Forderungen der Zesur vollauf genüge ge-
    leistet .Ferner dient es den Zwecken der Verdichtung, dass man am
    Schädel mehrere Sexualphantasien zugleich darstellen kann. Auch
    Form(Aehnlichkeit mit den Hinterbacken )und Name (Peniskopf) verlok-
    ken sehr leicht zu einer Gleichstellung.Jndlich kann man am Zopfe
    auch gewisse Begleitsymptome des sexuellen Tun (Rötung, Hitze, Schwei
    ausbruch) sehr gut darstellen.

    Ausserdem aber scheint der Kopf als solcher sine prädisponier-
    to erogene Zone zu sein, die bei vielen Menschen konstitutionell
    erheblich verstärkt ist. Pleibt sie das einzige Symptom, so sprechen
    wir von einer Cephalaea, nervösen oder habituellen Kopfschmerzen. Sie
    kann aber auch hysterisch fixiert, von einer traumatischen Tetrose,
    einer Migraine, oder sonst einer org nischen oder chomischen $ö-
    rung, die zu Kopfschmerz führt, als Anknüpfungspunkt benützt werden.
    Auch die isolierte Cephalaea erweist sich regelmässig als mit sexu-
    ellem Inhalt gefüllt, wie häufig auch ein aus organischen oder toxi-

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    schen edingungen erzeugter Kopfschmerz. Diese Speisung aus fort-
    dauernden Partisatricten heraus bedingt die Faehigkeit solcher Kopf-
    schmerzen, ihre Resistenz gegen alle therapeutischen Massnahmen, er-
    klaert aber anderseits die Möglichkeit einer psychoanalytischen Be-
    einflussbarkeit, die solche FaeIle nicht selten dauernd zu heilen ver-
    mag.


    Diskussion

    Prof.Freud möchte, ohne die Tatschlichkeit des Vorgebrachten
    anzuzweifeln,doch aus einer gewissen paedagogischen Verpflichtung
    eine etwas kaptivierendere Darstellung vorschlagen. Anstatt zuerst
    die Behauptung aufzustellen unddann nur gelegentlich auf die Tech-
    nik hinzuweisen, würde es sich empfehlen, die Beobachtungen voraus-
    setzungslos hinzustellen und dann zu zeigen, auf Grund welcher Aus-
    serungen der Pat.man zu diesen Aufklaerungen gelangt ist.

    Vom rein ärtzlichen Standpunkt wäre zu bemerken, dass die Dar-
    stellung dieser Phantasien an Kopfe als selbständiges Symptom nicht
    so häufig ist wie Badger meint. Sie wird sich vielmehr um irgendeine
    organisch verursachte Kopfschmerzen handeln, die man psychisch Über-
    besetzt mit irgend einer Sexualbedeutung.Das somatische Ent-
    gegenkommen wird in diesen Fällen eine besondere Rolle spielen und
    in einer vorausgegangenen organischen Erkrankung, die zu Kopfschmer-
    zen führte, bestehen.Wenn man mit diesem organischen Anteil begunne
    und erst dann den psychischen Anteil hervorheben würde, so riefe das
    auch weniger Widerspruch hervor.

    Ein Motiv,warum der Kopf zum Schauplatz solcher Sensationen
    gemacht wird,die sich eigentlich an den Genitalien abspielen soll-
    ten,ist darin zu suchen, dass er fast allein von allen Koerperteilen
    nicht verhüllt wird, was besonders den ehemaligen Voyeur veranlasst,
    den Kopf sexualsymbolisch zu verwerten.
    Erzmer stimmt den Ausführungen Badgers zu, die zeigen,dass
    sich hinter jedem Symptom jeder nur denkbare psychische Komplex nach-

