22) Sitzung am 7. März 1920: Dr. P. Schilder: Über Identifizierung 1920-505/1995
  • S.

    Schizophrenie: Traum leitet ihn ein. Im katatonen Anfall uriniert Patient ins
    Bett. Der Gesundheitswillen. Der Verdrängungsprozeß hat mit dem Gene-
    sungswunsch begonnen. Die Verdrängung scheint mit Objektfindung zu
    beginnen.
     

    Dr. Schilder: Typen in der Schizophrenie sind verschieden. Verschiedene
    Arten der Regression: jeder Gedanken scheint sich aus Umstande der Sprach-
    losigkeit über einen der grammatikalischen Unformuliertheit in die der
    sprachlichen Formulierung. Die Sprache als Beeinträchtigungsmoment, des-
    halb als zauberisches Mittel.
     

    Dr. Federn hebt die Arbeit Nunbergs hervor. Hat die einzelnen Schichten
    dargestellt.
     

    Prof. Freud: Mahnung, nicht zu lesen. Ein Teil ist Erklärung, ein Teil ist
    Übersetzung in Terminologie. Schuldbewußtsein ist höher organisierte
    Erscheinungsform der Angst. Heilungsmöglichkeit: Lehrreich sind nur Fälle
    von partieller Libidoablösung. Oft stößt man auf eine Libidofixierung, die
    resistent ist und sich nicht auflöst, von hier kommt es zur Heilung.
    22) Sitzung am 7. März 1920:21
     

    Dr. P. Schilder: Über Identifizierung. (IZP 1920, S. 112)
     

    Anwesend: Prof. Freud, Dr. Federn, Dr. Sadger, Dr. Jokl, Dr. Winterstein, Dr.
    Nunberg, Dr. Jekels, Dr. Varga, Dr. Weiss, Herr Kohn, Fokschaner, Dr.
    Deutsch, Kaplan, Frau Dr. Deutsch, Dr. Schilder, A.J. Storfer, Dr. Nepallek,
    Dr. Schmideberg, Anna Freud, Dr. Hitschmann, Dr. Reik, Dr. Rank. Frau Dr.
    Hug entschuldigen.
     

    Dr. Schilder hat ein 1-stündiges Kolleg Samstag 12-1 „Psychoanalytische
    Demonstrationen" angekündigt.
     

    Prof. Freud kündigt einen griechischen Aufsatz an mit Titel „Der
    Ursprung der Sprache und die Freudsche Psychologie."22
     

    Dr. Federn über neue Arbeiten von Steinach über Homosexualität.
     

    Dr. Schilder: Kretschmer und Bleuler Polemik über „Unbewußte" in
    "Zeitschrift für die gesamte Neurologie und Psychiatrie".
     

    Dr. Schilder: Vortrag über „Identifizierung". Lehnt sich an einen Fall von
    Homosexualität an. 37-jähriger Mann. Perversion, Interesse für 12-14-
    jährige Knaben. Tendenz, für sie zu sorgen, gelegentlich sadistische Tenden-
    zen. Erektionen ohne Samenerguß bei Phantasien. Für Frauen kein Interesse.
    Verblüffende Unkenntnis der sexuellen Tatsachen, z.B. die Vagina dient auch
    zur Abfuhr von Kot. Früher hatte er im Zusammenschlafen den Geschlechts-
    verkehr gesehen. Kinderszene aus 8. Lebensjahr: Erektion beim Geschlagen-
    werden verbindet sich mit dem Gefühl des Beschämtseins. Sträubt sich gegen
    Phimosenoperation. Hat in der Nacht vor Operation Traum, der Fuß werde
     

    193
     

  • S.

