Protokoll der 19. Sitzung am 6. März 1912. Dr. Alfr. Frh. v. Winterstein 1912-510/1912
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    am 6.März 1912.
     

    Dr.Alfr.Frh.V. Winterstein:
     

    choanalyse de s Reisens.
     

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    Vortr. be spricht die verschiedenen Formen des Reisedrange vor der
    zu bestimmten Zeiten spontan auftretenden Reiselust bis zur patho-
    logischen Form der fugue und sucht gestützt auf die Ergebnisse der
    Psa.it an einer Reihe von beispielen aus dem Leben und den
    Werken der Dichter den spontan auftre te nden Trieb zum Reisen auf
    psychosexuelle wurzeln zurückzuführen. Es kann sich dabei sowohl um
    den Wunsch nach libidinöser Befriedigung, als auch um eine Darstell
    lung der gewaltsamen Libido ablösung sowie schliesslich um sexualsym-
    bolisch eingekleidete Tode swünsche handeln (ebreisen sterben; Mutter-
    le ibsphantasie).-Neben der psychsexuellen urzel spielt auch die Un-
    fähigkeit zu dauernder Assoziation, die vielleicht mit dem Introjek-
    tions bedürfnis des Neutotikers identisch ist, eine Rolle, sowie das
    Reisen auch an sich als Bewegung eine lustvolle motorische Entladung
    gewähren kenn. Auch die, Sexualisierung der Katur trägt zur Reise lust
    bei. Beim pathologischer Wandertrieb endlich, der sich nach Heilbron-
    ner vorwiegend bei hysterischen (nicht epileptischen) Individuen gin-
    det, liegen oft kriminelle und Tode swünsche als Triebkraft zugrunde.
    In allen diesen Fällen handelt es sich um eine Bewältigung des Be-
    ussten durch das Babawasste.
     

    Sachs knüpft en die berührungspunkte des Vortrags mit seinen Ausfüh-
    rungen über das Baturgefühl die Pemerkung, dass die Reise als Selbst-
    zweck in unserem modernen Sinne eigentlich mit der durch J.J.Rouse
    seau charakterisierten poche beginne, welche als Reaktion auf die
    sexuellen Ausschweifungen aufzufassen sei; darin liege eine weitere
    Bestätigung für den erotischen Charakter des "eisens.
     

    Bezüglich des eifersüchtigen Vaters im Sturm (Shakespeare), der den
    Freier seiner Tochter quält, wird auf die Paralle mit der Giiselde-
    Fabel hingewiesen (vel.Imago I.1 Rank).
     

    Stekel spricht dem Fortr.seine Anerkennung aus für die Ausführungen,
    die sich /T.mit seinem Aufsatz: Weshalb sie reisen (Was am Grund der
    Seele ruht)decken. Zu weni betont erscheine der Umstand, dass die Rei-
    se meist einen Kompromiss zwischen der Befreiungs tendenz aus den Ban
    den der Neurose und erotischen Rendenzen darstelle.-Die Aufklärung
    der Amerikereisen als hutierleibsphantasien scheine nicht genügend
     

    gesibbert.
     

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    Reik weist auf die Sckte der Paternioner hin, die gewisse geistige
    Eigenschaften en bestimmte Körperstellen lokalisieren; so bezeichner
    exuallust, sondern auch der
    sie den Unterleib nicht nur als Sitz
    Lust zum Reisen.
     

    Sadger hat den Reise drang als charakteristisches Stigma der Schuer-
    belasteten gefunden. Seine Erfahrungen bestätigen Vieles von dem Vot-
    ge brachten, doch sei auch manches daran zu bemängeln. So sei der Asso-
    ziationswiderwille durchaus nicht identisch mit der Introjektion;
    erhöhte Reiselust müse bei schwer Delaste ten nicht immer auf eine
    gesteigerte Libido zurückgehen, auch sei die Sehnsucht nach dem eroti
    schen Erlebnis nicht allgemein als Grundlage anzunehmen, wenn sie auc
    für eine Reihe von Fällen zutreffe.Se nem eigenen peinlichen Ich
    zu entfliehen sei der Hauptgrund des eisens.
     

