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Reik zeigt an einigen Punkten die Bedeutung des Elternkomplexes
für die kulturelle Einstellung. Im Sexualneid gegen den Vater erblickt
er eine der Wurzeln des Ehrgeizes; der Vaterkomplex, der sich des Ehr-
geize a bediene sei beispielsweise besonders stark ausgeprägt bei Schiil-
ler. Dieses Verhältnis gebe auch oft Anlass zur Skepsis (Flaubert, Heine),
wenn vom Xinde die Relativität ier moralischen Werte früh geahnt werde.
Vortr.streift denn den Zusammenhang des Vaterkomplexes mit der Religion
und weist darauf hin, wie die infantile Sexual neugirde auf den religiösen
Zweifel einwirkt und wis disser und der Atheismus im Vaterkomplex wurzeln
Redner eht lann auf die Einflüs c über, die die Mutter auf die Ent-
wicklung des Kindes nimmt und weist auf Freuds Untersuchungen über die
Objektwahl (Lie be stypus hin. Er sucht von hier einen Weg zum Verständnis
des Don Juan Problems: Der Don Juan könne einerseits nie genug finden, an-
derseits die eine nie finden. Auch der Zweifel an der Frauentreue wurzelt
am infen tilen Komplex (Schnitzler); diese infantilen Phantasien seien be-
deutsam für die Genese der Eifersucht. Redner möchte dem Freudschen Typus
einen zweiten gegenüberstellen, den Mann, der nur die reine Jungfrau liebt,
das Mütterliche ihres Resens, die Dulde rin, man könnte geradezu von einer
Bedingung des nicht vorhandenen Dritter reden. Die Bedingungen dieses
Gtetohen-Typus wurzeln in Kindereindrücken. Das Kind wünscht die Mutter in
einen Zustand, wie sie ihm vor Entdeckung des geschlechtlichen Verhältnis-
ses erschienen war; auch erscheint die Mutter ihm leidend. Diese Glorifi -
zierung der Mutter gilt auch für den Madonnentypus, in dem utter und rei-
ne Jungfrau vereinigt sind.
Redner geht schliesslich auf die Beziehungen der Eltern zu den Zin-
dern ein.Auch die Eltern müssen resignieren. Die Einstellung der Eltern
zeige sich z.b/ in der Vorbildlichkeit, die sich in der Erziehung der Kin-
der äussere.Es zeigt sich die Notwendigkeit, die psychoanalytische Be-
trachtung in die Geschichtswissenschaft einzuführen. Am Kampf der alten u.
neuen Generation, an der Ablösung von Stamm und Familie zeigt sich, dass
der Elternkomplex eines der wertvollsten Elturfermente der Menschheit
darstellt.
Tausk möchte die Ausführungen durch "eispiele bestätigen. An der Zwanganeu
rose eines 16 jährigen Jungen wird die Wirkung des Alte mkomliexes gezeigt
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Wenn de Hauge nicht auf Religion gehalten wird, so ist der Einfluss der
Schule nacht so bedeutend; Der Religionslehrer kann den Gott Licht ein-
Pflanzen, den der Vater nicht repräsentiert. Schliesslich erzählt Redner
einige Kindergeschichten.
Reitler findet einen Widerspruch in dem Satz: Wenn die Vaterautorität lei
det dann tritt Gott-Vater in Aktion. Es ist umgekehrt: Dann verleirt er den
Glauben. Der Wunsch nach Erlösung durch das Weib ist psychoanalytisch so
aufzufassen, dass das Kind die Einführung in das Sexualle ben durch die Mut
ter wünscht.-Die jungfräuliche Mutter dient einer Inzestphantasie: Der Got
be fruchtet eine Frau und wird aus ihr geboren.
Sachs teilt eine Stelle aus Anatole France mit, welche die Bedeutung des
Elternkomplexes xxx kennt.