    operiert. Erinnerung aus 4. Lebensjahr: Kastrationsdrohung von Mutter und
    Kinderfrau. In liebeleerer Umgebung aufgewachsen, sein Bruder wurde von
    Mutter bevorzugt, der Vater als krankhaft gütig geschildert. Deckt sich mit
    vielen, was Sadger an Homosexuellen gefunden hat. Patient identifiziert sich
    mit Knaben, die gezüchtet werden, andererseits mit Mutter. Wesentlich Zärt-
    lichkeitsentzug von seiten der Mutter. Identifiziert sich teilweise mit Maso-
    chismus des Vaters. Knabe wurde in Entwicklung von Kinderfrau und Mut-
    ter. Prinzipielle Fragestellung: Ist die Methode der Symboldeutung oder die
    einfacher Ausfragung sicher. Ein Traum eines Schizophrenen: Ein Pferd
    stürzt auf die am Boden Liegende los. Die Psychoanalyse hat die zeitlichen
    Bedingungen des psychischen Geschehens aufgeklärt. Bemerkungen über
    das Zeitproblem. Ein Willensfaktor bestimmt das Auftauchen von Assozia-
    tionsverläufen. Jeder Gedanke hat einen unscharfen Rand. Unser vergange-
    nes Leben in dem enthalten, was wir momentan erleben. Das Unbewußte
    wirft seine Reflexe ins bewußte Leben, erscheinen in Form von Gedanken-
    keimen. Die symbolischen Gebilde liegen an Kreuzungsstelle von Bremsun-
    gen und Antrieben. Identifizierung: Patient identifiziert sich mit Mutter
    (grob sexueller Charakter). Identifizierung wird vom Spiel geschieden. Spiel
    besteht in Übernahme einer Rolle. Für Identifizierung wesentlich. Aufnahme
    der fremden Persönlichkeit unbewußt. Doppelte Richtung der Aktion: iden-
    tifiziert sich mit aktiver und passiver Person. Statt Begriff des Leidens und
    Tuns ein Begriff, der beide verbindet, diese Verwischung charakteristisch für
    Unbewußte. Für Projektion: Eigene Erlebnisteile werden abgestoßen, aber
    nicht vollständig, das Individuum behält Teile bei sich zurück. Lust an moti-
    vischen Variationen in unbewußten Aktionen. Wechsel von Projektion und
    Identifikation. Ins Objekt abstoßen und vom Objekt übernehmen. Große
    Rolle der Prozesse beim Normalen. Die biologische Fixierung der Objekt-
    Subjektbeziehungen ist nicht straff, der Traum, Krankheit ist Sprengung der
    organischen Form. Ein 30-jähriger Schizophrener hört Stimmen, die Befehle
    zum Losschlagen geben. Sein System: Teilchen in sich, die in Fremde cin-
    dringen. Identifizierung stört nicht den Persönlichkeitsbegriff. Der Vorgang
    der Gleichsetzung außenstehender Persönlichkeiten sollte nicht Identifizie-
    rung heißen. Fremdwahrnehmung psychischen Erlebens: Ein Problem der
    Psychologie: hier liegt ein primäres psychisches Erlebnis vor. Ist sie nicht oft
    auf Projektion und Identifikation zurückzuführen. Die Psychoanalyse wäre
    dann Methode, die uns Vermutungen über Bauplan des psychischen Lebens
    nahelegt. Die Frage kausaler Wirksamkeit psychologischer Momente z.B. bei
    Schizophrenic berechtigt. Die Grenze zwischen ererbtem Physischen und
    psychisch Fließendem ist nicht starr. Diese Fragestellung gilt auch für
    Homosexualität.
     

    Prof. Varga: Identifikation ist eine allgemeine Erscheinung des sozialen
     

    194
     

  • S.

    Lebens. An bestimmter Stelle fließt Projektion und Identifikation zusam-
    men. Das soziale Leben besteht in Identifikation. Die Wirkung einer Rede ist
    Identifikation ad hoc. Philosophische Systeme beruhen auf Identifikation.
     

    Dr. Nunberg: Es gibt 2 Identifizierungen: hysterische und narziẞtische.
    Bei der hysterischen Identifizierung bleibt Objekt erhalten.
     

    Dr. Federn: Jede Identifizierung setzt eine Projektion voraus.
     

    Dr. Reik einzelne Bemerkungen zur Identifikation.
     

    Dr. Schilder will zwischen Introjektion und Projektion scheiden. Jedes
    psychische Phänomen kann man in anderes, in Schattierungen überleiten.
    Quantitative Unterschiede gehen in qualitative über. Wieso kommt es, daß
    bei gewissen Neurosen diese Mechanismen vorgehen?
     

    Prof. Freud: Fremder Ton im Vortrag, kommt durch verschiedene Wege
    ins selbe Material. Die Schule Dr. Schilder kommt von Selbstbeobachtung
    her, die Psychoanalyse kümmert sich nicht um Oberfläche. Von Vogel- und
    Froschperspektive. Hat verschiedene Arbeitsweisen zur Folge vom psycho-
    logischen und metapsychologischen Standpunkt. Die Identifikation ist Art,
    Objekte aufzugeben, wird Objektlibido los. Homosexuelle haben Objektbe-
    setzung verloren, identifizieren sich mit Mutter, ist Regression ins Ich. Ana-
    lyse des Ichs wäre das Resultat, in Instanzen. Ein Einwand: Der Homosexu-
    elle identifiziert sich mit Mutter, die Identifizierung mit Knaben gehört der
    Vergangenheit an. Alternierende Identifikation mit Vater und Mutter kom-
    men vor. Nach Identifikation mit Mutter geht er zur neuerlichen Objektbe-
    setzung über.
     

    Dr. Schilder: Schlußwort.
     

    Für den 21. März: Kritiken und Referate.
     

    23) Sitzung am 21. März 1920:23
     

    Mitteilungen und Referate:
     

    a) Dr. Hitschmann: Ein Kastrationstraum als Beitrag zur Genitalsymbo-
    lik der Zähne.
     

    b) Dr. Winterstein: „Unheimlich" bei Grillparzer.
     

    c) Dr. Nunberg: Über eine scheinbare Sekretionsstörung.
     

    Dr. Nunberg: Über einen Fall von Melancholie.
     

    d) Dr. Reik: Zur Technik der auf die Geisteswissenschaften angewandten
    Psychoanalyse. (IZP 1920, S. 295)
     

    Anwesend: Prof. Freud, Dr. Rank, Dr. Weiss, Dr. Fokschaner und Frau, Dr.
    Weiss, Dr. Hitschmann, Frau Dr. Hug, Frau Dr. Deutsch, Dr. Schmideberg,
    Dr. Nepallek, Dr. Storfer, Dr. Reik, Dr. Nunberg, Dr. Federn, Herr Peters24,
    Dr. Sadger, Dr. Jekels, Dr. Schilder entschuldigt, Dr. Jokl, Dr. Winterstein.
    Doz. Pötzl: Freitag 26. in psychiatrischer Klinik Vortrag über Psycho-
     

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