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Geschäftliche Sitzung:
Frau Dr.Hilferding hat infolge Ablehens ihrer Schwester
den heutigen Vortrag abgesagt und Herr Dr.Sadger hat sich bereit
erklärt mit einem Vortrag einzuspringen.
Die Abstimmung über die Aufnahme des Herrn stud.med.Erwin
Wechsberg wird auf Antrag des Obmannes vorläufig von der Tagesord-
nung abgesetzt,da sich Stimmen gegen die Aufnahme Junger Leute er-
hoben haben,von denen weder eine positive Leistung vorliegt noch
genügende Gewähr,dass sie in der Psychoanalyse schon sicher sind
(Fettern).
Die nächste Sitzung findet am 4.Januar 1911 statt.
Raitler berichtigt eine Angabe,die er in der letzten Sitzung
bezüglich einer Tatsache,bei der nichts auf eine vorangegangene
Oanale hindeute.Dieser Lage habe sie nun eine Deckerierung er-
zählt, nach deren Deutung sich diese Behauptung nicht mehr aufrecht-
erhalten lasse.
Vortrag:
Federn schaltet aus seinen Betrachtungen jeden irgendwie orga-
nisch oder chemisch bedingten Kopfschmerz aus und beschränkt sich
auf jenen,übrigens ziemlich häufigen Kopfschmerzen,den die Neurologen
den geringeren Teil der Neurasthenie und Hysterie event.auch der
traumatischen Neurose zurechnen, überwiegend jedoch Cephalaea oder
habituellen Kopfschmerz nennen,der keiner weiteren Deutung mehr fä-
hig ist.
Aus der Analyse einer Reihe von solchen Kopfschmerzformen er-
gab sich,dass solcher Kopfschmerz eine Erfüllung sexueller Wünsche
darstellt; ferner dass sich hinter den erotischen Wünschen der Ge-
genwart die ähnlichen Sexualerinnerungen der Kindheit verbergen
und endlich dass dabei eine Verschiebung von Genitalien und Rates
zum Kopfe stattgefunden hat.
Aus einer Anzahl von Analysen liess sich folgende typische
Kopfschmerzsymbolik erkennen:"Bohrender" oder "stechender"Kopf-S.
schmerz bedeutet den "eschlechtsart oder Einbohren des Fingers in
die Vagina, "Leere in Hopfe "entspricht den Sustend nach den Heraus-
ziehen; "reissender "Kopfschmerz, soweit er nicht rheumatisch ist,
geht wie der ziehende in der Regel auf Manipulationen anm äusseren
Genitale zurück. Der Zopfschmerz bei Frauen ist häufig Deflorations-
symbol oder wenn er krampfartig ist Entbindungsphantasie und Wunsch
nach den Kinds.Beltener st die Vorstellung, dass in Kopfe"etwas aus-
einandergehe" dem Oeffnen der genitalien entsprechend. Der Zopf-
druck"ist, je nachdem ob er von aussen nach imen oder umgekehrt
presst,entweder wiederbelebung des opfabdrückens und ähnlicher
Burtlichkeiten von Seiten geliebter Fersonen in der Kindheit oder
im zweiten Falle auf die Analerotik und De fakationslust zurückz-
führen.Es können aber auch mehrere dieser Kopfschmerzarten mitein-
ander kombiniert sein.Die ausgiebige Verwendung des Schädels zur Darstellung der
Sexualsymbolik hat mehrere Gründe. Vor allem wird durch eine solche
Verlegung von der etwas anrüchigen Körpermitte an die scheinbar gen
unsinnliche Peripherie den Forderungen der Zesur vollauf genüge ge-
leistet .Ferner dient es den Zwecken der Verdichtung, dass man am
Schädel mehrere Sexualphantasien zugleich darstellen kann. Auch
Form(Aehnlichkeit mit den Hinterbacken )und Name (Peniskopf) verlok-
ken sehr leicht zu einer Gleichstellung.Jndlich kann man am Zopfe
auch gewisse Begleitsymptome des sexuellen Tun (Rötung, Hitze, Schwei
ausbruch) sehr gut darstellen.Ausserdem aber scheint der Kopf als solcher sine prädisponier-
to erogene Zone zu sein, die bei vielen Menschen konstitutionell
erheblich verstärkt ist. Pleibt sie das einzige Symptom, so sprechen
wir von einer Cephalaea, nervösen oder habituellen Kopfschmerzen. Sie
kann aber auch hysterisch fixiert, von einer traumatischen Tetrose,
einer Migraine, oder sonst einer org nischen oder chomischen $ö-
rung, die zu Kopfschmerz führt, als Anknüpfungspunkt benützt werden.