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    epissen lügt.
    Hinterstein meint, dass der Kopfschmerz aus sproehlichen Bezie-
    hungen(Schlief-einschlag) auch als Furcht vor Defloration aufge-
    fasat werden kann.Auch wäre es denkbar,dass er eine Geburtspantasie
    bei jemandem darstelle,der weiss,dass er eine Kopfgeburt war.
    Hitschmann möchte nicht zu den Extremen gerechnet werden,die
    eine gewisse Abneigung zeigen überhaupt noch etwas medizinisch-
    anatomisches gegenüber den psychoanalytisch auflösbaren anzuerken-
    nen. Der Kopf istdoch vor allem durch seinen anatomischen Aufbau
    viel mehr als jeder andere Körperteil zu Schmerzen geschafsen, bei
    denen rein sexualsymbolischer Auffassung doch immerhin eine ge-
    wisse Vorsicht geboten ist und das auch von Freud hervorgehobene
    somatische Entgegenkommen nicht vernachlaessigt werden darf. Auch die
    traumatische Neurose, die ja oft organische Folgen hat, würde zur
    Vorsicht mahnen. -Bei der sexualsymbolischen Auffassung wäre nachzu-
    weisen, dass Männer und Frauen den Kopfschmerz mit denselben Worten
    schildern. Vieles von dem Vorgebrachten war psychologisch weder
    zwingend noch naheliegend,da die Analysen nicht mitgeteilt wurden.
    Feldner möchte den Vortragenden vorschlagen, den Titel seiner
    Arbeit dahin zu ändern,dass er sag:Eaber, die psychische Verwertung
    der Cephalaea bei Hysterikern,womit den Freudschen Bedenken,denen
    er sich anschliesse, auch im Titel Rechung getragen wäre.-Es gibt
    Menschen,die bloss infolge starker Erregung(Gemütsdepressionen ,gei-
    stiger Ueberanstrengung)Kopfschmerzen bekommen, die keineswegs hys-
    terisch sind,die aber der Hysteriker sehr wohl verwenden kann, in-
    dem er sie auf dem Wege der Regression hysterisch fixiert.
    Die hysterischen Unterleibsschmerzen findet man häufig bei Frauen
    mit Ovarie. -Fall eines 13jaehrigen Mädchens, die sich die Durch-
    pressen des Kindes durch den Geburtsschlauch auf 'rund ihrer eige-
    nen noch unentwickelten Geschlechtsteile besonders schmerzhaft vor-
    stellte und infolgedessen Furcht vor dem Sebären hatte.
    Freidling findet den habituellen,nicht organisch begründeten
    Kopfschmerz im Kindesalter überaus selten,woraus man vielleicht
    eine gewisse Berechtigung für Sadgers Ausführungen de luzieren kann-
    te,da dem Kinde eine ganze Reihe sexueller Kenntnis abgeht.

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    Beim Erwachsenen sei es nicht unwahrscheinlich,dass sich auf organi-
    scher Basis durch psychische Determination ein dauernder Kopfschmerz
    entwickeln kann.Die Unterleibschmerzen finden sich bei Knaben eben-
    so häufig wie bei hysterischen Mädchen,müssen also nicht unbedingt
    auf die Ovarie zurückgehen.
    Grüner g.findet beim organisch bedingten Kopfschmerz ebenso
    wenig einen Grund den psychogenen Anteil auszuschliessen, wie bei der
    Hysterie,wo auch ungeachtet des somatischen Anteils die psychische
    Determinierung studiert werde.
    Raitler führt den Fall einer Pat.an,die in der Brautnacht einen
    kleinen aro de perale bekam und sich mit dem Hinterkopf in die Tol-
    staer eingrablwan sieh spater Sexualphantasien einstellten,verspür-
    te sie auch den Druck im Hinterkopf(Rachen)wieder,den sie bei der
    Defloration erlebt hatte.
    Adler möchte einen einigermasse abweichenden Standpunkt mittei-
    len indem er an eine Differenz anknüpft, die in den Mitteilungen
    Sadgers und einiger Diskussionsredner zutage tret.Sadgers Ausführun-
    gen [?] [?] [?] auf hinaus, dass der Kopfschmerz den Ersatz für eine
    Sexualhandlung darstelle.Im Falle Baitlers jedoch und noch deutlicher
    in dem Feldners stellt sich der Kopfschmerz als eine Widerstands-
    hanflung dar, eine Auffassung, deren Ansatz schon bei Sadger zu fin-
    den war, der jedoch konsequent weiter dachte und die Entbindungphan-
    tasie trotz ihrer schmerzhaften Darstellung auf den Wunsch doch ei-
    niger Betrachtung reduzierte.Entgegengesetztes zeigt der Fall Feldners,
    wo sich das Mädchen vor der Entbindung fürchte. -Diese Auffassung
    aus, dass der Kopfschmerz ein Widerstandssymptom, eine Sicherungssten-
    den ist, wird an einigen Fällen erläutert. Bei einem 7jährigen Mäd-
    chen liess sich der habituelle Kopfschmerz,wie ziellich häufig im
    Kindesalter, auf eine Identifizierung mit der Mutter zurückführen
    (Disposition zu Neuose. Jahr.F.).das find wollte seiner Mutter in
    allem ihrer sein.-Ein anderer Pat.bekam Kopfschmerzen bei jeder Er-
    regung,er wusste aber nicht, dass immer ein Gefühl der Unerträglich-
    keit seiner Lage gedrücktheit, dass er nicht oben sei) dahinter
    steckte.In der Kindheit hatte ihn das Prblem beschäftigt.er künn-

