S.
11) Sitzung am 14. Mai 1919,58
Dr. Alfred Winterstein: Die Nausikaaepisode in der Odysee (sic!) (erscheint
in Imago").59 (IZP 1919, S. 231)
Anwesend: Prof. Freud, Dr. Rank, Dr. Reik, Dr. Hitschmann, Dr. Hug-Hell-
muth, Frau Dr. Federn, Frau Dr. Silberer, H. Silberer, Dr. Federn, Dr. Schil-
der, Dr. Nepallek, Dr. Fokschaner, Dr. Nunberg, Dr. Jekels, Dr. Winterstein,
Dr. Tausk, Dr. von Hattingberg60, Dr. Deutsch.
Prof. Freud: Dr. Ferenczi ist in Budapest zum Professor ernannt worden.61
Dr. Rank teilt mit, daß Dr. Jelinek62 und Dr. Roheim63 zu Professoren
ernannt wurden.
Dr. Winterstein hält einen Vortrag über die Nausikaaepisode in Homers
Odyssee.
Rank hat im „Mythos von der Geburt des Helden" die Urform einer
bestimmten Sage gegeben. 6+ Die Sage von Odysseus wird erzählt. Nausikaa
erscheint nach Fries als Mutter des Helden. Rettet das Leben Rettungs-
symbolik Freuds.65 Leukothea ist die Mutter Odysseus, Poseidon sein Vater
(Doublette).
Winterstein nimmt Bezug auf Ranks Nacktheit-arbeit.66 Das Ballspiel
Fries nimmt sie als Astralmythos. Sexuelle Beziehung des Balles. Beispiele
Sexualakt = Sexualakt. Athener Frageverbot: Euryalos Wettkampf mit Lao-
damas. Mordtat des Odysseus. Telegonos: Fesselung als Objektivierung der
Hemmung. Vater Sonne. Odysseus als Sänger. König schmeichelt ihm.
Traurige Geschichte. Abreise Fries. Zwei bleiben von der Stadt. Königspa-
last: Astrale Mythen. Gilgamesch Epos: Flutlegende von Jensen. Homer:
Xisuthros. Abspaltung der Mutter. Xisuthros-tochter. Wasserkrug. Moses,
Jacob, Jesus am Brunnen. Goethes Nausikaafragment. Ranks Entblößungs-
lust. Goethes Fragment Arete statt Nausikaa aus der Psychologie Goethes.
Frau von Stein Italienische Reise. Kompromißcharakter der Reise. Identi-
fiziert sich mit Nausikaa. Urpflanze.
Die Nausikaaepisode in der Odyssee (maschinenschriftliche Zusammen-
fassung des Vortrags, der sich ebenfalls im Siegfried Bernfeld-Nachlaß befin-
det):
„Einem Fingerzeig von C. Fries („Das Zagmukfest auf Scheria und der
Ursprung des Dramas", Mitt. der Vorderasiat. Gesellschaft, 1910) folgend,
der in Nausikaa die Mutter des Helden (Odysseus) zu entdecken glaubt, ver-
sucht der Vortragende, eine wesentliche Uebereinstimmung der einzelnen
Stücke der Nausikaacpisode mit dem von Rank in den zwei Abhandlungen
über den „Mythus von der Geburt des Helden" und die Lohengrinsage"
aufgestellten Schema der uralten, weitverbreiteten mythischen Erzählung
von der wunderbaren Geburt und dem ruhmvollen Leben des Helden nach-
177
S.
zuweisen; als cin Ast dieses Sagenstammes ist auch die bekannte Schwanrit-
tersage zu betrachten. Die drei Hauptbestandteile des Mythus: geheimnis-
volle Ankunft, Heirat und Abfahrt des Helden, finden ihre Entsprechungen
-teils symbolisch ausgedrückt, teils in einer scheinbar nicht zur Haupthand-
lung gehörigen Nebenepisode behandelt - im Schiffbruch des Odysseus, der
ihn ans Ufer der Phäakeninsel wirft, im Heraustreten aus dem Gebüsch (Wie-
derholung des Motivs der Geburt), in der Demodokoseinlage, die des Ares
und der Aphrodite verbotene Lust besingt, und in der Abreise des Odysseus
zu Schiff als Schlafenden, bevor er nach Ithaka gelangt. Dieser dem Tode ver-
glichene Schlaf versetzt den Helden wieder in den Zustand vor der Geburt,
er kehrt in den Mutterleib zurück, um in Ithaka, seiner heimatlichen Insel,
neugeboren zu werden. Verschiedene, bei Homer überlieferte Züge werden
als Beleg für die inzestuöse Natur der Beziehung zwischen Sohn und Mutter
verwertet, das mit dem Schau- und Zeigetrieb verknüpfte Motiv der Nackt-
heit wird in Anlehnung an Otto Rank ausführlich erörtert, die Euryalosepi-
sode als Sieg über den Vater gedeutet, wenn auch Euryalos in der späteren
Sage als Sohn des Odysseus erscheint. Auch hier kehrt die zyklische Form
des Mythus wieder, wie sie in der Lohengrinsage beobachtet wurde. Die
Frage nach der inneren Geschlossenheit der Phäakenepisode wird vom Vor-
tragenden bejahend beantwortet, im Anschluß daran die Ansicht von Fries,
daß dem Mythos von Odysseus ein nicht mehr verstandener Ritus der Ein-
holung des Frühlingsgottes zugrundeliege, wiedergegeben, ferner als eine
Bestätigung für die Richtigkeit der Deutung den Mythus von Gilgamesch
herangezogen, für den P. Jensen in der israelitischen Sage bis zur Jessussage
und in der griechischen Mythologie zahlreiche Parallelen aufzeigt.67 - Im
Anhang wird die Produktionshemmung, der Goethe bei seinem Nausi-
kaafragment unterlag68, mit dem inzestuösen Charakter der Neigung des
Ulysses (mit dem sich Goethe identifiziert) zu Nausikaa (die eine Mutterfi-
gur darstellt) in Zusammenhang gebracht.