Federn bemerkt zur Kretssymbolik, dass die Dedeutung des Lasttragens dabei
nicht ganz klar sei.-Beiu Madonnentypus wird es sich fragen aus welcher
Zeit er stammt; wahrscheinlich aus der Zeit, wo die Mutter dem Kinde asexu*
ell erschien.Alfred de Musset hat die beider Typen in einem Gedicht be-
schrieben. Die Menschen mit ursprünglichem Madonnentypus werden spät zur
Sexual kenntnis kommen und dadurch zu stärkerer Sexualverdrängung prädes-
tiniert sein.-Freud hat einmal als Don Juan Vorbedingung konstruiert, dac
er die Mutter früh verloren oder nicht gekannt habe und sie dann immer
suche.In dem Punkte könne er Reiks Ausführunge bestätigen, dass die Mutter
auf die Löslösung ihrer Kinder oft mit Melancholte reagiere.Als neuroti-
sches Symptom erscheint der Vaterkomplex in der Arbeitsstörung infolge
feindlicher Einstellung zum Vater.
Spielrein erzählt den Famlienraman eines Mädchens, die vom Hause fortging
um studieren zu können. Es stellten sich dann neben Selbstvorwürfen Angst
und Hasa den Vater gegenüber ein; sie projizierte ihre eigenen Wünsche auf
den Vater. Sie hatte auch die Ueberzeugung, dass ihre Eltern einander nie
untret werden könnten.
Rank bringt zum Don Juan Typus einen Fall, der deutlich zeige, dass ein Ty-
pus dieser "Zwangsheterosexuellen" (Ferenczi) eigentlich unbewusst homo-
sexuell verankert sei, und dass sich daraus manches Detail ihrer Liebes-
wahl verstehen lasse.-Als kulturhistorisch bedeutsames Beispiel für den
Elternkomplex wird Luther genannt (Papst-Antichrist-Teufel; Unglaube an die
Jungfrau Maria).-Die Inzestphantasie im jungfräulichen Madomnentypus
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gei im Christentum nicht mehr so deutlich wie in anderen mythologischen
und kosmologischen Systemen. -Als Gegenstück zur Arbeitsstörung (Federn)
wird schliesslich erwähnt, dass es auch einen übertriebenen Fleiss als Re-
aktion gegen die wirkliche oder vereintliche Faulheit des Vaters gibt.
Prof.Freud möchte zunächst einige Ausstellungen machen: die erste betreffe
den Stil, der epigrammatisch zugespitzte Sätze liebe und zu geistreich sein
wolle. Der zweite Cinwand sei, dass man den Elternkomplex, so ziemlich das
wichtigste, was wir kennen gelernt haben, nicht so leicht behandeln darf.
Zum Inhalt übergehend wird bemerkt, dass der beschriebene buttertypus nicht
der sineige,siuch nicht der häufigste, sondern nur ein besonders auffällige
sei. Das Ideal des jungfräulichen Weibes entspringe vielleiht erst der Ab-
lehnung des gewöhnlichen mütterlichen Weibes. Von da ere be sich die Frage
nach dem Ursprung des Ideals überhaupt; als eine Reaktion und Sublimierung
muss es mit den gewöhnlichester Erfahrungen in Zusammenhang stehen und
auf Kinde reindrücke zurückgehen. Das Geheimnis der Liebe gipfelt in der
Forderung so geleibt zu werden, wie fan als ind von der Mutter geliebt
worden ist. Das gilt vornehmlich für den menn, denn der eigentliche Typus
Weib le ibt den Mann nicht, sondern ist in der Regel im Stadium des Narziss
mus stehen geblieben. Auch das Kind liebt sie, als einen Teil ihres Selbst,
be stent
narzistisch. Darum auch die für den Mann charakteristische Sexuelüberschätz
ung für das Weib nid.-bei den de bestypen darf men die domplikationen.
nicht vergessen, die sich dadurch ergeben, dass die Pflegepersonen der Kind
heit mit der utter verschmelzen. -bei der blösung vom Vater ist zu bemer-
ken, dass diese zweckmässigerweise erst dann erfolgen soll, wenn der Sohn ge
nügend stark geworden ist. Die vorzeitige Ablösung rächt sich später an
den Söhnen, wenn sie selbst Väter geworden sind: sie sind tyrannische Väter
und ernten auch den grössten Undank von ihren Söhnen. -Die Beziehung der
Homosexualität zur Paranoia liess sich kürzlich experimentell an einem
Pat. demonstrieren, der auf dem Wege zur Befreiung von seiner Homosexuali*
tät einen Zoitus versuchte und unmittelbet darauf einen paranoischen An-
fall bekam.