Auch die isolierte Cephalaea erweist sich regelmässig als mit sexu-
ellem Inhalt gefüllt, wie häufig auch ein aus organischen oder toxi-S.
schen edingungen erzeugter Kopfschmerz. Diese Speisung aus fort-
dauernden Partisatricten heraus bedingt die Faehigkeit solcher Kopf-
schmerzen, ihre Resistenz gegen alle therapeutischen Massnahmen, er-
klaert aber anderseits die Möglichkeit einer psychoanalytischen Be-
einflussbarkeit, die solche FaeIle nicht selten dauernd zu heilen ver-
mag.
Diskussion
Prof.Freud möchte, ohne die Tatschlichkeit des Vorgebrachten
anzuzweifeln,doch aus einer gewissen paedagogischen Verpflichtung
eine etwas kaptivierendere Darstellung vorschlagen. Anstatt zuerst
die Behauptung aufzustellen unddann nur gelegentlich auf die Tech-
nik hinzuweisen, würde es sich empfehlen, die Beobachtungen voraus-
setzungslos hinzustellen und dann zu zeigen, auf Grund welcher Aus-
serungen der Pat.man zu diesen Aufklaerungen gelangt ist.Vom rein ärtzlichen Standpunkt wäre zu bemerken, dass die Dar-
stellung dieser Phantasien an Kopfe als selbständiges Symptom nicht
so häufig ist wie Badger meint. Sie wird sich vielmehr um irgendeine
organisch verursachte Kopfschmerzen handeln, die man psychisch Über-
besetzt mit irgend einer Sexualbedeutung.Das somatische Ent-
gegenkommen wird in diesen Fällen eine besondere Rolle spielen und
in einer vorausgegangenen organischen Erkrankung, die zu Kopfschmer-
zen führte, bestehen.Wenn man mit diesem organischen Anteil begunne
und erst dann den psychischen Anteil hervorheben würde, so riefe das
auch weniger Widerspruch hervor.Ein Motiv,warum der Kopf zum Schauplatz solcher Sensationen
gemacht wird,die sich eigentlich an den Genitalien abspielen soll-
ten,ist darin zu suchen, dass er fast allein von allen Koerperteilen
nicht verhüllt wird, was besonders den ehemaligen Voyeur veranlasst,
den Kopf sexualsymbolisch zu verwerten.
Erzmer stimmt den Ausführungen Badgers zu, die zeigen,dass
sich hinter jedem Symptom jeder nur denkbare psychische Komplex nach-S.
epissen lügt.
Hinterstein meint, dass der Kopfschmerz aus sproehlichen Bezie-
hungen(Schlief-einschlag) auch als Furcht vor Defloration aufge-
fasat werden kann.Auch wäre es denkbar,dass er eine Geburtspantasie
bei jemandem darstelle,der weiss,dass er eine Kopfgeburt war.
Hitschmann möchte nicht zu den Extremen gerechnet werden,die
eine gewisse Abneigung zeigen überhaupt noch etwas medizinisch-
anatomisches gegenüber den psychoanalytisch auflösbaren anzuerken-
nen. Der Kopf istdoch vor allem durch seinen anatomischen Aufbau
viel mehr als jeder andere Körperteil zu Schmerzen geschafsen, bei
denen rein sexualsymbolischer Auffassung doch immerhin eine ge-
wisse Vorsicht geboten ist und das auch von Freud hervorgehobene
somatische Entgegenkommen nicht vernachlaessigt werden darf. Auch die
traumatische Neurose, die ja oft organische Folgen hat, würde zur
Vorsicht mahnen. -Bei der sexualsymbolischen Auffassung wäre nachzu-
weisen, dass Männer und Frauen den Kopfschmerz mit denselben Worten
schildern. Vieles von dem Vorgebrachten war psychologisch weder
zwingend noch naheliegend,da die Analysen nicht mitgeteilt wurden.