    Rank weist auch auf das Loskom Enwollen als den psychologisch bea
    deutsameren Grund des Reisens hin, dass als eine realer Darstellung
    der missglückten inneren Ablösung aufzufassen wäre. Dieser Mechanis-
    mus hat seinen für das spätere Verhalten vorbildlichen Ursprung in
    der zur Pubertätszeit erfolgenden Ablösung von den Eltern und der
    Familie, was sich besonders in den Pubertätsneurosen und bei den Dich
    tern im Zusammenhang mit ihrem Schaffen nachweisen lasse.
    Hitachmann vermisst die Heranziehung der Reiseangst%3B sowie des Be-
    wegungsgefühls überhaupt, das zur Ilatzangst und psychologischen
    Motivierung des Reisens gewiss nahe Beziehungen habe ?Auch die Rack-
    Bedeutung der Reisen im Traun wäre zu würdigen gewesen. Den Brauch
    der Hochzeitsreise künne man wohl nur historisch verstehen; wenn
    der Reise drang au Unbefriedigung hervorgeht, so sollte man bei jun
    gen Eheleuten doch eher ein Beherrungsbedürfnis am Ort erwarten.
    Ein Forschungsreisender, der Brust fetischist war,gsstand, dass ihn
    die nackten Brüste der wilden Völker besonders reizen.
    Tausk teilt zwei teise typen eus Analysen mit, von denen dem einen
    Fall ein Fliehen vor der entscheidenden Auseinandersetzung mit dem
    Vater, dem andern die Sucht die armseligen Verhältnisse des Eltern-
    hauses zu überwinden, zugrunde leg.-Der Typus des Reisenden sei der
    ewige Jude, der nach dem Tode sucht. Charakteristisch für den Reise-
    drang sei der Inzestkomplex und die Ablösung vom Elternhaus, was
     

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    an dem Fall eines jungen Mannes erläutert wird, der unbewusster Wei-
    86 seine Schwester auf seinen Reisen suchte.
     

    Spielrein kennt aus der Erfahrung zwei Wurzeln des Reidens: 1.die
     

    Sucht der Ablösung, 2.die Sucht etwas Deuce zu finden, worunter sich
    immer der Inzest verbitgt. An einem Deispiel wird die Wandlungsfähig
    keit dieser Leidenschaft erläutert.
     

    Rosenstein betont, dass das Fluchtmotiv of als murzel des Reise dran-
    ges keinem Zweifel unterliege, dass dagegen das erotische Motiv zu
    weiteren Problemen führe, die mit dem Begriff des Tiebes zusammen-
    hängen. Es handelt sich darum, ob die Rustlosigkeit als Folge der ge-
    steigerten Libido psychologisch auf den Trieb zurückzuführen ist,
    oder ob es sich, wie Swobode und Schrötter meinen, dabei um an sich
    bewusstseinsunfähige Vebergänge handelt, die nicht wie das Verdrängte
    bewusst gemacht werden können.-inweis auf den Wandertrieb, der be im
    Tier den Zweck hat, zahlreiche Pefruchtungsmöglichkeiten zu liefern,
    was nach der Meinung Bulsches die ursprüngliche, aber als schädlich
    erkannte Inzestvermischung, verhindere.
     

    ank weist derauf hin, dass die biologische Schädlichkeit EX
    der Inzestverbindungen keineswege erwiesen, vielmehr von neueren
    Forschern (Marouse u.s.) widerlegt wurde.
     

    Prof.Freud hebt auch die Ungeklärtheit dieser Probleme hervor und
    weist darauf hin, dass jedenfalls die Einsicht in eine erst von der
    Wissenschaft behauptete Schädlichkeit nicht der Grund für die Ver-
    meidung des Inzests gewesen sein könne.Die unwahrscheinliche Deutung
    des Vortr.der den Mantel als Symbol des Fräputium auffasste erhalte
    durch die hallischen Dämonen der Antike, die mit einer Kapuze derge-
    stellt werden, eine Stütze.-Das Reisen um die Bratt zu finden lässt
    stch urgeschichtlich begründen in der Sitte, dass der Vater die mann-
    baren Söhne austrieb, die sich dann in fremdem Land die Braut und mit
    ihr das Königreich gewannen. Die Märchen, in denen auch immer ein frem
    der zugereister Prinz sinheiratet, scheinen diese urzeitlichen Zustän
    de zu wiederholen.-Das Reisen im Sinne des Sich-los reisseng als
    plastische Darstellung der Verdrängung aufzufassen scheine plausibel
     

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    Ueberhaupt müsse auf die psychologische Bedeutung der Räumlichkeit
    hingewiesen werden. Es gibt Typen und insbesondere die Zwangsneuro-
    tiker sind solche Menschen/bei denen das Band mit der Räumlichkeit
    viel fester geknüpft ist als mit der Zeitlichkeit. Bei anderan Per-
    sonen sieht man wieder deutlich wie sie ihre Zomplexe auf andere Ge-
    biete überschreiben und ihre Affekte z.B.auf Orte übertragen wie das
    Kurpublikum.Die Uebertragung auf die Lokomotion spielt dann in der
    Agoraphobie die Hauptrolle, wo die sexuelle Einschränkung durch räum-
    liche Gebundenheit dargestellt wird. So ist eine Möglichkeit gegeben
    Affektintensitäten plastisch darzustellen und vielleicht ist die Mu-
    sik auch nur ein solches System/auf welches die psychischen Vorgänge
    transponiert werden. -Aus einem Fall von fugue lace sich ersehen, des
    es sich bei fluchtartigen hysterischen Zuständen um ein sich logreis
    sen handelt, nicht seltne im Sinne eines Verbrechens.
     

    Winterstein dankt für die Anregungen und sucht einige Missverständ-
    nisse aufzuklären, sowie einzelnes zu ergänzen.