Accessoriuskrampf 1893-021/1893
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    ABSCESS.  ACCESSORIUSKRAMPF.                                                                           37

     


    Accessoriuskrampf. Als A. bezeichnet man Krampf in dem M. sterno-
    cleidomastoideus und cucullaris, welche beide Muskeln von der spinalen Portion
    des N. accessorius versorgt werden.

    Dieser Krampf kommen in klonischer oder tonischer Form, vor an einem
    der beiden erwähnten Muskeln oder an beiden, meist einseitig, selten betreffen sie
    ein symmetrisches Muskelpaar. Sie werden erkannt an den pathologischen Be-
    wegungen und Stellungsveränderungen, welche sie dem Kopfe aufnöthigen.

    Beim klonischen Krampf des Sternocleidomastoideus wird der Kopf
    ruckweise so bewegt, dass das Kinn nach der entgegengesetzten Seite gedreht und
    gehoben, das Hinterhaupt herabgezogen und das Ohr dem Schlüsselbein derselben
    Seite genähert wird. Diese Bewegung braucht aber nicht in ihrem vollen Umfange
    ausgeführt zu werden. Bleibt dieselbe, nachdem sie erfolgt ist, durch kürzere oder
    längere Zeit bestehen, so spricht man von t o n i s c h e m  K r a m p f . Beide Formen finden
    sich oft an demselben Muskel. Bei doppelseitigem Krampf des Sternocleidomastoi-
    deus erfolgt entweder eine abwechselnde Bewegung des Kopfes nach der einen
    und der anderen Seite, oder es agiren beide Muskeln gleichzeitig und ziehen das
    Kinn zur Brust herab (Nicken).

    Beim klonischem Krampf eines Cucullaris wird der Kopf nach hinten und
    nach der Seite des kranken Muskels gezogen, gleichzeitig erfolgen Bewegungen des
    Schulterblattes, welches die unterhalb der Spina scapulae befindliche (vom cervicalen
    Nerven versorgte) Portion des Muskels mit ergriffen ist. Bei dem seltenen doppel-
    seitigen Cucullariskrampf wird der Kopf nach rückwärts gezogen, so dass das
    Hinterhaupt die Schulter fast berührt, oder es wechseln wiederum die Actionen
    der beiden Muskeln miteinander ab, oder vermengen sich miteinander.

    Die Bewegungen, welche durch den sogenannten A. zu Stande kommen,
    sind also so leicht mannigfach, sie sind aber doch leicht zu erkennen, wenn man
    die Erfolge elektrischer Reizung der beiden Muskeln gesehen hat, und wenn man
    nicht versäumt, auf das plastische Vorspringen derselben zu achten.

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    38                             ACCESSORIUSKRAMPF.  ACCESSORIUSLÄHMUNG.

    Man thut gut, den tonischen Krampf (des M. sternocleidomastoideus
    oder cucullaris) von der Contractur zu trennen, welche durch dauerndes Ver-
    harren des Kopfes in der pathologischen Stellung ausgezeichnet ist (vergl. Acces-
    soriuslähmung).

    Die diagnostische Bedeutung dieser Krämpfe ist nicht in allen
    Fällen zu ermitteln. Man stellt sich zumal die Frage, ob man es mit der neurotischen
    Form des A. oder mit symptomatischen Krämpfen, die auf eine Läsion des
    N. accessorius oder des Muskels deuten, zu thun hat. Die neurotische, sehr
    häufige Form ist als eine Art des Tic convulsif zu betrachten, für welche Neu-
    rose das Gebiet des Accessorius nachts den des Facialis eine besondere Vor-
    liebe zeigt. Als Tic kann der A. ein- oder doppelseitig, tonisch oder klonisch,
    oder tonisch und klonisch auftreten; er zeigt aber dabei alle Charactere eines
    Tic convulsif, das heisst er zeigt sich in Anfällen von kurzer Dauer, deren
    Intensität sehr wechselt, er stört niemals eine von demselben Muskele zu leistende
    intendirte Bewegung, er wird durch Fesselung der Aufmerksamkeit unterdrückt,
    durch psychische Erregung gesteigert und ist habituell, d. h. von unbestimmt
    langer Dauer, der Therapie wenig zugänglich. Schwierigkeiten bereitet dieser Tie
    der Diagnose auf dann, wenn er sich strenge auf die beiden vom Accessorius ver-
    sorgten Muskeln beschränkt. Kann man beobachten, dass bei einem stärkeren
    Anfall die Zuckungen andere Hals-, Gesichts- und Rückenmuskeln mitbetreffen
    oder dass gelegentlich der Krampf im Accessoriusgebiet durch einen Krampf im
    Gesicht u. dergl. ersetzt wird, so ist die Diagnose auf Tic convulsif gesichert.
    Sehr leichter zu beurtheilen sind jene Fälle, in denen der A. nur ein Theil-
    stück einer aus mannigfachen Bewegungen bestehenden Anfalles von Tic con-
    vulsif darstellt.

    Wo diese Kennzeichen nicht zutreffen, muss man an symptomatischen
    Krampf in Folge einer Läsion des Nerven oder Erkrankung des Muskels denken.
    Hier werden die begleitenden Symptome von Gehirnerkrankung oder Affection
    innerer Organe die Auffassung des Falles bedingen. Findet sich der A. ohne
    solche vor, so ist er in erster Linie als Zeichen einer peripherischen Affection
    (analog der sogenannten rheumatischen Facialislähmung) zu deuten und ist ent-
    weder Verbote oder Berufs- oder Reizschweinung einer Lähmung. Diese Bemerkung
    wird aber nur für Krampf formen gelten, die nicht doppelseitig auftreten.

    In anderen, seltenen Fällen bleibt die Diagnose im Dunkeln.             Freud.