Silberer vergleicht Mythos mit Traum, findet Symbole der Schwellen-
symbolik. Vertritt funkti.69
Prof. Freud: Zurückführung auf das Urmaterial ist erste Aufgabe bei
Mythenbehandlung, wurde mit Zeit monoton, die zweite Umwandlungs-
mechanismen und dritte ist die Verwendungen und Ergebnisse der
Umwandlungsmechanismen.70 Funktionale Betrachtungsweise von Dr.
Winterstein interessant, höhere Schichten der Gestaltung dargestellt. Im all-
gemeinen Mahnung zur Vorsicht. Alles ausdrücken mit wenigen Mitteln.
Rolle des Rituals Quelle des Mythus nicht. Frage über die Bedeutung der
funktionalen Deutung. Glaubt nicht, daß alle Träume funktionale und psy-
choanalytische Deutungen zulassen.71 Funktionale Deutung nur nach Ende
der Kur.
178
S.
Silberer meint, daß nicht jeder Zug sowohl psychoanalytische als funk-
tionale Deutung enthält. Nicht beide Arten in jedem Stück. Funktionale als
auch psychoanalytische Deutung bei jedem Stück.
Prof. Freud: Wir befinden uns in einem Zustande, daß für Diskussion
auch Opposition wertvoll ist. Sinn des Traumes ist der Ersatz durch Gedan-
ken.
Dr. Rank anerkennt Fortschritt: mythologische Ergänzungen. Odysseus
und Lohengrin: Parallele. Phäaken sind als Unterwelt dargestellt, Odysseus
fährt auch zur Unterwelt.
In 28.5. Dr. Nunberg über „Katatone Anfälle".
Dr. Winterstein antwortet Silberer.
12) Sitzung am 28. Mai 1919;72
Dr. H. Nunberg: Über einen Fall von Katatonic (erscheint in der „Zeit-
schrift") (IZP 1919, S. 231)73
Nächster Vortrag am 18. Juni 1919: Dr. W. Fokschaner über einen „Fall
von Mondsucht".
Anwesend: Prof. Freud, Dr. Rank, Dr. Tausk, Dr. Winterstein, Dr. Fokscha-
ner, Dr. Hug-Hellmuth, Dr. Sadger, Dr. Bernfeld, Dr. Reik, Dr. Nunberg, Dr.
Jekels, Dr. Kaplan, Dr. Hitschmann, med. Fenichel, Dr. Weiss, Dr. Federn,
Dr. Schilder, Dr. Deutsch.
Prof. Freud gibt Anmeldung der Mitgliedschaft von Dr. Bernfeld bekannt,
ebenso Dr. Eduardo Weiss.
Dr. Tausk fordert die Schweigepflicht für erzählte Krankengeschichten
prinzipiell.
Prof. Freud hält diese Forderung für unumgänglich notwendig und
selbstverständlich.
Dr. Hitschmann fragt an, wo /warum/ Doz.Dr. Pötzl solange nicht zur
Sitzung kommt?
Dr. Schilder meldet, daß Doz.Dr. Pötzl abends sehr beschäftigt.
Dr. Winterstein berichtet, daß Doz.Dr. Gomperz in seinem Seminar an
der Universität Wien über Psychoanalyse spricht.74
Dr. Tausk berichtet über diese Vorträge. Doz. Allers75 hat sich gegen die
Psychoanalyse ausgesprochen, ebenso Prof. Dr. Höfler.76
Prof. Freud: Leipziger Gesellschaft hat neue Mitglieder geworben und
beschäftigt sich mit Selbsterziehung. Die Stiftung hat dieser Tochtergesell-
schaft einige Bücher und Jahrgänge der Zeitschriften übergeben.
Vortrag Dr. Nunberg: „Über einen Fall von Katatonie",77 Anamnese,
Krankengeschichte. Irrenanstalt: Vergewaltigung der Schwester. Katatoni-
scher Anfall - Geburtsangstbedeutung.
179
177
–179