Feldner möchte den Vortragenden vorschlagen, den Titel seiner
Arbeit dahin zu ändern,dass er sag:Eaber, die psychische Verwertung
der Cephalaea bei Hysterikern,womit den Freudschen Bedenken,denen
er sich anschliesse, auch im Titel Rechung getragen wäre.-Es gibt
Menschen,die bloss infolge starker Erregung(Gemütsdepressionen ,gei-
stiger Ueberanstrengung)Kopfschmerzen bekommen, die keineswegs hys-
terisch sind,die aber der Hysteriker sehr wohl verwenden kann, in-
dem er sie auf dem Wege der Regression hysterisch fixiert.
Die hysterischen Unterleibsschmerzen findet man häufig bei Frauen
mit Ovarie. -Fall eines 13jaehrigen Mädchens, die sich die Durch-
pressen des Kindes durch den Geburtsschlauch auf 'rund ihrer eige-
nen noch unentwickelten Geschlechtsteile besonders schmerzhaft vor-
stellte und infolgedessen Furcht vor dem Sebären hatte.
Freidling findet den habituellen,nicht organisch begründeten
Kopfschmerz im Kindesalter überaus selten,woraus man vielleicht
eine gewisse Berechtigung für Sadgers Ausführungen de luzieren kann-
te,da dem Kinde eine ganze Reihe sexueller Kenntnis abgeht.S.
Beim Erwachsenen sei es nicht unwahrscheinlich,dass sich auf organi-
scher Basis durch psychische Determination ein dauernder Kopfschmerz
entwickeln kann.Die Unterleibschmerzen finden sich bei Knaben eben-
so häufig wie bei hysterischen Mädchen,müssen also nicht unbedingt
auf die Ovarie zurückgehen.
Grüner g.findet beim organisch bedingten Kopfschmerz ebenso
wenig einen Grund den psychogenen Anteil auszuschliessen, wie bei der
Hysterie,wo auch ungeachtet des somatischen Anteils die psychische
Determinierung studiert werde.
Raitler führt den Fall einer Pat.an,die in der Brautnacht einen
kleinen aro de perale bekam und sich mit dem Hinterkopf in die Tol-
staer eingrablwan sieh spater Sexualphantasien einstellten,verspür-
te sie auch den Druck im Hinterkopf(Rachen)wieder,den sie bei der
Defloration erlebt hatte.
Adler möchte einen einigermasse abweichenden Standpunkt mittei-
len indem er an eine Differenz anknüpft, die in den Mitteilungen
Sadgers und einiger Diskussionsredner zutage tret.Sadgers Ausführun-
gen [?] [?] [?] auf hinaus, dass der Kopfschmerz den Ersatz für eine
Sexualhandlung darstelle.Im Falle Baitlers jedoch und noch deutlicher
in dem Feldners stellt sich der Kopfschmerz als eine Widerstands-
hanflung dar, eine Auffassung, deren Ansatz schon bei Sadger zu fin-
den war, der jedoch konsequent weiter dachte und die Entbindungphan-
tasie trotz ihrer schmerzhaften Darstellung auf den Wunsch doch ei-
niger Betrachtung reduzierte.Entgegengesetztes zeigt der Fall Feldners,
wo sich das Mädchen vor der Entbindung fürchte. -Diese Auffassung
aus, dass der Kopfschmerz ein Widerstandssymptom, eine Sicherungssten-
den ist, wird an einigen Fällen erläutert. Bei einem 7jährigen Mäd-
chen liess sich der habituelle Kopfschmerz,wie ziellich häufig im
Kindesalter, auf eine Identifizierung mit der Mutter zurückführen
(Disposition zu Neuose. Jahr.F.).das find wollte seiner Mutter in
allem ihrer sein.-Ein anderer Pat.bekam Kopfschmerzen bei jeder Er-
regung,er wusste aber nicht, dass immer ein Gefühl der Unerträglich-
keit seiner Lage gedrücktheit, dass er nicht oben sei) dahinter
steckte.In der Kindheit hatte ihn das Prblem beschäftigt.er künn-S.