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    te auch einmal solche Schmerzen bekommen wie die Mutter,wenn er ein
    weib wird.-Ein anderer sicherte sich in einem Dilemma (Studien, ehe-
    liche Beziehungens.) durch Kopfschmerzen vor der Entscheidung. Die-
    ser Pat.sprach auch von Kopfschmerzen bevor er sie noch hatte,und
    dies zeigt,dass sich nichts so zur Simulation eignet wie gerade
    Kopfschmerzen.-Wenn man nach organischen Ursachen sucht, so findet
    man,dass Kopfschmerzen(beg.im Nacken und Genick) auf derselben Grund-
    lage entstehen können,wie gewisse Schmerzen in der Wirbelsäule oder
    im Rücken; in solchen Fallen kann man häufig eine Umbiegung der Hals-
    wirbelsäule konstatieren.Es gibt Ursachen,die in einer Depression
    zusammenhausen und diese Haltung genügt in vielen Faellen allein,um
    die Schmerzen auszulösen.Es ist dies ein spezieller Fall,der zeigt,
    wie sich das Organische mit dem Psychischen verbinden kann.

    Federn will weitere Ausführungen zeigen,dass sich seine Sicherungs-
    tendenz mit der "Sinnschutxfunktion" der Neurose deckt.
    Adler erwidert,die Sicherungstenden sei vielmehr die Primär-
    funktion der Neurose.Federns Pat.ist eine Persod,die keinerlei
    Schmerz vertrüg und sie sucht sich deswegen zu sichern, die Behan-
    delnfunktion wäre das, wenn sie sich dort vor Schmerzen fürchten
    würde, wo es sich nicht um die Entbindung handelt.-Es gibt viele Pat.
    die Kopfschmerzen bekommen,wenn sie mit der Ovanie oder mit dem Toi-
    tus ausgesetzten, sie suchen sich eben auch zu sichern.
    Federn führt eine Reihe von Beispielen an,dass Persone auf
    frustrane Erregungen mit Kopfschmerzen reagierten, was nur auf patho-
    logisch-organische Weise bedingt ist.
    Freud möchte,Salgern Schlusswort vorgreifend,ausdrücklich her-
    vorheben, dass der Vortr.nicht behaupten wollte,dass Kopfschmerzen
    seien so aufzufassen, sondern er sprach nur von der sexualsymbolische
    Kopfschmerzen.Dass die Kopfschmerzen sonst alle andern Schicksale
    der Symptome haben können,wird er wohl nicht bestreiten.
    Adler erwähnt,dass Sadger zu Eingang seines Vortrags gesagt
    habe, dass sich jeder nicht organisch oder toxisch begründete Kopf-
     

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    schmerz sexualsymbolisch auflösen lasse.Er erkenne nun vollkommen
    an,dass man die Sexualsymbolik tatsächlich findet, meine aber,dass
    sie in der Technik nicht die Bedeutung habe,als ihr Sadger zuschrei-
    be. Sollte Sadger diesen Standpunkt einnehmen,sondern den von
    Freud hervorgehobenen,so wären seine eigenen Ausführungen als nicht
    hiehergehörig zu betrachten.
    Sadger bedankt sich in seinem Schlussworte für die Anregungen,
    insbesondere Prof. Freuds,die er jedoch zu seinem Bedauern in einem
    Punkte nicht befolgen könne,nämlich in der Mitteilung der steno-
    graphisch aufgenommenen Analysen.
    Homosymptomatischer Kopfschmerz findet sich seltener hat meig-
    mehrfache Bedeutung.Gewisse Dinge, wie Geburts-und Schwangerschafts-
    toden finden sich eben auch bei Frauen.
    Was die Auffassung der sexualsymbolischen Kopfschmerzen betref-
    fe,so habe er behauptet, wenn ein Kopfschmerz nach langer Dauer und
    verschiedenen Behandlungsversuchen nicht schwindet,man dann fast
    regelmässig eine sexuelle Symbolik dahinter aufdecken kann, bewsi-
    send für diese Auffassung sei der therapeutische Effekt.
    Ein solcher Sexualpopfschmerz sei aber nihht ohne weiters als
    hysterisch zu bezeichnen(wie Federn meinte) der ist ähnlich ei-
    nem sexualneurotischen Symptom, das auch hysterisch fixiert werden
    kann.Ein solcher Kopfschmerz findet sich nicht nur bei Hysterie,
    sondern kommt auch bei andern Krankheiten(wie Cephalaea)vor.
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