Stekel bemängelt auch, dess so gewaltige Theman in literarischer Form be-
handelt werden. Es ist richtig, dass der Don Juan ein Homosexueller sei. Er
ist in sich verliebt und jede neue Eroberung beweist ihm seine Unwide r-
stehlichkeit. Der Gretchen-Typus eiks sei das bipolare Gegenstück zum
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Freudschen Cypus.-Frauen, die sich in der Jugend des Ideal des reinen
Mannes gestellt haben zeigen oft bei der Analyse, dass ihr ursprüngliches
Ideal der Don Juan war.-ann lieser Typus gebildet wirs (Federn): Wenn der
Neurotiker die "erabsetzung der Mutter zur Dirne peinlich empfindet ver-
wandelt er den Typus in den entgegengesetzten.-Wenn die Kinder auch sagen
sie glauben nicht, so sind sie deswegen doch nicht areligiös; sie werder
später oft wieder gläubig. Auch religiöse Erziehung ist kein Schutz geger
die Entstehung von religiösem Schuldbewusstsein.-Vater und Gott stürzen-
wie das vor Sadger vorgetragene Hebbel-Bekenntnis zeigt nicht zugleich.
Der tritt an die Stelle des Vaters/Der Vaterkomplex bei den Dichtern, be-
sonders bei Schiller und Shakespeare, die den Typus des undenkbaren Boh-
nes repräsentieren, wäre eine dankbare Aufgabe.-Das Kind sterft oft nicht
Vater und utter, sondern sich selbst.-Die Frau liebt nur den kann, weil e
a bewundert. So interes ant der Fall des Homosexuellen mit dem paranoi-
ischen Anfall sei,so bestäre er ihn doch nur in ier Ueberzeugung, dass
die Homosexualitat nicht heilbar sei. Wenn die Homosexuellen zum Weibe
gehen, so tun sie es aus Liebe zum Arzt.
Dr.Heller teilt eine Beobachtung mit über die Entstehung der Vorstellung
vom Leiden der Mutter (urbh Belauschung des Koitus) und ihre Folge für
die ganze spätere Leben einstellung.
Dr.Dattner bringt ein beispiel defür, wie schwer sich der Gedanke an den
Koitus der Mutter durchsetzt zřed rns -emerkung, dass die Antipathie geger
des Lerren aus Opposition zum Vater erfolge, könne aus Erfahrung bestäti
gen.)Endlich die Beobachtung, dass die Brauen, die die Forderung des rei-
nen Mannes aufstellen, meist einen stark ausgeprägten männlicher Typus
zeigen.
Scheu vermisst die Aufklärung eines männlichen Typus mit feindlicher
Einstellung zum Mutter und Liebe zum Vater (Hamlet?Orest, Schopenhauer)
Lebensgeschichte eines von der Geburt and atheistisch erzogegen Enaber,
der trotzdem einen für seine ganze Einstellung bedeutungsvollen Vater-
komplex erworben hat?
Tausk erwähnt eine Prühere Arbeit über des Ideal/.Zeigt an einem Bei-
apel, wie Gott durch die Mutter entwurzelt werden kann. -Ob nicht zum
Don Juanismus jede unbewusste Perversion führen könnte?
Rosenstein fragt ob schon ein Fall analysiert wurde, der seine Mutter
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überhaupt nicht kannte und wie sich da der Homplex gestaltete.
Spielrein macht geltend, dass auch der Mann zuerst narzistisch lie be.
Man müsse bei der Frau zwei Typen unterscheiden: Die Mannweiber wollen
nur Sexualobjekte für sich.
Friedjung macht zu Liebe swahl die -emerkung, dass die Frau eigentlich
jeden Mann wolle, der ihr entgegenkomme, sonst wäre es unverständlich, wie
so derselbe Mann bei der verschiedensten Frauen Erfolge haben kann.
Ein Beispiel einer Jungen Frau, deren Liebesbedingung es ist, dass der
Mann unterdrückt herebgesetzt wird, dass es ihm schlecht geht, was sich
aus ihrer Identifizierung mit ihm erklärt.
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Protokoll der 17. Sitzung am 14. Februar 1912. Dr. Theodor Reik: Der Elternkomplex als Kulturferment
1912-508/1912
/1912
Vollständige Manifestation
Protokoll
Papier
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Ganz fertig / zutreffend ✔
Fehlt ✖
Fehlt ✖
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4
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