te auch einmal solche Schmerzen bekommen wie die Mutter,wenn er ein
weib wird.-Ein anderer sicherte sich in einem Dilemma (Studien, ehe-
liche Beziehungens.) durch Kopfschmerzen vor der Entscheidung. Die-
ser Pat.sprach auch von Kopfschmerzen bevor er sie noch hatte,und
dies zeigt,dass sich nichts so zur Simulation eignet wie gerade
Kopfschmerzen.-Wenn man nach organischen Ursachen sucht, so findet
man,dass Kopfschmerzen(beg.im Nacken und Genick) auf derselben Grund-
lage entstehen können,wie gewisse Schmerzen in der Wirbelsäule oder
im Rücken; in solchen Fallen kann man häufig eine Umbiegung der Hals-
wirbelsäule konstatieren.Es gibt Ursachen,die in einer Depression
zusammenhausen und diese Haltung genügt in vielen Faellen allein,um
die Schmerzen auszulösen.Es ist dies ein spezieller Fall,der zeigt,
wie sich das Organische mit dem Psychischen verbinden kann.Federn will weitere Ausführungen zeigen,dass sich seine Sicherungs-
tendenz mit der "Sinnschutxfunktion" der Neurose deckt.
Adler erwidert,die Sicherungstenden sei vielmehr die Primär-
funktion der Neurose.Federns Pat.ist eine Persod,die keinerlei
Schmerz vertrüg und sie sucht sich deswegen zu sichern, die Behan-
delnfunktion wäre das, wenn sie sich dort vor Schmerzen fürchten
würde, wo es sich nicht um die Entbindung handelt.-Es gibt viele Pat.
die Kopfschmerzen bekommen,wenn sie mit der Ovanie oder mit dem Toi-
tus ausgesetzten, sie suchen sich eben auch zu sichern.
Federn führt eine Reihe von Beispielen an,dass Persone auf
frustrane Erregungen mit Kopfschmerzen reagierten, was nur auf patho-
logisch-organische Weise bedingt ist.
Freud möchte,Salgern Schlusswort vorgreifend,ausdrücklich her-
vorheben, dass der Vortr.nicht behaupten wollte,dass Kopfschmerzen
seien so aufzufassen, sondern er sprach nur von der sexualsymbolische
Kopfschmerzen.Dass die Kopfschmerzen sonst alle andern Schicksale
der Symptome haben können,wird er wohl nicht bestreiten.
Adler erwähnt,dass Sadger zu Eingang seines Vortrags gesagt
habe, dass sich jeder nicht organisch oder toxisch begründete Kopf-
S.
schmerz sexualsymbolisch auflösen lasse.Er erkenne nun vollkommen
an,dass man die Sexualsymbolik tatsächlich findet, meine aber,dass
sie in der Technik nicht die Bedeutung habe,als ihr Sadger zuschrei-
be. Sollte Sadger diesen Standpunkt einnehmen,sondern den von
Freud hervorgehobenen,so wären seine eigenen Ausführungen als nicht
hiehergehörig zu betrachten.
Sadger bedankt sich in seinem Schlussworte für die Anregungen,
insbesondere Prof. Freuds,die er jedoch zu seinem Bedauern in einem
Punkte nicht befolgen könne,nämlich in der Mitteilung der steno-
graphisch aufgenommenen Analysen.
Homosymptomatischer Kopfschmerz findet sich seltener hat meig-
mehrfache Bedeutung.Gewisse Dinge, wie Geburts-und Schwangerschafts-
toden finden sich eben auch bei Frauen.
Was die Auffassung der sexualsymbolischen Kopfschmerzen betref-
fe,so habe er behauptet, wenn ein Kopfschmerz nach langer Dauer und
verschiedenen Behandlungsversuchen nicht schwindet,man dann fast
regelmässig eine sexuelle Symbolik dahinter aufdecken kann, bewsi-
send für diese Auffassung sei der therapeutische Effekt.
Ein solcher Sexualpopfschmerz sei aber nihht ohne weiters als
hysterisch zu bezeichnen(wie Federn meinte) der ist ähnlich ei-
nem sexualneurotischen Symptom, das auch hysterisch fixiert werden
kann.Ein solcher Kopfschmerz findet sich nicht nur bei Hysterie,
sondern kommt auch bei andern Krankheiten(wie Cephalaea)vor.
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Protokoll der 12. Sitzung am 21. Dezember 1910. Isidor Sadger: Über sexualsymbolischen Kopfschmerz
1910-533/1910
/1910
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